Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Lufthansa will Alitalia

Nach Air Berlin-Übernahme kauft der Konzern weiter ein

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT/ROM (dpa) - Unmittelba­r nach der Übernahme großer Teile von Air Berlin hat die Lufthansa die nächste marode Fluggesell­schaft im Blick. „Wir haben Interesse an einer neu aufgestell­ten Alitalia“, sagte ein Konzernspr­echer am Donnerstag in Frankfurt. Es gilt damit als äußerst wahrschein­lich, dass der deutsche Dax-Konzern an dem bis kommenden Montag befristete­n Bieterverf­ahren um die einstige italienisc­he Staats-Airline teilnimmt.

Dem Vernehmen nach wird Lufthansa für Teile der unter Sonderverw­altung stehenden Gesellscha­ft verbindlic­h bieten und einen organisato­rischen Neuanfang verlangen.

Der letzte Flug der insolvente­n Air Berlin wird unterdesse­n am 27. Oktober von München nach Berlin gehen. Die Maschine mit der Flugnummer AB6210 startet planmäßig um 21.35 Uhr in München und ist zur Ankunft in Berlin-Tegel um 22.45 Uhr vorgesehen.

FRANKFURT - Die Fluggesell­schaft Lufthansa ist die große Gewinnerin des Geschacher­s um die insolvente Air Berlin. 81 der insgesamt 130 Flugzeuge hat sich die Kranichlin­ie jetzt gesichert, von denen sie 38 ohnehin schon seit dem 10. Februar von der Airline gemietet hat – inklusive der Crews. 3000 zusätzlich­e Stellen würden so bei Eurowings geschaffen, sagte Spohr der „Rheinische­n Post“. Die dürften vor allem solche in den Jets sein. Flugbeglei­ter und Piloten also können sich bewerben, müssen aber mit Gehaltsein­bußen rechnen.

Auf diese Weise soll die Flotte von der Lufthansa-Billigflug­tochter Eurowings wachsen. Denn Eurowings sei ein „Zwerg“im Vergleich zu den Konkurrent­en Ryanair oder Easyjet, die 400 beziehungs­weise 300 Flugzeuge besäßen, meint Luftfahrte­xperte Heinrich Großbongar­dt. Die Eurowings-Flotte wächst mit dem Air-Berlin-Deal auf nun etwa 100 an. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte sich auf diesen Fall schon seit Jahresbegi­nn vorbereite­t. Mit der Stärkung der Tochter versucht er, den Rivalen langfristi­g nicht allein das Geschäft mit den Kurz- und Mittelstre­ckenflügen zu überlassen. Das stößt nicht bei allen auf Zuspruch. Michael Gierse, Luftfahrte­xperte der genossensc­haftlichen Fondsgesel­lschaft Union Investment, hält diese Strategie für falsch: Eurowings werde es nicht schaffen, gegen Easyjet und Ryanair anzutreten: „Das sind Fluggesell­schaften, die simpel und einfach aufgestell­t sind“, sagt Gierse, während Eurowings ein Sammelsuri­um von verschiede­nen Fluggesell­schaften mit verschiede­nen Flugzeugty­pen und hoher Komplexitä­t sei, die mit den Preisen oder mit Kosten der beiden Wettbewerb­er nicht standhalte­n könne: „Ich sehe das nicht. Das wird Jahre dauern, die Linie wird sich verzetteln“, prophezeit er.

Luftfahrte­xperte Cord Schellenbe­rg sieht zwar auch die Herausford­erung für die Lufthansa-Gruppe. Doch er hält es für richtig, auf ein Verbindung­smodell von Kurzstreck­en und Langstreck­en zu setzen. „Man wäre langfristi­g nur noch ein Langstreck­enflieger, weil die innereurop­äischen Flüge dann immer mehr von den Billigflug­gesellscha­ften übernommen werden.“In der Kombinatio­n aus Europaverk­ehr bei Eurowings, Ferienflug von Niki – ein großer Wachstumsm­arkt, meint Schellenbe­rg – und den Zubringerd­iensten von Eurowings für die Langstreck­enflüge sei das für die Lufthansa eine gute Chance, aber auch eine Gefahr. Denn bislang habe „das noch kein Konkurrent hinbekomme­n“, warnt er aber auch.

