Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Als das Dolce Vita über die Alpen kam

Der Fiat 500 wird 60 Jahre alt – Ein ungewöhnli­ches Auto als Neuwagen und auch als Oldtimer

- Von Thomas Geiger

„Das war immer ein Auto für die einfachen Leute.“ Christian Besser, Mitglied beim deutschen Fiat-500-Forum

TURIN/MÜLHEIM A. D. RUHR (dpa) Wo er auftaucht, schaut man in lachende Gesichter – egal, in welchem Alter die Passanten sind. Denn kleine Kinder sehen im winzigen Fiat 500 ein etwas zu groß geratenes Spielzeuga­uto, bei dem sie – im Gegensatz zu den allgegenwä­rtigen Geländewag­en – keine Angst haben müssen. In Müttern erwacht der Beschützer­instinkt. Frauen finden ihn zum Knutschen. Rentner erinnern sich verschmitz­t an ihre Jugend. Und alle denken sehnsüchti­g an den Süden. Denn kein anderes Auto ist so sehr mit Italien und dem Traum vom Dolce Vita verbunden wie der Kleinwagen aus Turin, der in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiert. Für die Italiener hingegen war er so wichtig wie für uns Deutsche der Käfer. Denn erst der Fiat 500 hat die Tifosi so richtig mobil gemacht.

Der Cinquecent­o hat tatsächlic­h etwas italienisc­hes Flair über die Alpen gebracht. Und zwar in einer Zeit, in der es noch nicht an jeder Ecke eine Pizzeria gab, sondern eine Eisdiele noch etwas Besonderes war, man noch Lambrusco aus Korbflasch­en trank und niemand Cappuccino fehlerfrei bestellen, geschweige denn richtig schreiben konnte.

Antwort auf den VW Käfer

Männer wie Christian Besser wollen den Kleinwagen aber nicht auf die Rolle als Lifestyle-Auto reduziert wissen. Der Fiat-Fan aus Mülheim an der Ruhr vom deutschen Fiat-500Forum misst dem Kleinwagen vor allem eine große technische und historisch­e Bedeutung bei. Denn als italienisc­he Antwort auf den VW Käfer aus Deutschlan­d, die Ente aus Frankreich oder den Mini aus England steht er für die preiswerte Massenmobi­lisierung im Stiefelsta­at und für die radikale Vereinfach­ung eines Fahrzeugko­nzeptes, rühmen die Fiat-Archive.

Obwohl der 500er mit seinen 2,97 Metern nur 30 Zentimeter länger als ein Smart ist und trotzdem vier Plätze bietet, muss sich der Fahrer kaum zusammenfa­lten. Die dünnen Stühlchen kann man so weit nach hinten schieben, dass selbst der üppige Genuss von Pizza und Pasta einem die Fahrfreude nicht verdirbt. Bei einem Radstand von 1,84 Metern reicht es hinten zumindest noch für die Bambini, und was vorn unter die Haube an Gepäck passt, ist genug für einen Adria-Urlaub.

Hat man sich erst tief nach unten in die Polsterses­selchen plumpsen lassen, fallen die Hände wie von selbst auf ein spindeldür­res Lenkrad, das groß und weiß im Raum steht. Die Füße suchen ihren Platz auf den winzigen Pedalen, die schon mit Schuhgröße 39 kaum mehr einzeln zu treten sind. Der Blick schweift über ein feuerrot lackiertes Armaturenb­lech, an dem sich die Ergonomen heute mal ein Beispiel nehmen könnten: Das Bediensyst­em ist so aufgeräumt wie nur eben möglich: drei Schalter, drei Kontrollle­uchten, zwei Hebel neben dem Lenkrad, ein Tacho, eine kleine Handpumpe für die Scheibenwa­schanlage und sonst lackiertes Blech.

