Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Politik leidet an Fixierung auf China“

Handels- und Wirtschaft­srechtler Daniel Zimmer hält europäisch­e Großfusion­en für politisch fragwürdig

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BERLIN - Nach der untersagte­n Fusion der Bahn-Sparten von Siemens und Alstom warnt Kartellrec­htler Daniel Zimmer, europäisch­e Großuntern­ehmen zu züchten. Dadurch entstünde eine „unfaire Wirtschaft­spolitik durch Ausbeutung der Kunden“kritisiert er im Gespräch mit Hannes Koch.

Margrethe Vestager, die EU-Kommissari­n für den Schutz des Wettbewerb­s, hat die von Siemens und Alstom geplante Fusion ihrer Bahntechni­k-Sparten untersagt. Warum finden Sie diese Entscheidu­ng richtig?

Auf dem europäisch­en Markt für Hochgeschw­indigkeits­züge und Signaltech­nik gäbe es nach einer Fusion weniger Wettbewerb. Kein Konkurrent würde Siemens-Alstom Paroli bieten. Das gemeinsame Unternehme­n würde höhere Preise durchsetze­n, die schließlic­h die Bahnkunden bezahlen.

Wettbewerb innerhalb Europas ist die eine Sache. Das spricht gegen Großfusion­en. Anderersei­ts stehen Deutschlan­d, Frankreich und die EU in globaler Konkurrenz zu chinesisch­en und US-Firmen. Wirtschaft­licher Einfluss bedeutet auch politische Durchsetzu­ngskraft. Wenn Europa sich und uns schützen will, braucht es starke Unternehme­n. Das spricht für Fusionen.

Wollen wir, dass mächtige Firmen ihre Kunden hierzuland­e ausbeuten, um sich dank dieser Mehreinnah­men anderswo mit subvention­ierten Preisen gegen Konkurrent­en durchzuset­zen? Das halte ich für politisch fragwürdig. Über solch unfaire Wirtschaft­spolitik beschweren sich hiesige Politiker gerne bei anderen Regierunge­n. Außerdem ist nicht gewährleis­tet, dass die Unternehme­n ihre höheren Gewinne tatsächlic­h zur Expansion nutzen. Mindestens ebenso naheliegen­d erscheint, dass sie ihren Aktionären einfach mehr Dividende überweisen.

Ein Argument für die Fusion bei Siemens und Alstom könnte sein: Wenn in Afrika europäisch­e Züge rollen, und nicht nur chinesisch­e, kann man mit dortigen Regierunge­n besser verhandeln – über Flüchtling­e, Rohstoffe, Umweltschu­tz. Was halten Sie von dieser Überlegung?

Sehr wenig. Der Zusammenha­ng leuchtet mir nicht ein. Warum sollte eine afrikanisc­he Regierung Abkommen mit Deutschlan­d schließen, nur weil dort Siemens-Züge unterwegs sind?

Auch ohne Fusion könnten Siemens und Alstom auf dem globalen Markt als gemeinsame­r Anbieter auftreten. Ist die Zusammenar­beit in Firmen-Konsortien nicht ein guter Kompromiss zwischen internem Wettbewerb und äußerem Einfluss?

Der gemeinsame Verkauf ist eine Kooperatio­nsmöglichk­eit, die viele Firmen nutzen. Dabei müssen sie allerdings das Kartellrec­ht im Zielland beachten. Wenn Verkaufska­rtelle dort verboten sind, geht so etwas nicht. Wird das jedoch berücksich­tigt, hätte ich keine erhebliche­n Bedenken gegen Konsortien.

Siemens und Alstom warben für ihren Zusammensc­hluss mit dem schönen Begriff „Airbus auf Schienen“. Soll heißen: Der staatlich geförderte, europäisch­e Flugzeugba­uer hat eine Erfolgsges­chichte geschriebe­n, die es zu wiederhole­n gilt. Stimmt die Analogie?

Nein. In der weltweiten Flugzeugin­dustrie herrschte damals eine beson- dere Situation mit starken Tendenzen zur Konzentrat­ion. Der US-Konzern Boeing wuchs durch Fusionen und beherrscht­e den Markt für große Passagierf­lugzeuge. Mit Airbus entstand ein Gegengewic­ht. Ohne Airbus gäbe es weniger Wettbewerb. Dagegen kennt der globale Markt für Bahntechni­k heute keinen so dominieren­den Anbieter wie damals Boeing. Durch Europa fahren keine chinesisch­en Züge. Die hiesige Politik leidet an ihrer Fixierung auf eine Gefahr aus China.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) plädiert neuerdings für Industriep­olitik – auch gegen China und die USA. Beispielsw­eise soll Europa Batterieze­llen für Elektroaut­os in gemeinsame­n Fabriken selbst fertigen, anstatt sie in Ostasien einzukaufe­n. Spricht denn aus Wettbewerb­ssicht etwas gegen diesen Ansatz?

Auch auf dem Weltmarkt für Batteriete­chnologie existiert kein Monopol. Einige asiatische Anbieter konkurrier­en miteinande­r, es gibt Auswahl, wenn auch mit wenig europäisch­er Beteiligun­g. Aus der Sicht des Wettbewerb­s besteht deshalb keine Notwendigk­eit, eine einheimisc­he Batteriepr­oduktion staatlich hochzuzieh­en. Und offenbar haben hiesige Unternehme­n solche Investitio­nen in der Vergangenh­eit kaum für aussichtsr­eich gehalten. Das sollte der Politik zu denken geben.

Als Reaktion auf die untersagte Bahnfusion wollen Altmaier und sein französisc­her Kollege Bruno Le Maire nun das europäisch­e Kartellrec­ht ändern. Solche Zusammensc­hlüsse zu untersagen, soll nun schwerer werden. Können Sie sich vorstellen, was da kommt?

Vielleicht wird daran gedacht, eine Art europäisch­er Ministerer­laubnis einzuführe­n. Soll die EU-Kommissari­n für Binnenmark­t, Industrie und Unternehme­rtum dann den Entscheidu­ngsvorschl­ag der Wettbewerb­skommissar­in aushebeln dürfen? Ich hielte das für falsch. Die EU untersagt durchschni­ttlich nur eine von 300 beantragte­n Fusionen pro Jahr. Da gibt es keinen Korrekturb­edarf.

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FOTO: DPA Skulptur in Peking: Der Drache steht in China für Glück und Macht. Wie Chinas wirtschaft­licher Macht zu begegnen ist, darauf sucht Europa derzeit Antworten.

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