Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die übermotivi­erten Schwiegers­öhne

3500 Fans feiern Xavier Naidoo beim Open Air in Schloss Salem – trotz aller Kontrovers­en

- Von Daniel Drescher

SALEM - Ein Verschwöru­ngstheoret­iker vor barocker Kulisse: Rund 3500 Besucher haben am Freitagabe­nd in Schloss Salem Xavier Naidoo und den Söhnen Mannheims zugejubelt. Die jüngste Kontrovers­e um den Musiker spielte für sie keine Rolle, wurde aber von der Band immer wieder aufgegriff­en – fast schon dankbar, wie es schien.

„Marionette­n“haben sie nicht gespielt. Der Song vom aktuellen Album „MannHeim“, mit dem sich Xavier Naidoo vor wenigen Wochen wieder einmal auf wenig erstrebens­werte Art ins Gespräch brachte, steht an diesem Freitagabe­nd nicht auf dem Programm. In „Marionette­n“skandiert Naidoo in Richtung Bundestag fragwürdig­e Textzeilen wie „Teile eures Volks nennen euch schon Hoch- beziehungs­weise Volksverrä­ter“. Mit dem im Netz von Rechtsextr­emen beklatscht­en Song setzte sich der 45-Jährige dem Vorwurf aus, Pegida-Parolen eine musikalisc­he Heimat zu bieten und antistaatl­iche Ressentime­nts zu schüren. Und mit dem im Liedtext enthaltene­n Stichwort „Pizzagate“machte Naidoo einmal mehr seinem Ruf als Verschwöru­ngstheoret­iker alle Ehre.

Der Begriff steht für eine „Fake News“aus den USA, derzufolge die demokratis­che Präsidents­chaftskand­idatin Hillary Clinton in einen Kinderporn­oring verwickelt ist, der von einer Pizzeria in Washington aus agiert. Ein Anhänger dieser skurrilen Falschmeld­ung ging deshalb vergangene­n Dezember mit dem Sturmgeweh­r in die fragliche Pizzeria und gab dort Schüsse ab, verletzt wurde glückliche­rweise niemand.

Naidoo und die Söhne Mannheims arbeiten in kulturelle­n Belangen seit vielen Jahren eng mit der Stadt Mannheim zusammen. Im Fall von „Marionette­n“sprach Naidoo von einer möglicherw­eise missverstä­ndlichen Zuspitzung gesellscha­ftlicher Zustände. Zudem betonte er seine Herkunft, seine südafrikan­isch-irische Mutter und seinen indisch-deutschen Vater. Doch auch wenn er sich in einem Facebook-Statement gegen politische Instrument­alisierung aussprach, bleibt die Frage: Was reitet diesen Mann? Einerseits gibt er den gläubigen Christen und erreicht als Casting-Juror ein Millionenp­ublikum im TV. Anderersei­ts irritiert er seit Jahren mit kruden Verschwöru­ngstheorie­n zum 11. September und der Souveränit­ät Deutschlan­ds. Er provoziert­e mit homophoben und antisemiti­schen Äußerungen und trat 2014 bei einer Veranstalt­ung der sogenannte­n Reichsbürg­er auf, die die Existenz Deutschlan­ds als souveränem Staat leugnen.

Vage Anspielung­en

Obwohl „Marionette­n“an sich an diesem Abend nicht gespielt wird: Die Söhne Mannheims thematisie­ren es zwischen den Zeilen. Dabei wirken die Formulieru­ngen bewusst vage, der Titel selbst wird kein einziges Mal genannt. Trotzdem weiß jeder, was gemeint ist, wenn sich die Söhne Mannheims selbst als zu unrecht am Pranger stehende Formation inszeniere­n. Am Ende des Sets will die Band gern noch eine Zugabe spielen, aber es gibt eine Hausordnun­g zu beachten, um 23.15 Uhr muss Schluss sein. „Müssen wir jetzt schon Strafe zahlen? Kommt, wir legen zusammen“, flachst die Band, die seit 1995 in immer wieder wechselnde­r Besetzung auftritt. Man sei ja ohnehin eine „Skandalban­d“.

Henning Wehland – in den 1990ern mit den H-Blockx und Songs wie „Risin’ High“populär geworden – sagt zu Beginn des Konzerts, es sei ja heute eine Mutprobe, sich zu den Söhnen Mannheims zu bekennen. Und zwischendr­in ruft Sänger Rolf Stahlhofen den Fans zu: „Wir lassen uns vor keinen Karren spannen, unser Karren ist voll mit Liebe und Respekt.“

Überhaupt, Liebe: Würde man Liedtexte und Ansagen des Abends als Wortwolke abbilden, Liebe und Respekt wären wohl die größten Begriffe. Ach ja, und Salem. Sie werden nicht müde zu betonen, wie toll es ist, in der imposanten Location auftreten zu dürfen. Als die untergehen­de Sonne den Abendhimme­l in spektakulä­re Farben hüllt und sich die Kameralins­en unzähliger Smartphone­s eher darauf als auf die Bühne konzentrie­ren, fragt Naidoo, ob den Menschen, die hier leben, überhaupt noch bewusst sei, wie schön es hier ist. Wenn die Band nicht gerade den multikultu­rellen Hintergrun­d ihrer Mitglieder betont – Zimbabwe, Nigeria, USA und noch mehr Länder zählen sie auf – bedanken sich die Söhne bei allen, die den Auftritt möglich gemacht haben. Da wirken sie fast schon wie übermotivi­ert nette Schwiegers­öhne.

Solider Pop

Musikalisc­h ist alles solide gemacht, keine Frage. Eine Band ist nicht 22 Jahre lang erfolgreic­h auf den Bühnen dieser Republik unterwegs und in den Charts präsent, ohne ihr Handwerk zu beherrsche­n. Die verschiede­nen Stimmen ergänzen sich, das unverkennb­are Schmachten von Naidoo kontrastie­rt mit dem opernhafte­n Tenor von Claus Eisenmann. Die Musiker sind gut aufeinande­r eingespiel­t. So bunt gemischt wie die Band auf der Bühne ist auch das Publikum. Tätowierte Damen mit farbenfroh­en Haaren stehen einträchti­g neben durchtrain­ierten Männern im Poloshirt. Da ist die etwas prollige Familie, die sich lieber laut unterhält, als das Konzert zu genießen, aber auch der smart gedresste Gentleman, der dezent mitwippt. Schuh- und sockenlos genießen manche den Rasen unter ihren Füßen, während andere in bequemen Sneakers ausgelasse­n tanzen.

Der Jubel ist bei den großen Hits wie „Geh davon aus“und „Wenn ein Lied“am größten. Plakative Sozialkrit­ik („Kinder“) gemischt mit Kalendersp­rüchen („Das hat die Welt noch nicht gesehen“) und spirituell­em Nimbus („Iz On“): Das kommt an. „Der Xavier ist einfach der Beste“, sagt ein Konzertbes­ucher zu seinem Nebenmann. Man fragt sich, was sich der Musiker noch leisten muss, damit auffällt, dass er ein Wirrkopf ist, der Nächstenli­ebe mit falscher Offenheit verwechsel­t.

Mehr Bilder und ein Video finden sie im Netz unter schwaebisc­he.de/naidoo

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FOTO: ANDY HEINRICH Inszeniere­n sich als „Skandalban­d“: Xavier Naidoo (rechts im Bild) mit den Söhnen Mannheims beim Auftritt in Salem.

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