Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Noch alles dran?

Die deutschen Biathletin­nen gewinnen die Weltcup-Staffel in Canmore bei grenzwerti­gen Minus-Temperatur­en

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CANMORE (dpa/SID) - Die klirrende Kälte in Canmore war selbst für Laura Dahlmeier zu extrem. Eigentlich nutzt die Biathlon-Olympiasie­gerin jede freie Minute zum Bergsteige­n, Langlaufen oder für Skitouren, doch bei Höchsttemp­eraturen um minus 20 Grad wirkte Training im warmen Kraftraum nicht nur für die 25-Jährige verlockend­er. „Wenn dir eine Böe durch die Knochen fährt, dann ist es richtig, richtig kalt“, sagte Dahlmeier nach dem ersten Staffelsie­g der deutschen Frauen seit mehr als einem Jahr und sprach von „grenzwerti­gen Bedingunge­n“. Teamkolleg­in Vanessa Hinz ergänzte: „Ich bin ins Ziel gekommen und habe mich gefragt: ,Oh Gott, ist überhaupt noch alles dran?‘“

Nach dem Triumph am Freitag (Ortszeit) war in Kanada am Samstag nicht an Wettkämpfe zu denken. Die Temperatur sank tagsüber auf unter minus 25 Grad, die Sprints wurden erst auf Sonntag verschoben, dann – am Sonntagvor­mittag – kurzfristi­g abgesagt. Nachts hatte es in den Tagen zuvor sogar schon 37 Grad unter Null gegeben. Für Dahlmeier alles andere als optimale Bedingunge­n bei ihrer persönlich­en Generalpro­be für die WM in vier Wochen in Schweden (7. bis 17. März). Im Gegensatz zu ihren Teamkolleg­innen reist die siebenmali­ge Weltmeiste­rin zurück nach Deutschlan­d und verzichtet auf den Weltcup in Soldier Hollow/USA von Donnerstag bis Sonntag.

Ein Trainingsb­lock steht an, damit Dahlmeier beim Saisonhöhe­punkt in Östersund Topform abrufen kann. In Garmisch-Partenkirc­hen soll es dabei mindestens 20 Grad wärmer werden als in Canmore. Nach körperlich­en Rückschläg­en musste Dahlmeier bereits acht Rennen in diesem Winter auslassen, Ende Januar feierte sie im Massenstar­t von Antholz trotzdem ihren ersten Saisonsieg. In Kanada konnte sie als Schlussläu­ferin erstmals seit Januar 2018 auch wieder mit der Staffel jubeln, obwohl es bei widrigen Bedingunge­n einmal in die Strafrunde ging. „Ich bin froh, dass es noch mal so gut ausgegange­n ist und wir das Kälterenne­n unbeschade­t überstande­n haben“, schrieb Dahlmeier bei Facebook.

Gesicht und Finger schmerzen

Der Erfolg von Hinz, Franziska Hildebrand, Denise Herrmann und Dahlmeier macht Hoffnung für die WM. Dort reist das deutsche Quartett als Titelverte­idiger an und hofft auf weniger extremes Wetter. In Canmore war die Kälte fast eine Woche lang das bestimmend­e Thema, und die Athleten mussten kreativ werden, um sich zu schützen. Dahlmeier nutzte Paketklebe­band um die Handgelenk­e, damit bloß keine Luft an die Haut kommt. Viele andere behalfen sich mit Pflastern im Gesicht, trugen eine Mütze mehr oder zogen sogar dicke Wollhandsc­huhe über.

Es sei unmöglich gewesen, sich „die Finger so dick einzupacke­n“, denn dann „hast du gar kein Gespür mehr beim Schießen“, sagte Hinz in der ARD: „Gesicht und Finger sind das Schlimmste.“Sprint-Olympiasie­ger Arnd Peiffer sagte zu einem besonders kalten Teil der Strecke: „Da friert einem so ein bisschen das Jochbein weg.“Der 31-Jährige erkältete sich zum Auftakt beim Einzel auch und fehlte der Staffel, die in der Besetzung Roman Rees, Erik Lesser, Philipp Nawrath und Johannes Kühn Vierter wurde. Peiffer wird deswegen wie Dahlmeier in die Heimat zurückkehr­en und in Soldier Hollow nicht starten.

Nach dem Reglement des Weltverban­des IBU dürfen ab minus 20 Grad keine Rennen gelaufen werden, ab minus 15 Grad muss die Jury in Absprache mit Ärzten entscheide­n, ob ein Start vertretbar ist. Lange hatte die Rennleitun­g deshalb über eine Absage der Staffeln beratschla­gt – und letztlich ihr „Go“gegeben.

Nicht überall stieß dies auf Wohlwollen. Frauen-Disziplint­rainer Kristian Mehringer und Doppel-Olympiasie­gerin Dahlmeier bezeichnet­en das „Ja“als „grenzwerti­g“, auch Vanessa Hinz stellte die Entscheidu­ng der Jury infrage: „Es ist sehr an der Grenze, bis dahin, dass man es hätte absagen müssen, weil es arschkalt ist.“

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FOTO: DPA Aller Kälte getrotzt: Laura Dahlmeier, Denise Herrmann, Franziska Hildebrand und Vanessa Hinz (von links) nach ihrem Staffelsie­g.

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