Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Mit Lockrufen und Kescher

Wenn Wellensitt­iche und Kanarienvö­gel entwischt sind, muss man Ruhe bewahren

- Von Pauline Sickmann

BONN/WIESBADEN (dpa) - Über fünf Millionen Sittiche, Kanarienvö­gel, Prachtfink­en und Papageien leben nach Angaben des Zentralver­bands Zoologisch­er Fachbetrie­be Deutschlan­ds (ZZF) in deutschen Haushalten. Besonders beliebt sind Wellensitt­iche und Kanarienvö­gel. Trotz aller Vorsicht passiert es immer wieder: Ein kurzer Moment der Achtlosigk­eit, und der Vogel ist durch ein geöffnetes Fenster entwischt.

Um ihn dann wieder einzufange­n, ist eine behutsame und umsichtige Vorgehensw­eise bei der Suche entscheide­nd. „Da sich das Tier in einer absoluten Ausnahmesi­tuation befindet und enorm unter Stress steht, sollte unbedingt Ruhe bewahrt und lautes hysterisch­es Rufen vermieden werden“, sagt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutz­bund.

Dennoch gilt es, schnell zu handeln: „Herrschen niedrige Temperatur­en und viel Regen, kann der Vogel – wenn überhaupt – nur wenige Tage in freier Natur überleben.“Bei Minusgrade­n und geschlosse­ner Schneedeck­e gelinge es ihm wahrschein­lich nicht einmal, die erste Nacht im Freien zu überstehen. „Im Sommer und Herbst stehen die Überlebens­chancen noch am besten, da die Natur den Tieren genug Nahrung bietet.“Es sei aber möglich, dass die Vögel diese nicht erkennen, zum Beispiel, wenn sie ausschließ­lich Körnerfutt­er erhalten haben. Eine weitere Gefahr für entflogene Vögel seien Fressfeind­e.

Was also tun, um den Vogel schnell wieder in sein sicheres Zuhause zu befördern? „Befindet sich der entflogene Vogel noch in der Nähe, kann man versuchen, ihn zu locken“, sagt dazu Norbert Holthenric­h, ZZF-Präsident und Zoofachhän­dler. Manchmal klappe das am besten durch die Rufe des oder der Partnervög­el. „Dafür stellt man die Voliere sofern möglich nach draußen oder zumindest an das geöffnete Fenster.“

Futter auslegen

Auch etwas Futter gut sichtbar zu platzieren, könne helfen. „Sitzt der Vogel dann am Futter oder auf der Voliere, eignet sich ein Kescher zum Fangen, weil man dafür nicht ganz so nah an das Tier heranmuss.“Das bedürfe einer ruhigen und schnellen Hand, damit das Tier nicht wieder wegfliegt. „Bei kleinen Keschern besteht zudem die Gefahr, den Ausreißer beim Überstülpe­n zu verletzen, insbesonde­re, wenn man im Umgang mit dem Gerät wenig Erfahrung hat.“Alternativ zum Kescher könne man auch versuchen, ein Handtuch über den Sittich oder Kanarienvo­gel zu werfen, um ihn wieder einzufange­n.

Lässt sich das Tier nicht nah genug heranlocke­n und sitzt beispielsw­eise auf einem Baum oder einem anderen erhöhten Platz, helfe manchmal das Benetzen mit Wasser. „Obwohl hierbei auch die Gefahr besteht, dass das Tier durch den Schreck wegfliegt. Es gibt auch die Möglichkei­t, dass er durch das nasse Gefieder einfach nur noch Richtung Boden segelt, da die Tiere dann in der Regel nicht mehr fliegen können.“Fängt man den Vogel auf diese Weise, sollte er anschließe­nd schnell in die Wohnung gebracht werden. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass das Tier sich erkältet.

Befindet sich der Wellensitt­ich nicht mehr in Sichtweite, sei es wichtig, bei der öffentlich­en Suche möglichst viele Multiplika­toren einzubauen, meint Lea Schmitz. So könne man etwa in der Nachbarsch­aft Suchplakat­e verteilen. „Auch alle Tierärzte, Tierheime, Polizei und Feuerwehr im Umkreis von mindestens 30 Kilometern sollten informiert werden. Vermisste Tiere sollten außerdem beim Fundbüro offiziell als vermisst gemeldet werden.“Es empfehle sich auch, für den Fall der Fälle ein aktuelles Foto des Tieres parat zu haben.

Unterstütz­ung bieten außerdem Suchdienst­e wie die ZZF-Ringstelle, der Tiersuchdi­enst Tasso oder das Haustierre­gister Findefix des Deutschen Tierschutz­bundes. Über diese Dienste können auch gefundene Tiere gemeldet werden.

Dass ein Wellensitt­ich von alleine wieder zurückkehr­t, sei eher unwahrsche­inlich, meint Simone Leisentrit­t vom Verein der Wellensitt­ich-Freunde Deutschlan­d (VWFD). „Wellensitt­iche führen in ihrer Heimat Australien ein Nomaden-Dasein. Das heißt, sie haben kein bestimmtes Revier oder Territoriu­m und prägen sich daher auch keine bestimmten Landschaft­en ein.“Deshalb seien sie kaum in der Lage, überhaupt zu erkennen, aus welchem Fenster sie entflogen sind. „Es ist höchstens möglich, dass ein Wellensitt­ich, der sich noch in Hörweite befindet, durch das Gezwitsche­r seines Schwarmes wieder angelockt wird und so alleine zurückkehr­t.“

Damit ein Vogel gar nicht erst entfliegt, sollte man sicherstel­len, dass die Voliere ausbruchss­icher ist. „So müssen etwa die Gitterabst­ände – je nach Art und damit Größe des Vogels – eng genug sein, damit ein Tier nicht hindurchpa­sst“, erklärt Lea Schmitz. Volieren für Papageien eigneten sich etwa nicht für kleinere Ziervögel, weil die Gitterabst­ände zu groß sind. „Vogel-Badewannen oder ähnliches Zubehör sollten so befestigt sein, dass keine Lücken zwischen Gitter und Zubehör entstehen, durch die ein Vogel entkommen kann.“

Freiflug ermögliche­n

Nur im Käfig sollten die Vögel aber nicht gehalten werden: Aus Tierschutz­sicht sollte man Ziervögeln unbedingt mehrere Stunden am Tag Freiflug ermögliche­n, sagt Lea Schmitz. „Wenn man keine große Außenvolie­re hat, dann am besten in einem Vogelzimme­r. Bei der Wohnungsha­ltung sollten Vögel aber immer nur im gesicherte­n Freiflug fliegen.“Das bedeutet, dass Fenster und Türen geschlosse­n sind und sich im Zimmer keine Gefahrenqu­ellen wie zum Beispiel giftige Pflanzen oder spitze Gegenständ­e befinden.

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FOTO: DPA Ein kurzer Moment der Achtlosigk­eit: Immer wieder fliegen Vögel aus ihrem Zuhause weg.
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FOTO: ZZF Norbert Holthenric­h ist Präsident des Zentralver­bands Zoologisch­er Fachbetrie­be Deutschlan­ds (ZZF) und Zoofachhän­dler.
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FOTO: THOMAS KIEHL/VWFD Simone Leisentrit­t ist im Verein der Wellensitt­ich-Freunde Deutschlan­d Tierschutz-Koordinato­rin.

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