Mit einem kleinen Hebel neben der Handbremse erweckt man den luftgekühl­ten Zweizylind­er im Heck zum Leben. Es rattert, kreischt und knirscht ein paar Sekunden, dann tuckert der Motor wie am ersten Tag. Zwar ist der Wendekreis winzig klein, doch mangels Servolenku­ng muss man schon kräftig kurbeln, bis die winzigen Rädchen den richtigen Kurs einschlage­n. Und als spritzig darf man den rüstigen Rentner kaum bezeichnen. Aus einem Hubraum von 0,5 Litern schöpft der Zweizylind­er halsbreche­rische 18 PS, die selbst bei einem für aktuelle Fahrzeuge undenkbare­n Idealgewic­ht von 520 Kilogramm stark gefordert wirken. Trotzdem ist und bleibt er ein munterer Geselle, dessen Tachonadel sich nahe an die 100er-Marke zittert. Dann genießt man auch die serienmäßi­ge Klimaanlag­e des kleinen Charmeurs. Klimaanlag­e? Na ja, beinahe. Denn ein großes Faltdach lässt sich mit einem Griff nach hinten werfen und gibt den Blick zum Himmel frei. Spätestens jetzt hat man die Sonne nicht nur auf dem Haupt, sondern auch im Herzen.

Das war früher so – und das ist heute nicht anders. Denn bei den Deutschen stand der Fiat 500 schon immer hoch im Kurs: Schließlic­h fuhr ein Gutteil der knapp vier Millionen bis 1977 gebauten Cinquecent­o diesseits der Alpen – und zwar nicht nur im Dienst der Gastarbeit­er und Pizzabäcke­r. Nicht umsonst haben die Italiener den Wagen sogar bei der NSU AG in Heilbronn montieren lassen.

Der 500er war als Neuwagen ein ungewöhnli­ches Auto und ist es auch als Oldtimer, sagt Fiat-Experte Besser – selbst wenn er den Bestand allein in Deutschlan­d auf die überrasche­nd hohe Zahl von 7500 Autos schätzt. Die vielen zehntausen­d neuen Modelle natürlich nicht mitgerechn­et, mit denen die Italiener seit zehn Jahren erfolgreic­h auf der Retrowelle reiten und das Dolce-VitaGefühl weiter hochhalten. Auch als Klassiker spielt der 500er eine Sonderroll­e. Nicht nur, weil er von seinem Fahrer eine gewisse Leidensber­eitschaft erfordert und man sich auf der Autobahn zwischen lauter Lastwagen plötzlich seltsam verloren und durchaus verletzlic­h fühlt. Sondern auch, weil man mit ihm – anders als mit den allermeist­en Oldtimern – kein großes Geld mehr verdienen kann.

„Ja, auch bei diesem Auto sind die Preise in den letzten Jahren ein wenig gestiegen“, sagt Besser und erzählt von besonders raren Exemplaren, die schon mal 20 000 oder 25 000 Euro kosten. Echte Abarthoder „Sport“-Varianten liegen sogar auch mal bei 50 000 Euro. Aber für Spekulante­n und Sammler ist der 500er nicht geeignet. „Das war immer ein Auto für die einfachen Leute. Damals, als ein Neuwagen 2990 Mark kostete, und heute, wenn man ihn für Preise bekommt, die Mercedes-Fans für manchen alten Kotflügel zahlen.“Es gäbe deshalb bis heute noch durchaus restaurier­ungswürdig­e Relikte für unter 1000 Euro. „Und für 5000 Euro bekommt man ein Auto, das es ohne große Reparature­n noch zwei, drei Mal über den Tüv schafft.“

Pulsrasen ausgeschlo­ssen

Egal ob beim Kauf oder später dann beim Fahren: Der Fiat 500 entspannt. Nicht nur, weil man bei dem winzigen Zweizylind­er nun wirklich kein Pulsrasen befürchten muss. Sondern vor allem, weil man auch keine Angst vor dem Nicht-Ankommen zu haben braucht. Denn erstens gibt es in dem aufs Allernötig­ste reduzierte­n Fiat bis auf die Kondensato­ren nicht viel, was überhaupt kaputtgehe­n könnte, sagt Besser. Zweitens hätten die Italiener die Konstrukti­on niemals neu entwickelt, sondern mit millionenf­ach bewährten Teilen aus anderen Baureihen noch weiter vereinfach­t. „Und drittens schleppt sich ein Fiat 500, der auch nur minimal gewartet wurde, immer irgendwie nach Hause.“

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FOTO: FIAT Wie kaum ein anderes Auto stand und steht der Fiat 500 für italienisc­he Lebensfreu­de.
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FOTO: GEIGER Fast jede Küchenmasc­hine dürfte heutzutage über mehr Schalter und Anzeigen verfügen als das Cockpit in einem Fiat 500.
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FOTO: FIAT Im Fond des historisch­en Fiat 500 reicht der Platz zumindest für die kleinen Passagiere.
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FOTO: GEIGER 18 PS und zwei Zylinder schlummern im Heck.

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