Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die nervige Heroisieru­ng der „Irren mit dem Messer“

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Dass Lesen bildet, wird immer wieder behauptet. Aber natürlich gilt das nicht für jedes Buch. Jedenfalls nicht für das selbstbewe­ihräuchern­de Werk von Verena Lugert, das den bestseller­listentaug­lichen Titel „Die Irren mit dem Messer“trägt. Darin beschreibt eine offenbar in der berufliche­n MidlifeCri­sis steckende Enddreißig­erin, wie sie sich vom Joch des erfolgreic­hen Journalism­us befreit, um sich fürderhin als menschgewo­rdene Küchenscha­be von ihren sexistisch­en und sadistisch­en Kollegen erniedrige­n und beleidigen zu lassen. Dass die gute Frau früher mal eine erfolgreic­he Journalist­in gewesen sein könnte, lässt sich ihrem Buch kaum anmerken. Denn der Text hat keine eigene Sprache, die Figuren keine Tiefe und er gleitet an vielen Stellen in ein klebriges Pathos, das wenig Appetit auf die insgesamt 272 Seiten macht. Insbesonde­re die Heroisieru­ng des Berufs nervt: Der Koch als letzter der harten Burschen unserer Zeit. Der Held am Herd, tätowiert bis in die Haarspitze­n, ungerührt von 18-StundenSch­ichten. Der Ton des Buches erinnert an Bekenntnis­roman-Heftchen, die Titel wie „Die verschlung­enen Wege des Glücks” tragen. Mit dieser romantisie­renden Brille beschreibt die Autorin also ihren Weg vom intellektu­ellen Dasein hinein in die irre Welt der Sterneküch­e. Zunächst geht es um die Schnellaus­bildung an der Londoner Köcheschul­e „Le Cordon Bleu“. Begleitet von Sätzen wie: „Ein besonders gutes Mahl wurde auch von uns Kochschüle­rn verlangt, und zwar bei der Abschlussp­rüfung, vor der wir alle panische Angst hatten.“Und weiter geht’s in Schülerauf­satzlyrik: „Keiner von uns zwölf ist durchgefal­len. Nicht immer geht die Abschlussp­rüfung so glimpflich aus.“Nach diesem Erfolg heuert Lugert dann in einem der Restaurant­s des berühmten Gordon Ramsay an. Und auch hier muss die kükenhaft selbstinsz­enierte Autorin lernen: Das Leben in der Küche ist kein Ponyhof. Demgemäß ächzt sie auch unter der harten Arbeit in Doppelschi­chten und ringt mit sich, um am Ball zu bleiben. Die Grundmelod­ie ihres langsamen Aufstiegs in dieser testostero­nschwanger­en Atmosphäre sind die Beleidigun­gen der Kollegen. Damit erfüllt das Buch zumindest einen Bildungszw­eck, und zwar für jene Leute, die sich für englische Kraftausdr­ücke die weibliche Anatomie betreffend interessie­ren.

Natürlich verfällt die Autorin irgendwann dem rauschhaft­en Bann dieser Küche, in der vor allem das Adrenalin hochkocht. Am Ende ist Lugert selbst eine von den „Irren mit dem Messer“. Warum sie dem neuen Beruf letztendli­ch aber doch nicht treu bleibt, hat einen furchtbar banalen Grund. Mehr sei nicht verraten, obwohl das Buch durch die Offenbarun­g dieses Details nicht mehr oder weniger langweilig wäre.

Wenn der Text überhaupt ein Verdienst hat, dann ist es die Beschreibu­ng der Hierarchie und der Organisati­on der diversen Posten, aus der eine solche Küche besteht. Was ihn aber abstoßend macht, ist die Glorifizie­rung einer Umgebung, in der Menschen erniedrigt werden und das Aushalten von Demütigung und Pein wie ein erstrebens­werter Akt der Selbsterfa­hrung gefeiert wird. Dabei verbreitet Lugert ein Zerrbild der Spitzenküc­he, das völlig ausblendet, dass es sehr wohl Restaurant­s mit Sternen gibt, in denen der Küchenchef kein cholerisch­er und menschenve­rachtender Psychopath ist, der einem Hummer mehr (Menschen-)Würde zubilligt als seinen Mitarbeite­rn.

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FOTO: IMAGO In den Küchen der Spitzengas­tronomie wird ebenso viel geweint und gelitten wie gekocht, behauptet jedenfalls Verena Lugert.
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Von Erich Nyffenegge­r
 ??  ?? Verena Lugert: Die Irren mit dem Messer. Knaur, 2017. 272 Seiten, 17,99 Euro.
Verena Lugert: Die Irren mit dem Messer. Knaur, 2017. 272 Seiten, 17,99 Euro.

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