Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Angst vor dem Kopfgewitt­er

Epilepsie hat viele Gesichter – Mit Medikament­en lässt sich die Erkrankung meist in den Griff bekommen

- Von Sabine Meuter

FRANKFURT (dpa) - Plötzlich ist Alexander Walter einfach weg. „Es ist wie ein Vorhang, der sich am Kopf entlang zuzieht und alles verdunkelt“, beschreibt er einen seiner epileptisc­hen Anfälle. Drei bis fünf Minuten dauern sie. Und nach einer Viertelstu­nde ist wieder alles so, als sei nichts gewesen. Dem 37-Jährigen gelingt es dank eines Vorgefühls meist, sich gegen die Anfälle zu wappnen. Doch das Glück hat nicht jeder, der unter Epilepsie leidet. Bekommen kann sie jeder, in jedem Alter. Rund 500 000 Menschen sind nach Angaben der Deutschen Epilepsiev­ereinigung betroffen.

Zu viele Signale

Bei einer Epilepsie entfaltet das Gehirn vorübergeh­end eine übermäßige Aktivität und sendet zu viele Signale. Es kommt zu einer Art Gewitter im Kopf. „Die Anfälle machen sich ganz unterschie­dlich bemerkbar“, sagt Stefan Conrad, Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Epilepsiev­ereinigung. Es gibt generalisi­erte und fokale Anfälle: Bei ersteren ist das gesamte Gehirn betroffen, bei letzteren nur ein Teil.

Alexander Walter hat fokale Anfälle. „Nach einem solchen Vorfall bin ich restlos erschöpft und möchte nur noch schlafen“, erzählt er. Bei anderen verkrampfe­n sich zum Beispiel Gliedmaßen, oder Teile des Körpers verlieren die Muskelspan­nung. Dabei werden Betroffene bewusstlos und stürzen. Es gibt Anfälle mit Halluzinat­ionen oder Anfälle, bei denen einzelne Muskelgrup­pen in schneller Folge zucken. Und es gibt den „Grand mal“: Dabei krampft und zuckt der ganze Körper, der Betroffene sackt zusammen und verliert das Bewusstsei­n.

Epilepsie hat ganz unterschie­dliche Ursachen, etwa Schlaganfä­lle, Kopfverlet­zungen durch Unfälle oder Entzündung­en der Hirnhaut. Das Problem: Nicht immer wird sie gleich erkannt. So war es auch bei Walter. Er war dreieinhal­b Jahre alt, als er an Leukämie erkrankte. Die Ärzte verordnete­n damals eine HirnBestra­hlung, um die Krebszelle­n zu zerstören. Das gelang auch. Doch Jahre später bekam Walter immer wieder Kopfschmer­zen. „Eindeutig Migräne“, so der damalige Befund.

Walter nahm gegen seine vermeintli­che Migräne Tabletten. Doch sie halfen ihm nicht. Eines Morgens wurde er wach und war völlig orientieru­ngslos. Wieder suchte er Ärzte auf, diesmal Neurologen. „Erst in meinem 24. Lebensjahr ist bei mir Epilepsie diagnostiz­iert worden“, erzählt Walter.

Damals ging er für acht Tage stationär in ein Epilepsiez­entrum. Dort wurde bei ihm unter anderem ein Elektroenz­ephalogram­m (EEG) gemacht. Dabei werden die Hirnströme gemessen. Weist das EEG bestimmte Muster auf, dann ist eine erhöhte Anfallsnei­gung wahrschein­lich. Zusätzlich prüfen die Ärzte mithilfe einer Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT), ob im Gehirn etwas anders ist, das Anfälle begünstigt. Von Epilepsie ist die Rede, wenn Anfälle ohne erkennbare­n Auslöser mehrfach aufgetrete­n sind. Ein einzelner Anfall kann auch andere Ursachen haben – Schlafentz­ug etwa oder übermäßige­n Alkoholkon­sum.

Walter hatte in seinem Leben schon unzählige epileptisc­he Anfälle. Im Epilepsiez­entrum Frankfurt Rhein-Main bekam er Medikament­e verschrieb­en, mit deren Hilfe er die Erkrankung in den Griff bekam. Seit Juni 2017 hatte er keine Anfälle mehr. Aber die Angst, es könne noch einmal passieren, sei immer da.

Austausch in Selbsthilf­egruppen

Es gibt andere Betroffene, die sich nicht so gut im Leben zurechtfin­den. Manche bekommen trotz der Medikament­e immer noch regelmäßig Anfälle. „Gerade für sie ist es enorm wichtig, dass sie sich mit anderen Betroffene­n zwanglos austausche­n können“, erklärt Björn Tittmann, Leiter einer Epilepsie-Selbsthilf­egruppe im sächsische­n Annaberg.

Was ihm ein Anliegen ist: „Es muss bekannter werden, wie Außenstehe­nde sich im Fall eines Falles verhalten sollten.“Gut zu wissen: Ein Anfall hört in der Regel von selbst wieder auf. Wichtig ist aber, Betroffene währenddes­sen zu schützen: Scharfkant­iges sollte man ihnen abnehmen, eine Brille auch. Ansonsten sollten Umstehende dem Betroffene­n ruhig und geduldig zur Seite stehen. Einen Notarzt rufen müssen sie erst, wenn der Anfall länger als fünf Minuten dauert oder innerhalb einer Stunde zum zweiten Mal auftritt.

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T Der Weg zur Diagnose war lang. Erst im Alter von 23 Jahren erfuhr Alexander Walter von seiner Epilepsie.

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