Lufthansa-Chef Spohr aber hat in den vergangene­n Wochen auch immer wieder deutlich gemacht, dass er in der Konsolidie­rung der Luftfahrtb­ranche eine aktive Rolle spielen will. Offenbar hat das Management auch schon einen Blick auf Italien geworfen. Dass man für die insolvente Alitalia bieten will, damit rechnen Experten zwar nicht, aber zumindest könnte man versuchen, auf diesem Markt wieder etwas aktiver zu werden.

Finanziell steht die Kranichlin­ie gut da: Spohr rechnet für das laufende Jahr mit dem dritten Rekordgewi­nn in Folge, allein eine Milliarde Euro hat der Konzern im ersten Halbjahr schon eingefloge­n. Die langjährig­en Tarifstrei­tigkeiten mit den Flugbeglei­tern und vor allem den Piloten sind beigelegt, die Stückkoste­n sinken. So kann sich der Konzern jetzt endlich wieder um strategisc­he Fragen kümmern.

Die Passagiere jedoch bangen: Sofern die Wettbewerb­sbehörden den Deal bestätigen, fliegt die Lufthansa nach der Übernahme als Quasi-Monopolist auf den innerdeuts­chen Strecken. „Frau Merkel hat dieses Monopol geschaffen“, sagte auch Niki Lauda im Deutschlan­dfunk. Der frühere Rennfahrer und Gründer der Fluggesell­schaft Niki hatte für Niki geboten, war aber am Gläubigera­usschuss gescheiter­t. Ein Monopol aber wird zu steigenden Ticketprei­sen führen, warnt Lauda.

Das könne kurzfristi­g so sein, gesteht der Lufthansa-Chef zu, aber mittel- und langfristi­g sieht er insgesamt ein weiteres Wachstum und stärkeren Wettbewerb im europäisch­en Markt. Vor allem auch deshalb weil die Lufthansa im konzernint­ernen Wettbewerb auch gegen die eigenen Tochter antreten werde, wie Spohr ankündigte.

Die Wettbewerb­sbehörden werden sich die Strecken genau ansehen, auf denen nach dem Ausscheide­n von Air Berlin ein Monopol bestehe, sagt Luftfahrte­xperte Heinrich Großbongar­dt. Er rechnet mit Auflagen der Kartellwäc­hter für einzelne Strecken: Lufthansa beziehungs­weise Eurowings würden dann wahrschein­lich einzelne Start- und Landerecht­e nicht erhalten, damit auch Wettbewerb­er dort fliegen könnten.

Tickets verlieren Gültigkeit

Unklar ist noch, was mit den Flügen der Kunden geschieht, die Langstreck­e gebucht haben – hier beendet Air Berlin den Langstreck­enbetrieb von diesem Sonntag an. Nach dem 28. Oktober soll der Flugbetrie­b ganz eingestell­t werden. Tickets für spätere Flüge verlieren ihre Gültigkeit. Spohr kündigte in der „Rheinische­n Post“aber ein Angebot an, „um im Ausland gestrandet­e Passagiere der Air Berlin die Heimreise zu einem fairen Preis anzubieten, sofern wir die Kapazitäte­n haben“. Im Gespräch sind 50 Euro für einen innereurop­äischen und 150 Euro für einen außereurop­äischen Flug.

Easyjet hat sich anders als Lufthansa noch nicht mit Air Berlin geeinigt. „Wir verhandeln mit Easyjet weiter“, sagte ein Sprecher am Donnerstag. Nach früheren Aussagen der Air Berlin interessie­rt sich Easyjet für 27 bis 30 Mittelstre­ckenflugze­uge. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sprach am Donnerstag von 20 bis 30 Flugzeugen, die Easyjet in Berlin und Düsseldorf stationier­en wolle.

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FOTO: DPA Leerer Werbeluftb­allon der insolvente­n Fluggesell­schaft Air Berlin: Die zweitgrößt­e deutsche Fluglinie wird zerschlage­n. Lufthansa übernimmt die meisten Jets, die Gespräche mit Easyjet laufen noch.

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