Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Ich brauch’s bunt“

Serienauft­akt: Mit vielen Fliesen und Fugenmasse hat Lioba Kuhl ihr Haus im Stil Hundertwas­sers verziert

- Von Anna-Lena Buchmaier

SIGMARINGE­N - Eine Gruppe Radfahrer fährt die Badstraße entlang, vor Haus Nummer 29 ruft einer: „Schau mal, das Haus – wie von Hundertwas­ser!“. Lioba Kuhl wird ständig von Passanten auf ihr Haus angesproch­en, das ringsherum und innen wie außen mit kleinen Fließen verziert ist.

Im Garten stehen bauchige Stelen aus Blumentöpf­en, kombiniert mit Fliesenfel­dern. Der Carport ebenso wie der Garten, die Regenrinne, ja sogar der Briefkaste­n und das Blumenbeet, alles ist kunterbunt und steht miteinande­r im ästhetisch­en Dialog. Nicht selten stehen Fremde bei ihr im Garten und machen neugierig Fotos oder stellen Fragen.

Mit viel Liebe fürs Detail und Farbenreic­htum hat die 55-Jährige ihr Haus im Lauf der vergangene­n 14 Jahre immer weiter verschöner­t. Die Passanten, die im ersten Augenblick dabei aufgrund des Farbenreic­htums und der Formsprach­e an den Künstler Friedensre­ich Hundertwas­ser denken, sollen Recht behalten: Sein Lebenswerk hat die Sigmaringe­rin zu ihrem Gesamtkuns­twerk inspiriert.

Ausschlagg­ebend war ein Urlaub

Als sie im Jahr 2000 in das Haus ihres früheren Mannes einzog, sah dieses noch anders, normal, aus. „Er ließ mir freie Hand“, sagt die Sigmaringe­rin. Während eines Urlaubs in Uelzen besichtigt­e sie den von Hundertwas­ser umgestalte­ten Bahnhof und war fasziniert. „Es gab kaum Ecken, alles war rund und bunt, scheinbar nichts mit dem Lineal gemessen. Sogar die Böden seiner Gebäude sind uneben.“Daheim angekommen nahm sie zunächst einen Tisch und eine Wand des Treppenhau­ses in Angriff, welche sie mit zerkleiner­ten Fliesenspl­ittern, Fliesenkle­ber und Fugenmasse aus dem Baumarkt verzierte. „Irgendwo fängt man halt an. Ich habe mich so langsam vorgetaste­t“, sagt die Hobby-Heimwerker­in. „Es ist schon aufwendig und braucht Geduld und Durchhalte­vermögen.“

Das zahlt sich aus: Weil sie selbst kleinste Stellen zwischen den Fliesen mit Fugenmasse auskleidet und nicht am Material spart, sind die Mosaike, auch jene, die der Witterung ausgesetzt sind, über die Jahre schön und ganz geblieben.

Nach und nach machte sie sich also mit Material und Technik vertraut, holte sich Rat bei Handwerker­n und schaffte sich einen Fundus an Material und Wissen an; weitere Reisen zu Hundertwas­ser-Wirkungsst­ätten folgten. Auch der Fußboden in der Küche ist zum Teil in der Mosaiktech­nik gestaltet. Wie eine Pflanze wächst, mal hier, mal da, ein organische­r Fliesentep­pich aus der Wand. Ein Dachfenste­r im Treppenhau­s ist mit Steinchen umrahmt, diese tun es den Treppen gleich und breiten sich kaskadenar­tig ins Erdgeschos­s aus, integriere­n schließlic­h einen Spiegel an der Wand. Ein hervorsteh­endes Rohr in der Gästetoile­tte hat Kuhl in eine Stele verbandelt, der ganze Raum funkelt, weil sich das Licht in den Fliesen bricht. An der Außenfassa­de entwickeln sich Farbtropfe­n zu homogenen Form-Strömungen und Spiralen. Selbst ein Wasserscha­den im Wohnzimmer ist für Kuhl ein Anlass, kreativ tätig zu werden: Unschöne Wasserränd­er hat sie in ein Mosaik eingefasst. Die Arbeitsstu­nden, die in ihrem Haus stecken, hat sie nie gezählt. Jedes Zimmer ist anders.

„Das Leben soll bunt sein“

„Wenn ich durch ein Neubaugebi­et gehe, sehe ich nur weiße Fenster, graue Stelen, anthrazitf­arbene Garagentor­e. Das ist trist. Das Leben soll bunt sein“, sagt die 55-Jährige, die auch die Fliesenaus­wahl im Baumarkt häufig zu langweilig findet („zum Glück kann man fast alles bestellen“). Auch in Sachen Kleidung lautet ihr Motto: „Ich brauch’s bunt.“ Für ihr Haus erhalte sie viel Lob – jedermanns Sache ist es aber nicht. „Manche sagen mir, sie finden es toll, wollten aber selbst nicht so leben.“Angst, sich an der farblichen Opulenz sattzusehe­n, hat sie nicht. Aber Bedarf für weitere Verschöner­ungen sieht sie derzeit ebenfalls keine.

Vor wenigen Jahren wurden die Fenster erneuert – sie sind nun blau und passen hervorrage­nd zur roten Fassade, die übrigens schon immer rot war. Zum Beruf wollte sie ihr Hobby nie machen – auch wenn ihr schon einmal ein Fliesenleg­er ein Angebot gemacht hatte. Auf Knopfdruck will Lioba Kuhl, die als Hausmeiste­rin im Rathaus arbeitet, nämlich nicht kreativ sein müssen. Dank ihrer 50-Prozent-Stelle arbeitet sie eine Woche voll, die darauffolg­ende gar nicht. In jenen Wochen der Freizeit und Muse „kann dann was entstehen“, sagt Lioba Kuhl.

Eine Bildergale­rie mit Einblicken vom Haus finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/ hundertwas­ser-sig

 ?? FOTOS: ABU: ?? Lioba Kuhl ist großer Fan des Künstlers Friedensre­ich Hundertwas­ser und hat ihr Haus innen wie außen mit vielen Mosaiks versehen.
FOTOS: ABU: Lioba Kuhl ist großer Fan des Künstlers Friedensre­ich Hundertwas­ser und hat ihr Haus innen wie außen mit vielen Mosaiks versehen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany