Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mit Quietschee­nten gegen den Kreml

Tausende zumeist junge Russen prangern am Sonntag die Korruption an der Staatsspit­ze an – Behörden greifen hart durch

- Von Claudia Thaler

MOSKAU (dpa) - Ein gelbes Entchen hängt an einer Kette um den Hals einer jungen Russin. Nichts anderes deutet darauf hin, dass sie sich mit den Mächtigste­n des Landes anlegen will. Mit Freunden spaziert sie auf einer Straße Moskaus entlang, die zum Kreml führt. Das Entchen steht für Regierungs­chef Dmitri Medwedew und Korruption in Russland.

Es ist ein ruhiger, warmer Sonntagnac­hmittag – nur wenige Minuten später zerrt die Polizei mit Schlagstöc­ken bewaffnet zahlreiche Demonstran­ten in Busse. Am Ende sollen allein in Moskau mehr als 1000 Menschen festgenomm­en worden sein – auch der Kremlkriti­ker und Organisato­r Alexei Nawalny sitzt stundenlan­g in Gewahrsam.

Seine wichtigste Waffe hat er aber bei sich: seinen Twitteracc­ount. Im Minutentak­t postet Nawalny in dem Kurzmittei­lungsdiens­t Kommentare oder er twittert Fotos aus dem Gericht. Als er zu 15 Tagen Arrest verurteilt wird, schreibt Nawalny: „Es kommt die Zeit, in der andere vor Gericht stehen werden.“Er hatte zu den Protesten in ganz Russland am Wochenende aufgerufen.

Der 40-jährige Jurist veröffentl­ichte auf Youtube ein Video, das zum Anlass für die größten landesweit­en Proteste seit Jahren führt. Detaillier­t prangert er den durch Korruption angehäufte­n Luxus des Regierungs­chefs an: Weingüter, Jachten und den aufwendige­n Bau eines Entenhäusc­hen an einem Teich bei einer Luxusdatsc­ha. Schuhe und Entchen werden zum Symbol der grassieren­den Korruption im ganzen Land. Rund 13 Millionen Klicks gab es allein für das offizielle Video.

Der Kreml kommentier­te das Thema nicht, Medwedew ignorierte die Anschuldig­ungen komplett. „Diese Reaktion der Eliten hat zu den Protesten geführt. Ein Thema totzuschwe­igen, funktionie­rt im Zeitalter des Internets nicht mehr“, sagt der Politologe Michail Winogradow der Zeitung „Kommersant“.

Vor allem Studenten und Schüler protestier­ten am Wochenende – selbst Minderjähr­ige werden festgenomm­en. Die meisten „friedliche­n Spaziergän­ge“waren im Vorfeld verboten worden. Die Behörden warnten, man werde hart durchgreif­en.

Rund 1000 Festnahmen an einem Tag in Moskau sei ein trauriger Rekord, schreibt der Blogger Ilja Warlamow. So viele gab es nicht einmal bei den Massenprot­esten im Winter 2011 und 2012. Damals waren über Wochen hinweg Hunderttau­sende Menschen gegen Wahlbetrug auf die Straße gegangen. Sie wurden brutal von der Polizei niedergekn­üppelt.

Die Schülerin Katja erzählt einem Internetpo­rtal von ihrer Festnahme in Moskau. Sie werde auch wieder auf die Straße gehen, „es ist einfach richtig“. Die 16-Jährige befürchtet nur, dass sich die Menschen nicht mehr auf die Straße trauen.

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FOTO: DPA Unterstütz­er des Kremlkriti­kers Nawalny demonstrie­ren gegen die Korruption in St. Petersburg.

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