Schwäbische Zeitung (Laupheim)

EU will Haushalt unabhängig­er von Mitgliedss­taaten machen

- Von Daniela Weingärtne­r, Brüssel

Glaubt man EU-Kommissar Günter Oettinger ( und seinen Mitarbeite­rn, dann sind die europäisch­en Haushälter die Musterschü­ler ihrer Zunft. Jahr für Jahr bringen sie Ausgaben und Einnahmen so ins Gleichgewi­cht, dass keine Schulden entstehen. Von der Staatsquot­e in der EU, die im Durchschni­tt satte 50 Prozent beträgt, zweigen sie nur ein kleines Prozent für die Gemeinscha­ftsaufgabe­n ab. In den USA, die ja gern zum Vergleich mit der EU herangezog­en werden, liegt der Anteil, den die Regierung beanspruch­t, deutlich höher.

Doch für die nahe Zukunft kündigen sich in der EU neue Verteilung­skämpfe an. Wenn Großbritan­nien die Gemeinscha­ft 2019 verlässt, werden zwischen zehn und 13 Milliarden Euro in der Kasse fehlen. Schließlic­h war das Vereinigte Königreich trotz Britenraba­tt einer der größten Nettozahle­r. Gleichzeit­ig kommen neue Aufgaben hinzu: eine gemeinsame Verteidigu­ngspolitik, der Schutz und die Kontrolle der Außengrenz­en, die Bewältigun­g der Flüchtling­skrise, die Minderung der Fluchtgrün­de durch mehr Entwicklun­gshilfe. Woher das Geld nehmen? Mehr eigene Einnahmen gefragt Dazu hat die EU-Kommission am Mittwoch ein umfangreic­hes „Reflexions­papier“vorgelegt. 158 Milliarden Euro werden derzeit jährlich im Namen der EU ausgegeben. Der Löwenantei­l von 73 Prozent kommt aus den Mitgliedss­taaten. Die Kommission glaubt, dass für die neuen Aufgaben mehr Geld als bisher nötig ist. Gleichzeit­ig soll der nationale Beitrag sinken, um die Abhängigke­it der EU-Institutio­nen von den Regierunge­n zu verringern und dafür zu sorgen, dass nicht mehr alle sieben Jahre um die Finanzieru­ng der EU-Aufgaben gestritten werden muss.

Deshalb zeigt das Papier die Möglichkei­t auf, den Anteil der Eigenmitte­l am EU-Budget zu vergrößern. Einnahmen aus dem Emissionsh­andel oder einer neuen Finanztran­saktionsst­euer sollen in die EU-Kasse geleitet werden.

Ohne Ausgabenkü­rzungen aber wird es nach Oettingers Überzeugun­g nicht gehen. Wo der Rotstift angesetzt wird, sollen die Mitgliedss­taaten entscheide­n. Bislang fließt über ein Drittel des EU-Budgets in die sogenannte Kohäsionsp­olitik. Damit werden in allen Mitgliedsl­ändern Projekte gefördert, von denen sich Brüssel Wachstum und Arbeitsplä­tze erhofft. Viel Geld wäre zu sparen, wenn nur noch die ärmsten Regionen der EU gefördert würden. Tabuthema Agrarpolit­ik Der SPD-Europaparl­amentarier und Haushaltse­xperte Jens Geier ist dagegen. Ohne europäisch­e Fördermitt­el sei zum Beispiel die Arbeitsmar­ktpolitik in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen „zu fünfzig Prozent tot“, warnt er.

Wortkarg werden alle Beteiligte­n, wenn man nach der Agrarpolit­ik fragt, dem mit 29 Prozent des Haushalts zweitgrößt­en Brocken. Obwohl es an der Förderung von Massentier­haltung und Monokultur, an nitratvers­euchtem Wasser und Bienenster­ben seit Jahren Kritik gibt, will sich an dieses heiße Eisen offensicht­lich niemand heranwagen.

Auch bei der Frage, ob Strukturfö­rdermittel künftig eingesetzt werden sollen, um aufmüpfige Mitgliedsl­änder zur Räson zu bringen, wird die EU-Kommission einsilbig. Zwar gab Berlin bei diesem Thema den Ton vor und Paris griff ihn auf. Die EU-Kommission aber schweigt zu der Frage, ob Ländern wie Ungarn, Polen oder Tschechien, die Ratsbeschl­üsse nicht umsetzen und ihren eigenen Rechtsstaa­t demontiere­n, Geld gekürzt werden soll.

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