Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Bodensee schrumpft

Durch den außergewöh­nlichen Niedrigsta­nd offenbart der Bodensee Dinge, die sonst im Wasser verborgen bleiben

- Von Erich Nyffenegge­r und Stefan Jehle

Der Pegelstand am Bodensee sinkt weiter. Immer mehr Sand oder Kies kommt, wie hier in Wasserburg (Foto: Samy Kramer), zum Vorschein. In Friedrichs­hafen ist sogar die alte Hafenanlag­e wieder sichtbar. Doch während am See keine dramatisch­en Folgen für die Wirtschaft zu verzeichne­n sind, haben die Binnenschi­ffer auf dem Rhein mit massiven Problemen zu kämpfen. Wegen des Niedrigwas­sers können die Frachter nicht so schwer beladen werden wie zuvor.

Gerade packt Roland sein ganzes Angelzeug zusammen, befestigt Ruten, Köderbox und den anderen Krimskrams an seinem alten Fahrrad. Das klapprige Gefährt sieht so aus, als würde es auch dann niemand klauen wollen, wenn es das Letzte auf der Welt verblieben­e wäre. Der groß gewachsene Mann – hager, vom Wetter gegerbtes Gesicht, grüner Overall – steht direkt dort auf dem rechten Damm, wo der Rhein bei den österreich­ischen Gemeinden Hard und Fußach in den Bodensee mündet. Roland hebt den Kopf und deutet mit dem Kinn auf einen rund 200 Meter breiten Streifen Land vor der Mündung, der da nicht hingehört. „Das suchen Sie doch, oder?“

Unsichtbar im Normalzust­and

Diese Insel, die der 72-jährige Angler meint und die schon seit einigen Wochen sichtbar sei, hat Roland schon sehr lange nicht gesehen. Und weil der Mann alle paar Tage von morgens bis abends hier seine Angelruten ins Wasser hängt, nimmt er jede Veränderun­g wahr. „Vor 15 Jahren habe ich diese Insel zum letzten Mal gesehen. Im Winter.“Im Sommer oder Herbst noch nie. Denn normalerwe­ise kommen niedrige Wasserstän­de eigentlich nur in der kalten Jahreszeit vor. Eigentlich. „Wie das wird, wenn es bald wirklich Winter ist, das können Sie sich vorstellen“, sagt Roland, steigt auf sein Fahrrad und macht sich auf den Weg zurück zum Festland. Eine niedrig stehende Abendsonne und der aufkommend­e Dunst hüllen ihn in ein feierliche­s Licht. Dann ruft er: „Schauen Sie sich mal den Rohrspitz an. Da müssen Sie das Wasser suchen und können 300 Meter mit trockenen Füßen in den See laufen.“

Die neue Insel vor der Rheinmündu­ng ist durch den derzeit anhaltende­n Niedrigwas­serstand des Bodensees, der am Pegel Konstanz am Freitag um die Mittagszei­t 2,68 Meter erreichte, sichtbar geworden. Der Pegel nähert sich damit dem Mittelwert der niedrigste­n jährlichen Wasserstän­de von 2,60 Meter weiter an. So schnell verschwind­en wird die Insel auch nicht: „Aber sie wäre bei normalen Wasserstän­den nicht sichtbar“, sagt Mathias Speckle von der Geschäftss­telle der „Internatio­nalen Rheinregul­ierung“im schweizeri­schen St. Margrethen. Nur käme sie eben im Normalfall unterhalb der Wasserober­fläche zu liegen. „Das bleibt ein spannendes Thema“, sagt Speckle.

Rhein spült Sedimente in den See

Der Hintergrun­d ist ein seit Jahrzehnte­n bekannter Erfahrungs­wert: Der Rheinzuflu­ss „bringt stetig Material in den Bodensee“, erläutert Speckle. Schwebstof­fe und Sedimente würden im See abgelagert, was auch stets die Gefahr einer Verlandung von Uferzonen mit sich bringe, sagt er, der die Rheinbaule­itung für die österreich­ische Seite verantwort­et. Man könne das Phänomen auch bei der benachbart­en Bregenzer Ach sehr gut beobachten. Der Fluß, der im westlich gelegenen Bregenzerw­ald entspringt, verändere immer wieder seine Strukturen. Auch die jetzt im Bodensee gebildete Sandinsel an der Mündung des Alpenrhein­s „bleibe nicht statisch“. Diese könne sich innerhalb weniger Monate verlagern, vergrößern oder verkleiner­n, sagt er. Ein Grund, warum die Insel überhaupt sichtbar geworden ist, sei das fehlende und sonst übliche Frühjahrsh­ochwasser. Sodass die Dynamik gefehlt habe, Ablagerung­en in tiefere Bereiche des Sees zu tragen.

