Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kein eigenes Gesicht

Dreamcar sind No Doubt ohne Gwen Stefani – mit Ersatz-Sänger

- Von Jochen Schlosser

Was tun, wenn einem die Frontfrau immer häufiger abhanden kommt? Vor diesem Problem steht der Rest der Erfolgsban­d No Doubt, seit Sängerin Gwen Stefani wahlweise ihre musikalisc­he Solokarrie­re vorantreib­t, als Designerin oder Schauspiel­erin aktiv wird oder sich vorrangig um ihre drei Kinder kümmert. Was auch immer die schöne Gwen macht, die Herren Tony Kanal (Bass), Tom Dumont (Gitarre) und Adrian Young (Schlagzeug) langweilen sich. Deshalb riefen sie nun das Projekt Dreamcar ins Leben. Dass die Jungs mal wieder neue Musik aufnehmen wollten, ist weitaus weniger überrasche­nd als der nun ausgewählt­e Sänger: Es handelt sich um Davey Havok. Davey wer? Der Mann steht normalerwe­ise bei den recht schrägen Rockern von AFI am Mikrofon. Die Gefahr, dass da einer ähnlich viel Aufmerksam­keit auf sich zieht wie ansonsten Stefani, bestand tatsächlic­h nicht.

Viel Pop, kein Ska

Somit gilt der volle Fokus der Musik. Doch was wirklich hätte spannend werden können, ist de facto einfach ein nettes Pop-Album geworden. Havok hat in allen möglichen Interviews betont, dass das Album an seine „musikalisc­he Kindheit“erinnern soll: an New Wave, an die New-Romantic-Helden aus den 80er-Jahren. Wen er damit wohl gemeint haben mag? Ultravox in ihrer späten Phase? Etwa New Order? Oder sogar Duran Duran? Womöglich sogar die frühen Depeche Mode? Mit den tieftrauri­gen Klängen von Joy Division, wie die Supergroup selbst immer wieder betont, hat das alles jedenfalls wenig bis gar nichts zu tun. Dreamcar klingen zwar stark nach den 80er-Jahren und extrem nostalgisc­h, aber es ist eben eher Retro-Power-Pop mit ein bisschen Alternativ­e Rock geworden: New Order (auf radiotaugl­ich getrimmt) oder auch The Cars und A Flock Of Seagulls könnten als Referenz herhalten. Und wer darauf gehofft hätte, dass No Doubt ohne ihre allzu erfolgsbes­essene Frontfrau endlich wieder Ska oder Punk spielen, wie einst in ihren eigenen Anfangstag­en als Madness-Coverband, der wird bitter enttäuscht.

Schlecht ist das Album deswegen wahrlich nicht. „Kill For Candy“, die Single, ist perfekter, melodramat­ischer Pop – und tatsächlic­h ein Lied, dass sich im Kopf festsetzt. Auch „All The Dead Girls“bleibt hängen. Bei „On The Charts“gibt es eine kurze Passage mit Sprechgesa­ng, die tatsächlic­h ein bisschen an die Pet Shop Boys erinnert. Es bleibt allerdings die einzige echte Überraschu­ng auf dem perfekt auf Hochglanz produziert­en Album. Das restliche Songmateri­al ist grundsolid­e, rauscht aber vorbei wie ein Güterzug durch die nächtliche Stadt. Das Album läuft wunderbar durch, jedoch eher als Hintergrun­dmusik. De facto fehlt Dreamcar irgendetwa­s Eigenes, ein eigenes Gesicht. Vielleicht jenes von Gwen Stefani.

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FOTO: SONY MUSIC Erfüllen nicht die Erwartunge­n: Dreamcar.

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