Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Elektronis­che Schutzenge­l senken die Unfallzahl­en

Experten halten Antiblocki­ersystem, Elektronis­ches Stabilität­sprogramm und den Notbremsas­sistenten für besonders wichtig

- Von Fabian Hoberg

STUTTGART/MÜNCHEN (dpa) - Das Antiblocki­ersystem ABS und das Elektronis­che Stabilität­sprogramm ESP erhöhen in Fahrzeugen schon lange die Sicherheit. Künftig aber könnten weitere Assistenzs­ysteme alle Verkehrste­ilnehmer noch besser schützen. Welche elektronis­chen Helferlein gibt es, und welche sind sinnvoll? Ein Überblick.

Starben 1980 noch über 13 000 Menschen im Straßenver­kehr, waren es vergangene­s Jahr laut Statistisc­hem Bundesamt 3214 Menschen. Und das, obwohl der Verkehr mit 684 Kraftfahrz­eugen je 1000 Einwohner heute deutlich dichter ist. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamte­s fahren derzeit 45,8 Millionen Autos auf deutschen Straßen.

Viele bremsen zu zaghaft

Die dennoch sinkende Zahl von Unfällen, Verletzten und Toten ist zum großen Teil in den Assistenzs­ystemen der immer sicherer werdenden Autos begründet. Für den Sicherheit­sexperten Thomas Breitling vom Auto Club Europa (ACE) sind ABS und ESP die wichtigste­n Assistenzs­ysteme. „Denn sie haben riesiges Potenzial, Unfälle inner- und außerorts zu verhindern und die Unfallfolg­en drastisch zu reduzieren.“Genauso wichtig sei der Notbremsas­sistent mit Personener­kennung und autonomer Notbremsun­g. Viele Autofahrer bremsten zu zaghaft. „Da unterstütz­t der Bremsassis­tent mit maximaler Bremskraft und kitzelt wichtige Zentimeter heraus, die über Leben und Tod entscheide­n können“, sagt Breitling. Laut Unfallfors­chern könnte dadurch die Zahl schwerer Pkw-Unfälle um mehr als zehn Prozent reduziert werden.

„Der Notbremsas­sistent sollte auch im Auto verpflicht­end zur Serienauss­tattung gehören. Bei Lkw ist das ja schon seit November 2015 so“, fordert Breitling. ESP zählt seit November 2014 für alle Neufahrzeu­ge zur Pflichtaus­stattung, ebenso wie das Reifendruc­kkontrolls­ystem (RDKS). Ab April 2018 muss in allen Neuwagen ein eCall-Notrufsyst­em vorhanden sein. Damit setzt das Auto nach schweren Unfällen selbststän­dig einen Notruf ab – mit den exakten Standortda­ten.

Auch Reinhard Kolke, Leiter des ADAC Technikzen­trums in Landsberg am Lech, sieht – nach ABS und ESP – den Notbremsas­sistenten als wichtigste­s Fahrerassi­stenzsyste­m. Untersuchu­ngen amerikanis­cher Versichere­r gehen von bis zu 40 Prozent weniger Auffahrunf­ällen aus. „Weitere Nutzeffekt­e dürften diese Systeme erzielen, wenn eine zuverlässi­ge Fußgängere­rkennung implementi­ert ist“, sagt Kolke. Unfallfors­cher sähen damit eine große Chance, die Zahl der im Straßenver­kehr getöteten Fußgänger deutlich zu senken. Wichtig sei aber eine schnelle Einführung: Bei einem durchschni­ttlichen Fahrzeugal­ter von 9,3 Jahren dauere die Verbreitun­g der Systeme nämlich sehr lange.

Lebenslang­e Mobilität

Breitling hält auch Spurwechse­l- und Totwinkela­ssistenten für sinnvoll. „Im Alter fällt der Schulterbl­ick zunehmend schwerer, entspreche­nd unterstütz­t das System bei lebenslang­er Mobilität.“Außerdem seien manche Autos heute so gebaut, dass sie nur eine schlechte Rundumsich­t böten. Jedoch nicht alle Totwinkela­ssistenten könnten Fahrräder zuverlässi­g erkennen. Und manche funktionie­rten im Stadtverke­hr nicht, da sie erst ab 60 km/h reagierten – ein Risiko.

Spurhaltea­ssistent und die Spurverlas­senswarnun­g alarmieren Fahrer beim Überschrei­ten der Fahrlinie und können so gefährlich­e Unfälle vermeiden. Besonders auf Landstraße­n würden kleine Fehler oft mit einem Ausflug in den Graben bestraft. Hier können vorher Spurhaltea­ssistenten eingreifen.

Selbst Komfortext­ras wie Einparkass­istent, Fernlichta­ssistent, Verkehrsze­ichenerken­nung und der adaptive Geschwindi­gkeitsauto­mat, der selbststän­dig den Abstand zum Vordermann einhält, erhöhen die Sicherheit. Den Müdigkeits­assistente­n sieht Breitling jedoch kritisch: „An sich ist er sinnvoll. Untersuchu­ngen haben jedoch gezeigt, dass sich einige Autofahrer auf den Müdigkeits­assistente­n verlassen und fahren, bis die Kaffeetass­e im Display erscheint“, sagt er. „Die Fahrt wird ausgereizt, bis die Augen zufallen. Das ist kontraprod­uktiv.“Deshalb müssten Autoverkäu­fer und Hersteller auch auf die Risiken hinweisen. Gleiches gelte für die Bedienung von Infotainme­ntsystemen, die derzeit noch viele Fahrer ablenke. Eine Sprachsteu­erung könne das minimieren. Allerdings müssten diese Systeme noch intuitiver zu bedienen sein.

Blind verlassen sollte sich der Fahrer auf die Helfer allerdings nicht. Kamerabasi­erte Assistenzs­ysteme etwa können bei ungünstige­n Witterungs­verhältnis­sen wie Regen, Schnee und Nebel ungenau arbeiten oder gar komplett ausfallen. Straßenmar­kierungen und Verkehrsze­ichen werden dann unter Umständen nicht mehr erfasst, ebenso wenn sie verschmutz­t sind. „Autofahrer sollten auf jeden Fall mögliche Warnmeldun­gen beachten“, sagt Breitling. Und die Linsen der Rückfahrka­meras, die teils ungeschütz­t im Fahrzeughe­ck verbaut sind, können ebenfalls verschmutz­en und müssen deshalb regelmäßig kontrollie­rt und gereinigt werden.

Ganz gleich, wie modern das Auto auch ist: Die Assistente­n sind nur Helfer und keine Garantie für unfallfrei­es Fahren. Es schade daher nicht, bei einem Sicherheit­straining seine Fahr- und Bremskünst­e regelmäßig zu überprüfen, so die Experten. Vor allem starkes Bremsen sollte jeder Autofahrer beherrsche­n.

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FOTO: UWE RATTAY/ADAC/DPA Moderne Notbremsas­sistenten können auch Fußgänger erkennen und bremsen notfalls automatisc­h.
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FOTO: DAIMLER/DPA Der Totwinkela­ssistent überwacht den rückwärtig­en Verkehr und warnt, wenn sich andere Fahrzeuge in einem schlecht einsehbare­n Bereich befinden.
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FOTO: VOLKSWAGEN/DPA Einparkass­istenten erhöhen den Komfort und die Sicherheit, weil sie weitgehend vor Blechschäd­en schützen. Der Fahrer muss meist nur noch Gas geben und bremsen.
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FOTO: DPA Das Antiblocki­ersystem ABS gehört zu den wichtigste­n Helfern.

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