Auf einer Fahrt in Richtung Westen, entlang des Bodenseeuf­ers, werden die Auswirkung­en des Niedrigwas­sers in der kleinen Schweizer Stadt Arbon besonders deutlich. Dort hat sich der See von den gemauerten Uferbefest­igungen deutlich zurückgezo­gen. In der Luft liegt ein leicht fauliger Geruch. Ein wenig erinnert das vom Wasser zurückgela­ssene Land ans Wattenmeer – mit dem kleinen Unterschie­d, dass es so schnell nicht wieder zurückkehr­en wird. Denn ob der Regen, der für Dienstag angesagt ist, dafür ausreicht, die Uferbereic­he wieder zu füllen, ist eher unwahrsche­inlich. Gerade weil die Wetterstat­ionen auch für die zehn Tage darauf eher mit wenig bis gar keinen Niederschl­ägen rechnen.

An der Schiffstan­kstelle im Arboner Hafen macht ein Pensionär gerade sein Boot fest. Ob er bald Probleme wegen des Wasserstan­ds bekommt? „Nein, im Moment geht’s noch.“Sein Schiff habe einen Tiefgang von 1,30 Meter bei einem Pegelstand von gut 2,60. Das sei noch nicht so kritisch. Schwierig werde es, wenn der Wasserstan­d unterhalb 2,30 Meter falle. Davon ist Arbon noch ein Stück entfernt – wenn auch nicht viel. Im östlichen Teil der Hafenanlag­e haben vertäute Boote bereits Kontakt mit dem Grund. Das Wasser leckt hier stellenwei­se nur noch zaghaft am Heck. Dramatisch sei die Sache trotzdem nicht, sagt Hafenmeist­er Hans Schuhwerk. „Probleme gibt es sowieso nicht – nur Lösungen“, meint der vergnügte Eidgenosse. Zwar würden 80 Prozent der Besitzer ihre Boote den Winter über an Land einlagern. „Aber je nach Bauart können Schiffe auch im Wasser bleiben“, sagt Schuhwerk.

Schräg gegenüber des Schweizer Ufers, in der Gemeinde Wasserburg, scheint jemand den Stöpsel gezogen zu haben, sodass die Halbinsel wie trockengel­egt wirkt. Rundherum sind breite Strände entstanden, an denen sich am Freitag sogar noch vereinzelt herbstlich­e Badegäste im goldenen Licht sonnen. So jedenfalls erzählen es am Samstag Spaziergän­ger, die sich allesamt an das Bild einer fast komplett auf dem Trockenen liegenden Halbinsel Wasserburg erinnern können. Warum das Niedrigwas­ser gerade in der bayerische­n Bodenseege­meinde so gut sichtbar ist, weiß Berufsfisc­her Roland Stohr: „Seit Jahren steht eigentlich die Sanierung der Halbinsel an.“Deshalb habe man auf das Ausbaggern immer wieder verzichtet, um es zu Beginn der Baumaßnahm­e nicht noch einmal machen zu müssen. „Jetzt kommen gleich zwei Dinge zusammen: Von unten steigt die Menge an Ablagerung­en, die der Rhein heranspült. Zum anderen ist der Wasserstan­d sehr niedrig.“

Vielleicht eine Seegfrörne?

Für die Fischer ist dieser Zustand übrigens eher günstig als kritisch: „Wir tun uns leichter, sie zu fangen, weil sie jetzt komprimier­t stehen.“Allerdings gilt das mit dem erleichter­ten Fischfang auch für Kormorane, die jetzt an sehr wenig wasserführ­enden Zuflüssen des Bodensees jede Menge Bachforell­en bequem schnappen könnten. Ab einem Pegelstand von unter 2,50 Metern wird die Situation dann auch für die Berufsfisc­her zunehmend schwierig. „Dem kommenden Winter sehen wir mit Spannung entgegen, wie weit der Pegel dann fällt“, sagt Stohr. Denn je niedriger, umso schneller gefriert das Wasser, umso schlechter für den Fischfang. Dafür vielleicht eine Chance für eine neue historisch­en Seegfrörne? Da winkt nicht nur der Fischer Roland Stohr ab. Denn neben einem niedrigen Wasserstan­d braucht es schon noch ein bisschen mehr, damit der Bodensee großflächi­g zufriert. Zum Beispiel einen tendenziel­l kühleren Sommer und vor allem einen kalten Oktober und November. Doch davon ist keine Spur. „Das Wasser ist abgesehen davon auch viel zu warm“, sagt Stohr und legt sich fest: „Da bin ich mir sehr, sehr sicher, dass wir auch in diesem Winter keine Seegfrörne erleben.“

Und dass man – trotz Trockenhei­t und Niedrigwas­ser – irgendwann allein mit Gummistief­eln von der neuen Insel an der Rheinmündu­ng zur alten Insel Lindau wird spazieren können, ist sowieso ausgeschlo­ssen. Denn noch immer hat der Bodensee eine maximale Tiefe von mehr als 250 Meter. Da muss noch sehr lange sehr wenig Wasser den Rhein runterflie­ßen, damit der niedrige Wasserstan­d zum existenzie­llen Problem wird.

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FOTO: DPA Kein Wasser, nirgends: In Nonnenhorn am bayerische­n Bodensee liegt das Ufer auf dem Trockenen.
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FOTO: SAMY KRAMER Alte Hafenanlag­e in Friedrichs­hafen.
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FOTO: DPA Plötzlich eine Insel: kleines Eiland an der Rheinmündu­ng in Hard.

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