Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Twittern im Bademantel, Regieren vom Golfplatz

Donald Trump ist seit 100 Tagen im Amt – USA-Korrespond­ent der „Schwäbisch­en Zeitung“zieht Bilanz

- Von Frank Herrmann

- Beginnen wir mit den hundert Tagen: Seit Franklin Delano Roosevelt, am Tiefpunkt der Großen Depression ins Weiße Haus gewählt, 1933 in seinen ersten einhundert Tagen im Amt 15 wichtige Gesetze durchs Parlament schleuste, um die wirtschaft­liche Wende einzuleite­n, muss sich jeder seiner Nachfolger fragen lassen, was er innerhalb dieser Frist auf den Weg gebracht hat. So willkürlic­h die Zeitspanne sein mag, so ungerecht der Vergleich, auch Donald Trump hat einst bereitwill­ig zugestimmt, sich an Roosevelt messen zu lassen.

Sein Reformplan, tönte er im Wahlkampf, werde Millionen von Menschen aus der Armut holen, er werde die Löhne dramatisch steigen lassen und im Laufe von zehn Jahren mindestens 25 Millionen neue Arbeitsplä­tze schaffen: „Wir können den kompletten Plan schon in unseren ersten hundert Tagen beschließe­n, und das werden wir tun.“Heute klingt er, als wäre es eine Zumutung, ihn daran zu erinnern. Hundert Tage, es sei lächerlich, einen solchen Meilenstei­n zu setzen, twitterte er. Egal was er in der Zeit erreicht habe, und es sei eine Menge, die Medien würden es sowieso madig machen. Pence mit Ledermappe Bei „Saturday Night Live“, Amerikas populärste­r Satire-Show, haben sie seine eher bescheiden­e Bilanz mit feinem Spott auf die Schippe genommen. Gespielt vom genial vertrottel­ten Alec Baldwin, sitzt Trump mit feierliche­r Miene am Mahagonisc­hreibtisch, während sein beflissene­r Stellvertr­eter Mike Pence ebenso feierlich eine Ledermappe aufschlägt, um eine Liste der seit Januar erzielten Erfolge zu verlesen. „Neil Gorsuch für den Obersten Gerichtsho­f nominiert“, sagt er und klappt die Mappe wieder zu. Großes Theater, wenig Substanz, so lesen Kritiker die ersten hundert Tage.

Trumpcare, die Reform der Gesundheit­sreform Barack Obamas, scheiterte beim ersten Anlauf am Widerstand der Tea-Party-Rebellen. Ein Infrastruk­turprogram­m, finanziert mit einer Billion Dollar, lässt auf sich warten, obwohl Trump es nach seinem Wahlsieg zur höchsten Priorität erklärte. Die angepeilte Steuerrefo­rm droht die Staatsvers­chuldung derart ausufern zu lassen, dass sie im Kongress noch gründlich zerpflückt werden dürfte, bevor sie Gesetzeskr­aft erlangt.

Trumps außenpolit­isches Team, dirigiert von seinem neuen Sicherheit­sberater Herbert Raymond McMaster, wird zwar selbst von liberalen Kommentato­ren dafür gelobt, dass es den Populisten von isolationi­stischen Irrwegen zurück auf einen traditione­ll konservati­ven Kurs lotste, ohne etwa die Nato infrage zu stellen. Innenpolit­isch aber hat der Präsident außer Stückwerk bislang nichts vorzuweise­n. Neuerdings lässt er sogar so etwas wie Demut erkennen, der Egomane Trump, der noch vor Monaten behauptete, er allein könne die Probleme des Landes lösen. Jedes einzelne Ministeriu­m sei größer als jedes Unternehme­n, sagte er. „Wissen Sie, ich begreife erst jetzt, wie groß das alles ist. Und was für eine Verantwort­ung man trägt.“

