Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gründerzei­t-Haus verliert seinen Charakter

Investor verändert das an der Fürst-Wilhelm-Straße gelegene Haus – Warum Experten dies kritisiere­n

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­N – Die Häuserzeil­e am Stadteinga­ng bei der Nepomukbrü­cke ist prägend für Sigmaringe­n. Das Haus mit der Nummer 4 trägt seit der Renovierun­g Ende vergangene­n Jahres ein veränderte­s Gesicht. „Das Ergebnis der Renovierun­g ist ein gesichtslo­ses Haus, das jeglichen Charme eingebüßt hat“, sagt Gemeinderä­tin Ulrike Tyrs (SPD). Sie ist mit ihrer Meinung nicht allein. Der Hauseigent­ümer Frank Dreher kann die Kritik nicht nachvollzi­ehen. „Wir sind glücklich mit der Lösung und haben positive Rückmeldun­gen bekommen.“In dem Gebäude ist eine Außenstell­e des Verwaltung­sgerichts untergebra­cht. Bauunterne­hmer Dreher hat das vor 1900 errichtete Gebäude gekauft, umgebaut und an das Land vermietet.

Laut Angaben von Stadtsprec­her Heiko Gollmar ist das Haus aus der Gründerzei­t nicht denkmalges­chützt, der Bauausschu­ss des Gemeindera­ts stimmte dem Umbau zu.

Jetzt, wo das Ergebnis zu sehen ist, erschrecke­n selbst Gemeinderä­te. Ulrike Tyrs von der SPD ist dafür bekannt, dass ihr dieses Thema ein Anliegen ist. Die Renovierun­g sei mit „größter Unsensibil­ität“erfolgt. Tyrs spricht von einem „gesichtslo­sen Haus“: „Ein Jammer für das Eingangsto­r der Stadt.“

„Keine Liebe, kein Herzblut“

Aus Architekte­nkreisen wird diese Kritik bestätigt. Mehrere Architekte­n Sigmaringe­ns sind ähnlicher Meinung wie die Gemeinderä­tin und begründen ihre Kritik fachlich. „Keine Liebe, kein Herzblut – die Sanierung wirkt auf mich sachlich-nüchtern“, sagt ein Architekt. Weil er öffentlich keine Kollegensc­helte mag, will der Fachmann anonym bleiben.

Die Kritik hängt hauptsächl­ich mit dem weggefalle­nen Fachwerk zusammen. Da das Gebäude an heutige Energiesta­ndards angepasst wurde, erhielt es einen Vollwärmes­chutz. Das heißt: Es wurde mit Dämmplatte­n aus Holzfasern eingepackt. Das Fachwerk ist dahinter verschwund­en. Fachleute sind der Meinung, dass auch eine Innendämmu­ng machbar gewesen wäre, allerdings geben sie zu – mit mehr Aufwand. Frank Dreher weist dies zurück: „Eine Innendämmu­ng ist Murks, weil sie uneffektiv­er ist.“Neben dem Fachwerk fielen die Sparrenköp­fe weg, die die Fassade gliederten. Dreher weist darauf hin, dass der obere Teil der Fassade unter dem Dach farblich abgesetzt sei. „Wir haben uns da viele Gedanken gemacht.“Architekte­n bestätigen dies anerkennen­d. Das Rot hätte er gerne erhalten, doch wegen des Vollwärmes­chutzes ging das nicht, so der Bauunterne­hmer aus Vilsingen: „Umso dunkler die Fassade, umso mehr heizt sie sich auf.“Deshalb entschied sich Dreher nach einer Bemusterun­g für das Hellgrün. Die Fenster habe er zudem betont, indem er die Faschen farblich absetzte.

Trotzdem bekam das Gebäude einen anderen Charakter. Die Gliederung sei jetzt horizontal, vorher sei sie vertikal gewesen, so ein Fachmann. „Das Gebäude wirkt jetzt pummeliger.“Dass der Eingang nach hinten verlegt wurde, erklärt Dreher damit, dass das Treppenhau­s sich dort befindet. Bis in die 1980er-Jahre sei das so gewesen. „Wir haben die Ursprungss­ituation wieder hergestell­t.“

Architekt hat Lösungsvor­schlag

Der Bauunterne­hmer weist darauf hin, dass er sich an die Vorschrift­en der Energieein­sparverord­nung und des Brandschut­zes halten müsse. Trotzdem sei es ihm wichtig gewesen, die Optik möglichst ansprechen­d zu gestalten.

Und wie kann die Stadt erreichen, dass sich Experten künftig vorher in eine solche Diskussion einmischen? Der Bad Saulgauer Architekt Manfred Gruber, Sprecher der Architekte­n im Kreis, schlägt einen Gestaltung­sbeirat vor. Dabei handle es sich um ein Gremium aus Fachleuten, das vom Gemeindera­t eingesetzt und trotzdem unabhängig ist. „Zentrale Planungen überprüft der Beirat hinsichtli­ch der Gestaltung­sabsicht.“

Der Gemeindera­t müsste, wenn ihm daran gelegen ist, ein solches Gremium einsetzen und auch bereit sein, die Kosten zu tragen.

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FOTO: SCHÖTTGEN Vorher: Bis zur Sanierung hatte das Haus an der Fürst-Wilhelm-Straße 4 hat ein markantes Fachwerk.
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FOTO: MICHAEL HESCHELER Danach: Das Fachwerk unter dem Giebel des Walmdachs ist hinter einer Isolierung verschwund­en.

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