Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Verurteilt­e

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Der Anblick werde in der Türkei nicht vergessen werden, meinen Zeitzeugen: Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren betritt mit Baby in den Armen das Gefängnis, in dem sie eingesperr­t werden soll – weil sie das Sterben von Kindern im Krieg beklagt hat. Zusammen mit ihrer acht Monate alten Tochter Deran trat die 31-jährige Lehrerin Ayse Celik am Wochenende im südosttürk­ischen Diyarbakir ihre Haftstrafe an. Ihr Vergehen: in einem Anruf bei einer TV-Talkshow das Leid der Bevölkerun­g bei Kämpfen in Südostanat­olien angeprange­rt zu haben. Das Urteil: 15 Monate Haft wegen Propaganda für eine Terrororga­nisation.

Begleitet wurde Celik bis zum Gefängnist­or von der aus Deutschlan­d stammenden türkischen Parlaments­abgeordnet­en Feleknas Uca. Der Fall sei eine „Tragödie“und ein Zeichen für die Erosion des Rechtsstaa­tes in der Türkei, sagte Uca. Celik hatte im Januar 2016 inmitten heftiger Gefechte zwischen der türkischen Armee und der verbotenen Terrororga­nisation Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) im Kurdengebi­et in der Talkshow „Beyaz Show“geklagt, dass im Westen der Türkei die Lage der Menschen im ostanatoli­schen Kampfgebie­t ignoriert werde. „Die Menschen sollen nicht sterben, die Kinder sollen nicht sterben“, sagte sie in ihrem Anruf aus dem Kurdengebi­et. „Die Mütter sollen nicht weinen.“

Die Studiogäst­e applaudier­ten, die türkische Justiz wertete Celiks Aussage als Verbreitun­g von PKK-Propaganda: Ihr Appell lasse die türkische Armee als potenziell­en Aggressor erscheinen. Als Celik ein Jahr später zu ihrer Haftstrafe verurteilt wurde, war sie schwanger. Wegen der Geburt des Kindes erhielt sie einen einjährige­n Haftaufsch­ub, der jetzt ablief. Wie Celik sitzen mehrere Hundert türkische Frauen mit ihren Kindern im Gefängnis. Susanne Güsten

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FOTO: FELEKNAS UCA Die Lehrerin Ayse Celik mit ihrem Baby.

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