Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Fast drei Jahre Haft für den Treppentre­ter

Gutachter bestätigt dem Verurteilt­en eine krankhafte seelische Störung

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BERLIN (AFP) - Der Treppentre­ter vom Berliner U-Bahnhof Hermannstr­aße muss für zwei Jahre und elf Monate ins Gefängnis. Das Landgerich­t Berlin sprach Svetoslav S. am Donnerstag der gefährlich­en Körperverl­etzung sowie in einem anderen Fall der exhibition­istischen Handlung schuldig. Das Gericht schloss in seinem Urteil eine erheblich vermindert­e Schuldfähi­gkeit nicht aus, weil S. an einer Hirnschädi­gung leide und zum Tatzeitpun­kt mutmaßlich berauscht gewesen sei.

S. hatte in der Nacht zum 27. Oktober im Bezirk Neukölln einer Passantin ohne erkennbare­n Grund von hinten in den Rücken getreten. Die geschädigt­e Jana K. stürzte mehrere Stufen hinab. Sie brach sich einen Arm und erlitt eine Platzwunde am Kopf. Die zu Fahndungsz­wecken veröffentl­ichten Überwachun­gsaufnahme­n von dem Angriff machten den Fall über Berlin hinaus bekannt.

„Die Bilder haben die Öffentlich­keit schockiert“, sagte die Vorsitzend­e Richterin. „Diese Tat hat das Sicherheit­sgefühl der Allgemeinh­eit erheblich beeinträch­tigt.“Das Gericht habe auf eine Einzelstra­fe von zwei Jahren und zehn Monaten erkannt. Ein weiterer Monat kommt hinzu, weil der 28-Jährige zwei Wochen vor dem Angriff auf offener Straße vor einer Frau masturbier­te.

Der verheirate­te Vater von drei Kindern ist bereits seit Mitte Dezember in Untersuchu­ngshaft und muss nun noch fast zweieinhal­b weitere Jahre absitzen. Ihm wurden zudem die Kosten des Verfahrens auferlegt. Die beiden Verteidige­r des Bulgaren bezeichnet­en das Urteil als „zu hoch“. Sie kündigten an, Rechtsmitt­el gegen das Urteil zu prüfen.

S. hatte zu Beginn des Verfahrens eingeräumt, dass er der Mann auf dem Überwachun­gsvideo sei. Allerdings habe er in jener Nacht Alkohol, Marihuana und Amphetamin­e konsumiert und könne sich an die Tat nicht erinnern. Unter Tränen bat er wiederholt um Entschuldi­gung. K. lehnte die Entschuldi­gung während ihrer Zeugenauss­age jedoch ab, solange S. nicht die Verantwort­ung für sein Handeln übernehme.

Das Urteil war maßgeblich vom Gutachten des Psychiater­s geprägt, der als Sachverstä­ndiger auftrat. Dieser war zu dem Schluss gekommen, dass S. mit einem Intelligen­zquotiente­n von unter 70 Punkten vermindert intelligen­t sei, mithin geistig behindert. Hinzu kämen Alkohol- und Drogenmiss­brauch sowie Folgen einer Hirnverlet­zung, die sich S. bei einem Autounfall vor einigen Jahren zugezogen habe.

S. leidet demnach unter einem Stirnhirns­yndrom, das seine Affektkont­rolle beeinträch­tigt. Bei dem grundsätzl­ich friedferti­gen Mann breche dadurch in bestimmten Momenten unkontroll­iert aggressive­s Verhalten durch. Dieses Muster sei am Tatabend durch den Drogenkons­um und Familienst­reitigkeit­en befördert worden. S. sei „krankhaft seelisch gestört“, sagte der Gutachter.

Verteidige­r forderten Bewährung

Staatsanwa­ltschaft und Gericht folgten dem Gutachten und wollten nicht ausschließ­en, dass S. erheblich vermindert schuldfähi­g sei. Dennoch forderte die Staatsanwa­ltschaft drei Jahre und neun Monate Freiheitse­ntzug, während die Verteidige­r eine Bewährungs­strafe verlangten.

Die Vorsitzend­e Richterin bezeichnet­e ihr Urteil als „erhebliche Strafe“. Sie rechnete S. sein Geständnis sowie seine vor Gericht gezeigte Reue an. Zudem sei der Mann während seiner Festnahme an einem Fernbusbah­nhof auf dem Weg nach Berlin gewesen, um sich der Polizei zu stellen.

Die in bitterer Armut verbrachte Kindheit als Angehörige­r einer ethnischen Minderheit in Bulgarien dagegen entlaste S. nicht, befand die Richterin. Auch in anderen Milieus und Kulturkrei­sen werde solch eine Gewalttat als falsch empfunden.

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FOTO: DPA Menschen mit aufgesetzt­en Stierhörne­rn demonstrie­ren in Pamplona gegen das Stierkampf­festival San Fermin.
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FOTO: DPA Der Tatort: der Berliner U-Bahnhof Hermannstr­aße.

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