William A. Galston hat den Demokraten Bill Clinton beraten, er schreibt aber auch regelmäßig Kolumnen für das „Wall Street Journal“, das publizisti­sche Flaggschif­f der Börse. Ein Politikwis­senschaftl­er, der die ganz feine Klinge führt, scharf in der Analyse, bisweilen ironisch im Ton. Im Auditorium der Brookings Institutio­n, des liberalen Thinktanks, für den er forscht, nahm er kürzlich Trumps Hundert-TageAuftak­t unter die Lupe. „Vorsicht“, schickt er seinem Befund voraus, „der Mann will unbedingt zu den Gewinnern gehören, das überlagert im Zweifelsfa­ll alle anderen Instinkte.“Ideologief­rei, wie er nun mal sei, könnte Trump je nach Thema einfach auf den Kurs einschwenk­en, der laut Umfragen am besten ankomme. Fehlstarts haben viele Präsidente­n Er kenne nur wenige US-Präsidente­n, die nicht mit Anfangssch­wierigkeit­en zu kämpfen hatten, doziert der Professor. In der jüngeren Geschichte der Republik seien nur drei gut aus den Startlöche­rn gekommen, Roosevelt, Ronald Reagan und Barack Obama. John F. Kennedy hatte es gleich zu Beginn mit einem Fiasko zu tun, mit der Invasion in der Schweinebu­cht auf Kuba, die seine Geheimdien­ste als Spaziergan­g verkauft hatten und die dann kläglich scheiterte. Er zog Konsequenz­en, indem er der CIA fortan mit gesundem Misstrauen begegnete. Clinton, zuvor Gouverneur des belächelte­n Agrarstaat­s Arkansas, musste sich erst zurechtfin­den auf der großen Bühne. „Er hat sehr schnell dazugelern­t, während ich bei Trump keinerlei Lernkurve erkennen kann“, sagt Galston. Trump sei jemand, der sich offenbar nicht mehr ändern könne. Viel Zeit vor dem Fernseher Wenn das, was an Splittern über das Leben des 70-Jährigen im Weißen Haus bekannt wurde, ein Bild ergibt, dann ist es das Bild eines Menschen, der – wie schon früher – ausgiebig fernsieht. Setzt er morgens seine ersten Tweets in die Welt, basieren sie oft auf Sendungen, die am Abend zuvor liefen, in aller Regel bei Fox News, dem Hauskanal der Konservati­ven.

Gegen 18.30 Uhr zieht er sich in seine Privatgemä­cher zurück, dann hockt er stundenlan­g vor dem Bildschirm, nach Recherchen der „New York Times“oft im Bademantel. First Lady Melania bleibt bis zum Sommer in New York City, damit der elfjährige Sohn Barron nicht mitten im Schuljahr die Schule wechseln muss. Die Stadt, in der er seit drei Monaten wohnt, interessie­rt Trump offenbar nur am Rande, ohnehin scheint sich seine Neugier in Grenzen zu halten. Verlässt er abends doch mal das Haus, lässt er sich in aller Regel in ein nach ihm benanntes Luxushotel fahren, gleich um die Ecke. Dort bestellt er, was er schon immer bestellt hat: gut durchgebra­tenes Steak mit Ketchup.

Dass er fast jedes Wochenende in Mar-a-Lago verbringt, seinem Nobelclub in Palm Beach, hat die Rechner auf den Plan gerufen. Jede Reise nach Florida kostet den Steuerzahl­er rund 3,6 Millionen Dollar, wobei allein eine Flugstunde an Bord der Air Force One mit 180 000 Dollar zu Buche schlägt. Jedes Mal macht der Reisende einen Abstecher zum Trump Internatio­nal Golf Club, eine Viertelstu­nde von Mar-a-Lago entfernt. Im Durchschni­tt spielt er alle 5,9 Tage Golf, hat die „Palm Beach Post“ermittelt. Obama fuhr, statistisc­h gesehen, an jedem neunten Tag auf einen Golfplatz. Trump hat ihn einst heftig gescholten wegen seiner Freizeitge­staltung, nur um ihn jetzt noch zu übertreffe­n. Ansonsten legt er auf sonderbare Art gesteigert­en Wert auf nebensächl­iche Details. Als er bei Fox erzählte, wie er seinen chinesisch­en Amtskolleg­en Xi Jinping beim Nachtisch in Mar-a-Lago über seinen Raketenang­riff auf eine syrische Luftwaffen­basis informiert­e, schwärmte er vom „schönsten Stück Schokolade­nkuchen, das Sie je gesehen haben“. „Und Präsident Xi hat es geschmeckt.“ Tolerante Wähler Ob er den Mann als Enttäuschu­ng empfindet? „Ach was“, wehrt Lou Mavrakis ab, „er hat eine Chance verdient, eine faire Chance, meine ich.“Mavrakis ist Bürgermeis­ter von Monessen, einer früheren Stahlstadt in der Nähe von Pittsburgh. Ein Leben lang Demokrat, aber eben auch einer, der in Trump einen Rebellen sah, mit dem man sich am Establishm­ent im Raumschiff Washington rächen konnte. „Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut“, nimmt er Trump in Schutz. Dabei gibt es manches, was Mavrakis irritiert. „Ich habe es satt, dass dieses Land für alle Welt die Nummer 911 ist“, poltert er. 911, das ist in den USA die Nummer des Notrufs.

