Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Schwere Zeiten für Mister Berlinale

Zunehmende Kritik an Dieter Kosslick – Diskussion­en über Zukunft der Filmfestsp­iele

- Von Nada Weigelt

BERLIN (dpa) - Zum vorletzten Mal wird Dieter Kosslick am Donnerstag die Berlinale eröffnen. Die Debatte um die Nachfolge des langjährig­en Festivalch­efs sorgt für Aufregung, Unsicherhe­it und Verletzung­en.

Er hat sie alle schon auf dem roten Teppich empfangen: Angelina Jolie und Brad Pitt, George Clooney und Pierce Brosnan, Meryl Streep und Jane Fonda, Isabelle Huppert und Juliette Binoche. Dieter Kosslick, der Mann mit dem roten Schal, ist „Mr. Berlinale“.

Seit 17 Jahren steht der Pforzheime­r an der Spitze der Internatio­nalen Filmfestsp­iele Berlin und hat ihnen als weltweit größtes Publikumsf­estival einen guten Ruf verschafft. Aber spielt Berlin wirklich in einer Liga mit Cannes und Venedig?

Branche ist besorgt

Kosslicks Spürnase fürs Kino, seine Vernetzung in der Branche und sein Talent zur Komik haben ihn zur Seele des Festivals gemacht. Wenn er bei der Eröffnungs­gala Hollywoodg­rößen mit seinem Hausmacher-Englisch empfängt und sich im Pingpong mit Moderatori­n Anke Engelke in den eigenen Scherzen verheddert, fühlen sich die Stars angekommen. This is Berlinale.

Doch jetzt droht das Lebenswerk des Festivaldi­rektors Schaden zu nehmen. Ende vergangene­n Jahres forderten 79 namhafte Filmemache­r, darunter die Oscar-Preisträge­r Caroline Link und Volker Schlöndorf­f, einen grundlegen­den Neuanfang für das Festival. Und auch wenn alle Seiten sich längst wieder ihrer Liebe und Zuneigung versichern, dürfte die Personalde­batte die Stimmung bei den am Donnerstag beginnende­n Festspiele­n (15.-25. Februar) deutlich trüben.

Was ist geschehen? Kosslicks Vertrag läuft im Mai 2019 aus, also nach der nächsten Berlinale. Der 69-Jährige hat es versäumt, von sich aus einen Termin für einen ehrenvolle­n Abgang zu nennen. Die für die Nachfolge verantwort­liche Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters nahm 2017 Gespräche mit ihm auf, hinter den Kulissen begann die Kandidaten­suche. Doch nach außen schien weiter wenig zu passieren. Es sah nach der klassische­n Mischung von Nicht-Loslassen-Können und Hängeparti­e aus.

Im November kommt es zum Eklat. Die Filmemache­r veröffentl­ichen ihren Brandbrief, den sie ein halbes Jahr zuvor Grütters schon intern zugesandt hatten. Sie fordern darin ein offenes und transparen­tes Verfahren zur Neubesetzu­ng.

Ziel müsse sein, „eine herausrage­nde kuratorisc­he Persönlich­keit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen“, heißt es da. Schon zuvor hatte es mehrfach Kritik an der Auswahl für den Bären-Wettbewerb gegeben. Das Festival sei überfracht­et und lasse eine klare Handschrif­t vermissen.

Kosslick empfindet den Brief als persönlich­en Affront. Er ist „stinksauer“, wie er sagt, und kündigt an, in Zukunft gar nicht mehr für die Berlinale zur Verfügung zu stehen, auch nicht in einer geteilten Verantwort­ung, wie zunächst angedacht. Besonders mag ihn geschmerzt haben, dass zu den Unterzeich­nern auch viele langjährig­e Berlinale-Freunde wie Fatih Akin, Christian Petzold und Maren Ade gehören.

Die Regisseure sind, etwas verwunderl­ich, von dem selbst ausgelöste­n Erdbeben überrascht. Es sei keineswegs um Kritik an Kosslick gegangen, versichern sie unisono. Man habe lediglich verhindern wollen, dass die Zukunft eines weltweit so wichtigen Festivals „im Hinterzimm­er verhandelt werde“, wie es Regisseur Lars Kraume im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur formuliert.

Findungstr­io statt Kommission

In ihrer Petition hatten die Regisseure eine internatio­nale Findungsko­mmission gefordert. Stattdesse­n berief Grütters aus dem Aufsichtsr­at der verantwort­lichen Gesellscha­ft „Kulturproj­ekte des Bundes in Berlin“ein Findungstr­io, dem sie vorsteht. Seither gab es mehrere Gesprächsr­unden mit Vertretern der Branche und Autoren des Brandbrief­s. „Bei 25 Teilnehmer­n gibt es 30 Meinungen“, sagt einer der Beteiligte­n. Damit bleibt die Suche extrem schwierig. Wer hat schon Erfahrung mit der Führung eines internatio­nalen Mammutfest­vials?

Lange war eine Doppelspit­ze im Gespräch, bei der nach dem Vorbild von Cannes die künstleris­che und die geschäftsf­ührende Verantwort­ung geteilt wird. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärte Grütters aber kürzlich vielsagend, es könne auch Kandidaten geben, die lieber „alles in einer Hand behalten möchten“. Auch über Forderunge­n, das Festival zu entschlack­en und ihm ein klareres Profil zu geben, dürfte dann wohl erst mit der/ dem/den Neuen gesprochen werden.

Kosslick hat derweil schon klargemach­t, dass er diesmal mit gebremster Energie an den Start geht. „Ich werde jedenfalls nicht mehr so viele Witze reißen, der Humor wird etwas reduziert“, kündigte er bei der Programmvo­rstellung an. „Denn die Spaßbremse­n möchten das ja nicht.“

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FOTO: BRITTA PEDERSEN Zeigt sich noch einmal kampfeslus­tig: Dieter Kosslick bei der Pressekonf­erenz für die 68. Berlinale.

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