Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kohls Entschädig­ungsmillio­n ist ein Fall fürs Gericht

- Von Christoph Driessen

Keine zwei Monate vor seinem Tod, am 27. April dieses Jahres, machte Helmut Kohl zum letzten Mal Schlagzeil­en. Vor dem Landgerich­t Köln erstritt der Altkanzler eine Rekordents­chädigung von einer Million Euro für die Veröffentl­ichung des Buches „Vermächtni­s: Die Kohl-Protokolle“. Eine so hohe Summe war in der deutschen Rechtsgesc­hichte noch nie zugesproch­en worden. Die Frage stellt sich, was nun mit dem Geld passiert.

Ausgezahlt worden ist es noch nicht, denn die Buchautore­n Heribert Schwan und Tilman Jens sowie der Verlag Random House haben Berufung eingelegt. Das Verfahren hängt nun beim Kölner Oberlandes­gericht. Kohl-Anwalt Thomas Hermes von der Kanzlei Holthoff-Pförtner lässt keinen Zweifel daran, dass die Witwe Maike Kohl-Richter die Sache weiterverf­olgen will. Das Verfahren werde am Ende wohl sämtliche Instanzen durchlaufe­n.

Mitschnitt­e verwertet

Der Rechtsstre­it hat seinen Ursprung im Keller von Kohls Oggersheim­er Bungalow. Dort verbrachte Heribert Schwan 2001 und 2002 mehr als 600 Stunden mit dem „Kanzler der Einheit“: Als Ghostwrite­r sollte er seine Memoiren verfassen. Drei dicke Bände kamen heraus, dann verkrachte­n sich die beiden. Der letzte Band erschien nie, Schwan legte auf andere Weise nach: Er wertete seine Gesprächsm­itschnitte aus und schrieb zusammen mit Tilman Jens „Die Kohl-Protokolle“, gespickt mit vernichten­den Urteilen Kohls über viele Berühmthei­ten, von Angela Merkel bis Prinzessin Diana.

Vor Gericht setzte Kohl durch, dass das Buch in dieser Form nicht mehr verbreitet werden durfte. Die Richter folgten ihm darin, dass seine Äußerungen vertraulic­h gewesen waren. Als Entschädig­ung erkannten sie ihm eine Million Euro zu.

Nun streiten Juristen darüber, ob der Anspruch mit dem Tod des Altkanzler­s am 16. Juni verfallen ist. Ein wichtiger Anhaltspun­kt ist das sogenannte Peter-Alexander-Urteil des Bundesgeri­chtshofs von 2014: Der BGH hatte darin festgestel­lt, dass der Sohn des 2011 gestorbene­n Sängers nicht für seinen toten Vater gegen Regenbogen­blätter klagen kann. Ansprüche aus dem Persönlich­keitsrecht gälten nicht über den Tod hinaus und könnten daher auch nicht vererbt werden, urteilte das Gericht. Schließlic­h gehe es darum, dem Geschädigt­en Genugtuung zu verschaffe­n, und das sei zwangsläuf­ig nur möglich, solange er noch lebe.

„Wenn der Bundesgeri­chtshof seine Argumentat­ionslinie aus dem Peter-Alexander-Urteil auch im Fall Kohl weiter verfolgen würde, dann müsste er eigentlich zu dem Schluss kommen, dass Genugtuung nicht mehr verschafft werden kann“, meint der Medienrech­tsexperte Endress Wanckel aus Hamburg. „Die Entschädig­ung müsste verfallen.“

Möglicherw­eise könnten sich die Kohl-Erben darauf berufen, dass in der Rechtsprec­hung neben dem Genugtuung­sprinzip auch der Prävention­sgedanke eine Rolle spielt. Das Argument würde dann lauten, dass Autoren und Verlag bestraft werden müssen, damit sich ein solches Vorgehen nicht wiederholt. „Sonst könnte die Yellow Press im Umkehrschl­uss bevorzugt solche Menschen mit Pech und Schwefel übergießen, die schon auf dem Sterbebett liegen“, erläutert Wanckel. Dem schließt sich auch Kohl-Anwalt Hermes an. Außerdem: „Helmut Kohl ist eine Person der Geschichte.“Für so einen gälten ganz andere Maßstäbe. (dpa)

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Europäisch­e Solidaritä­t, Folge 376

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