Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Elektronische Schutzengel senken die Unfallzahlen
Experten halten Antiblockiersystem, Elektronisches Stabilitätsprogramm und den Notbremsassistenten für besonders wichtig
STUTTGART/MÜNCHEN (dpa) - Das Antiblockiersystem ABS und das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP erhöhen in Fahrzeugen schon lange die Sicherheit. Künftig aber könnten weitere Assistenzsysteme alle Verkehrsteilnehmer noch besser schützen. Welche elektronischen Helferlein gibt es, und welche sind sinnvoll? Ein Überblick.
Starben 1980 noch über 13 000 Menschen im Straßenverkehr, waren es vergangenes Jahr laut Statistischem Bundesamt 3214 Menschen. Und das, obwohl der Verkehr mit 684 Kraftfahrzeugen je 1000 Einwohner heute deutlich dichter ist. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes fahren derzeit 45,8 Millionen Autos auf deutschen Straßen.
Viele bremsen zu zaghaft
Die dennoch sinkende Zahl von Unfällen, Verletzten und Toten ist zum großen Teil in den Assistenzsystemen der immer sicherer werdenden Autos begründet. Für den Sicherheitsexperten Thomas Breitling vom Auto Club Europa (ACE) sind ABS und ESP die wichtigsten Assistenzsysteme. „Denn sie haben riesiges Potenzial, Unfälle inner- und außerorts zu verhindern und die Unfallfolgen drastisch zu reduzieren.“Genauso wichtig sei der Notbremsassistent mit Personenerkennung und autonomer Notbremsung. Viele Autofahrer bremsten zu zaghaft. „Da unterstützt der Bremsassistent mit maximaler Bremskraft und kitzelt wichtige Zentimeter heraus, die über Leben und Tod entscheiden können“, sagt Breitling. Laut Unfallforschern könnte dadurch die Zahl schwerer Pkw-Unfälle um mehr als zehn Prozent reduziert werden.
„Der Notbremsassistent sollte auch im Auto verpflichtend zur Serienausstattung gehören. Bei Lkw ist das ja schon seit November 2015 so“, fordert Breitling. ESP zählt seit November 2014 für alle Neufahrzeuge zur Pflichtausstattung, ebenso wie das Reifendruckkontrollsystem (RDKS). Ab April 2018 muss in allen Neuwagen ein eCall-Notrufsystem vorhanden sein. Damit setzt das Auto nach schweren Unfällen selbstständig einen Notruf ab – mit den exakten Standortdaten.
Auch Reinhard Kolke, Leiter des ADAC Technikzentrums in Landsberg am Lech, sieht – nach ABS und ESP – den Notbremsassistenten als wichtigstes Fahrerassistenzsystem. Untersuchungen amerikanischer Versicherer gehen von bis zu 40 Prozent weniger Auffahrunfällen aus. „Weitere Nutzeffekte dürften diese Systeme erzielen, wenn eine zuverlässige Fußgängererkennung implementiert ist“, sagt Kolke. Unfallforscher sähen damit eine große Chance, die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Fußgänger deutlich zu senken. Wichtig sei aber eine schnelle Einführung: Bei einem durchschnittlichen Fahrzeugalter von 9,3 Jahren dauere die Verbreitung der Systeme nämlich sehr lange.
Lebenslange Mobilität
Breitling hält auch Spurwechsel- und Totwinkelassistenten für sinnvoll. „Im Alter fällt der Schulterblick zunehmend schwerer, entsprechend unterstützt das System bei lebenslanger Mobilität.“Außerdem seien manche Autos heute so gebaut, dass sie nur eine schlechte Rundumsicht böten. Jedoch nicht alle Totwinkelassistenten könnten Fahrräder zuverlässig erkennen. Und manche funktionierten im Stadtverkehr nicht, da sie erst ab 60 km/h reagierten – ein Risiko.
Spurhalteassistent und die Spurverlassenswarnung alarmieren Fahrer beim Überschreiten der Fahrlinie und können so gefährliche Unfälle vermeiden. Besonders auf Landstraßen würden kleine Fehler oft mit einem Ausflug in den Graben bestraft. Hier können vorher Spurhalteassistenten eingreifen.
Selbst Komfortextras wie Einparkassistent, Fernlichtassistent, Verkehrszeichenerkennung und der adaptive Geschwindigkeitsautomat, der selbstständig den Abstand zum Vordermann einhält, erhöhen die Sicherheit. Den Müdigkeitsassistenten sieht Breitling jedoch kritisch: „An sich ist er sinnvoll. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass sich einige Autofahrer auf den Müdigkeitsassistenten verlassen und fahren, bis die Kaffeetasse im Display erscheint“, sagt er. „Die Fahrt wird ausgereizt, bis die Augen zufallen. Das ist kontraproduktiv.“Deshalb müssten Autoverkäufer und Hersteller auch auf die Risiken hinweisen. Gleiches gelte für die Bedienung von Infotainmentsystemen, die derzeit noch viele Fahrer ablenke. Eine Sprachsteuerung könne das minimieren. Allerdings müssten diese Systeme noch intuitiver zu bedienen sein.
Blind verlassen sollte sich der Fahrer auf die Helfer allerdings nicht. Kamerabasierte Assistenzsysteme etwa können bei ungünstigen Witterungsverhältnissen wie Regen, Schnee und Nebel ungenau arbeiten oder gar komplett ausfallen. Straßenmarkierungen und Verkehrszeichen werden dann unter Umständen nicht mehr erfasst, ebenso wenn sie verschmutzt sind. „Autofahrer sollten auf jeden Fall mögliche Warnmeldungen beachten“, sagt Breitling. Und die Linsen der Rückfahrkameras, die teils ungeschützt im Fahrzeugheck verbaut sind, können ebenfalls verschmutzen und müssen deshalb regelmäßig kontrolliert und gereinigt werden.
Ganz gleich, wie modern das Auto auch ist: Die Assistenten sind nur Helfer und keine Garantie für unfallfreies Fahren. Es schade daher nicht, bei einem Sicherheitstraining seine Fahr- und Bremskünste regelmäßig zu überprüfen, so die Experten. Vor allem starkes Bremsen sollte jeder Autofahrer beherrschen.