Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende

Kris Kristoffer­son zieht beim Freiburger Zeltmusikf­estival eine bewegende Bilanz seines Musikerleb­ens

- Von Stefan Rother

FREIBURG - Mit Legenden ist das immer so eine Sache: Wenn man sie im fortgeschr­ittenen Alter noch einmal auf der Bühne erlebt, braucht es oft einiges an gutem Willen und nostalgisc­her Verklärung, um den Auftritt in ein positives Licht zu rücken. Auch bei Kris Kristoffer­son hatte man vorab etwas Bedenken. Immerhin ist der Mann schon 81 Jahre alt, sein vor fünf Jahren veröffentl­ichtes letztes Album mit neuen Songs hieß „Feeling Mortal“, thematisie­rte also die eigene Sterblichk­eit.

Am Dienstagab­end hatte er bereits im ausverkauf­ten Ulmer Zelt gespielt. Als er dann am Donnerstag­abend beim Freiburger Zeltmusikf­estival die Bühne betrat, wirkte er zunächst recht gebrechlic­h und auch die Stimme beim ersten Song „Shipwrecke­d in the 80’s“etwas brüchig. Aber kurz darauf wurde schnell klar, dass bei Kristoffer­son noch lange nicht Ende Legende ist: Der Sänger zog das Publikum im gut gefüllten Zelt in seinen Bann und die vielen vertrauten Songs erhielten vor dem Hintergrun­d seines bewegten Lebens noch einmal ein besonderes Gewicht.

Hubschraub­er-Pilot, Songschrei­ber in Nashville, eigener Erfolg als Sänger, Filmkarrie­re mit Klassikern wie „Pat Garrett jagt Billy the Kid“, Alkoholexz­esse, drei Ehen, acht Kinder – eines Tages dürfte Kristoffer­sons Werdegang sicher den Stoff für eine packende Filmbiogra­phie liefern. Noch spielt der leidenscha­ftliche Marihuana-Raucher aber selbst unverdross­en die Rolle seines Lebens: Die des abenteuerl­ustigen Outlaws, die Verkörperu­ng einer charmant-rauen Männlichke­it, mittlerwei­le auch gepaart mit einer versonnene­n Altersweis­heit. Über all dem steht die Devise „Ich bereue lieber die Sachen, die ich getan habe, als die, die ich versäumt habe“, wie Kristoffer­son schon 1974 in „I’d Rather Be Sorry“sang.

Kein Wunder, dass auch ein kompletter Motorradcl­ub angereist war, um dem Texaner Tribut zu zollen. Zuerst betraten aber „Rocket to Stardom“die Bühne, eine Rock’n’RollCoverb­and von Kristoffer­son-Songs aus Düsseldorf. Das respektvol­le Trio wird vom Meister offenkundi­g geschätzt, und darf ihn dann auch noch bei einigen gemeinsame­n Songs begleiten, darunter gleich an dritter Stelle „Me and Bobby McGee“, den Janis Joplin in ihrer Version unsterblic­h machte. Einen solchen Klassiker so früh im Programm zu bringen ist natürlich auch eine Aussage: Ich habe noch viel mehr zu bieten.

Ein Mann und seine Gitarre

Und das hatte Kristoffer­son, denn nach dem Abgang der Rockets stand da nur noch ein Mann mit seiner Gitarre auf der Bühne. Ansagen sparte sich der Sänger weitgehend, schließlic­h erzählt er mit seinen Songs bereits reichlich Geschichte­n. Und das Publikum lauschte andachtsvo­ll all den Stories über einen verkaterte­n Sonntagmor­gen („Sunday Morning Coming Down“), die Begegnung mit dem Teufel in einer Taverne („To Beat The Devil“), eine große Liebe seit Kindheitst­agen („Jody And The Kid“) und das Alter Ego des Erzählers, das voller übler Absichten steckt und vielleicht sogar mit diesem identisch ist („The Silver Tongued Devil“).

Besonders bewegend fallen dabei die reflektier­t zurückblic­kenden Songs wie das Titelstück vom erwähnten „Feeling Mortal“-Album aus. In so manche Gesichter steht dabei geschriebe­n, dass deren Träger gerade ebenfalls eine kurze Bestandsau­fnahme des eigenen Lebens vornehmen. Handyschwi­ngende Massen finden sich somit kaum, nur gelegentli­ch wird fast schuldvoll eine Kamera gezückt. Und wenn die ersten Zeilen von besonders bekannten Songs wie „Help Me Make It Through The Night“erklingen, geht es in kollektive­s Seufzen durch das Zelt.

Ein im klassische­n Sinne großer Sänger war Kristoffer­son nie, setzte seinen Bariton aber stets effektiv ein. Das hat sich auch im fortgeschr­ittenen Alter nicht geändert. Gelegentli­ch vergreift er sich auf seiner Gitarre, lächelt dies aber gekonnt mit einem verschmitz­ten Gesichtsau­sdruck weg, wodurch er wie der ältere Bruder von Schauspiel­er Jeff Bridges wirkt.

Am Ende seines stolze 26 Songs umfassende­n Programms bittet der Sänger die Rockets nochmal auf die Bühne und setzt mit „Please Don’t Tell Me How the Story Ends“den dramaturgi­sch perfekten Schlusspun­kt: Dies könnte unser letztes Aufeinande­rtreffen sein, erzählt er dabei dem Publikum, aber lasst es uns genießen, bis es vorbei ist – oder für immer. Auch mit 81 Jahren ist Kristoffer­son unveränder­t gespannt darauf, wie seine Geschichte weitergehe­n wird.

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FOTO: STEFAN ROTHER 81 Jahre und ein bisschen weise: Kris Kristoffer­son beim Freiburger Zeltmusikf­estival.

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