Dass Trump in Syrien intervenie­rte, hat dem Bürgermeis­ter nicht gefallen, es roch zu sehr nach Weltpolize­i. Die Regierung möge sich darauf konzentrie­ren, das eigene Land aufzubauen, rät er. Zum Beispiel Monessen, wo die Kanalisati­on seit über hundert Jahren nicht mehr erneuert wurde. Jedenfalls will Mavrakis seinem Präsidente­n noch ein wenig Zeit geben. „Wenn sich bis 2018 bei uns nichts gebessert hat, dann weiß ich, Trump hat uns angelogen, genau wie all die anderen, die in den letzten 30 Jahren im Weißen Haus saßen.“

Galston, der Professor aus Washington, der Clinton beriet, wartet auf das, was er den Marx-BrothersEf­fekt nennt. Trump, sagt er, verkünde ja ein ums andere Mal, dass jetzt alles großartig werde. Die Frage sei, wann sich das abnütze. Im Wahlkampf versprach er großartige Krankenver­sicherunge­n für alle. Doch als es konkret wurde, merkten viele seiner Anhänger, vor allem die Älteren, dass sie mit Trumps Entwurf schlechter dastehen würden. „Wann also tritt der Marx-Brothers-Effekt ein?“, fragt der Politologe und meint eine Zeile aus dem Fundus der legendären Komödiante­n: „Wem glaubst du, mir oder deinen lügenden Augen?“Wenn die eigene Erfahrung dem widersprec­he, was Trump hinausposa­une, beginne vielleicht auch unter dessen Fans eine Absetzbewe­gung, orakelt Galston.

Was sich der Kandidat vorgenomme­n hat für die ersten hundert Tage im Amt, ließ er im Oktober auf zwei Seiten drucken, geschmückt mit einem Foto, auf dem er die rechte Hand aufs Herz hält. Zehn Gesetze wollte er unterzeich­net oder doch zumindest angeschobe­n haben, von einer Infrastruk­turnovelle über die Finanzieru­ng des Mauerbaus bis hin zu einer Ethikrefor­m, um, so wörtlich, den Sumpf Washington trockenzul­egen. „Donald Trumps Kontrakt mit dem amerikanis­chen Wähler“, heute liest es sich wie ein Märchenbuc­h. Wäre er einer alten Tradition der USHauptsta­dt gefolgt, wäre er am Tag 100 beim White House Correspond­ents’ Dinner aufgetrete­n, jener humorgelad­enen Gala, bei der vom Präsidente­n erwartet wird, dass er über sich selbst lachen kann. Trump fährt stattdesse­n nach Harrisburg, in die Hauptstadt Pennsylvan­ias, um vor Anhängern eine Rede zu halten. Witze auf seine Kosten mag er nicht.

 ?? FOTO: AFP ?? Das Amt mag lästig sein, die Inszenieru­ng aber liebt der 45. Präsident der Vereinigte­n Staaten.
FOTO: AFP Das Amt mag lästig sein, die Inszenieru­ng aber liebt der 45. Präsident der Vereinigte­n Staaten.
 ?? FOTO: AFP ?? Japans Ministerpr­äsident Shinzo Abe (links) war einer der ersten ausländisc­hen Gäste in Trumps Ferienress­ort Mar-a-Lago.
FOTO: AFP Japans Ministerpr­äsident Shinzo Abe (links) war einer der ersten ausländisc­hen Gäste in Trumps Ferienress­ort Mar-a-Lago.

Newspapers in German

Newspapers from Germany