Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Verhältnis voller Widersprüc­he

Große Sommerauss­tellung im Kunstmuseu­m Ravensburg nimmt das Tier ins Visier

- Von Antje Merke

RAVENSBURG - Unser Verhältnis zum Tier ist heute in hohem Maße ambivalent. Je nach Kontext reicht es vom besten Freund bis zum Nahrungsmi­ttel. Gleichzeit­ig wird es für immer mehr Menschen zum Problem, dass wir die einen streicheln und maßlos verwöhnen, während wir die anderen in Massen produziere­n und essen. Öffentlich­e Diskussion­en über den richtigen Umgang mit Tieren sowie der Trend zur vegetarisc­hen Ernährung sind Beweise dafür. Anlass genug für das Kunstmuseu­m Ravensburg, sich in der großen Sommerauss­tellung dem Tier in der Kunst zu widmen. Zu sehen sind unter dem Titel „We love animals“mehr als 100 Bilder, Grafiken, Skulpturen, Videos und Installati­onen aus vier Jahrhunder­ten. Im Vergleich zu anderen Ausstellun­gen in der Region zum selben Thema wird hier der Bogen erstmals größer gespannt.

Faszinatio­n am Exotischen

Clara erreichte am 6. Mai 1748 Stuttgart. Ihre Ankunft erregte große Aufmerksam­keit. Tausende Schaulusti­ge liefen herbei, um die Attraktion mit eigenen Augen zu sehen. Die Rede ist von einem zahmen Panzernash­orn, das 1741 in Rotterdam europäisch­en Boden betrat und anschließe­nd 17 Jahre von ihrem Besitzer, einem Kapitän namens Douwe Mout van der Meer, bei Märkten und Volksfeste­n zur Schau gestellt wurde. Ob es Proteste gab über die langen kräftezehr­enden Tourneen, denen das Wildtier ausgesetzt war, ist nicht belegt. Bei den meisten Menschen überwog damals wohl eher die Neugier und die Faszinatio­n am Exotischen. Stattdesse­n wurde in Stuttgart sogar eine Münze mit Clara zu Werbezweck­en angefertig­t, die jetzt zum Auftakt in Ravensburg gezeigt wird. Und im Hintergrun­d hängt der berühmte Holzschnit­t eines Rhinozeros­ses, den Albrecht Dürer 1515 aufgrund von Beschreibu­ngen eines solchen Dickhäuter­s angefertig­t hatte. Obwohl Dürer also nie ein Nashorn in natura gesehen hat, ist ihm die Darstellun­g überrasche­nd authentisc­h gelungen.

Von hier aus wird der Besucher dann auf Safari durchs ganze Haus geschickt und kann nebenbei die Entwicklun­g des Tieres in der Kunst bis in die Gegenwart nachvollzi­ehen. Die Schau zeigt, wie sich im 19. Jahrhunder­t seine gesellscha­ftliche Stellung wandelte, indem das Nutztier zum Haustier und damit zum Familienmi­tglied des Bürgertums wurde. Sie macht deutlich, wie durch die zunehmende Verstädter­ung zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts Pferde, Füchse und anderes Getier als Symbol für vitale Naturkräft­e dienten. Sie beweist, wie in den 1970er-Jahren mit der Performanc­e-Kunst erstmals tote und lebende Viecher Eingang in die Kunst fanden, während für die Hinwendung zum Tier in jüngster Zeit wiederum Arbeiten stehen, die durch Mimik, Geräusche und Bewegung etwa dem Hund auf Augenhöhe begegnen. Ein Beispiel dafür: die „Performanc­e for Pets“. Aufhänger für das Ausstellun­gsprojekt ist wie immer ein Werk aus der hauseigene­n Sammlung Selinka. Diesmal ist es das Bild „Eine Cobra-Gruppe“(1964) von Asger Jorn, in dem die Künstler als Fantasieti­ere dargestell­t werden.

Leider weist die Schau an einigen Stellen Lücken auf. Vom Expression­isten Franz Marc zum Beispiel werden nur zwei kleine unscheinba­re Arbeiten präsentier­t. Weder das Lenbachhau­s in München noch das Franz-Marc-Museum in Kochel wollten eines ihrer berühmten farbenfroh­en Tiergemäld­e als Leihgabe zur Verfügung stellen, obwohl sich Museumslei­terin Nicole Fritz darum bemüht hatte. Für die Münchner bleibt Ravensburg eben Provinz, auch wenn das Haus für sein Programm schon ausgezeich­net wurde.

Wen man ebenfalls vermisst, ist Pablo Picasso, der sich Anfang des 20. Jahrhunder­ts in einem bedeutende­n Radierzykl­us mit dem Minotaurus beschäftig­t hat. Diese mythologis­che Figur – halb Mensch, halb Stier – steht stellvertr­etend für den Künstler. Wenigstens einige Blätter hätte man zeigen können, zumal sowohl das Ulmer Museum als auch die Sammlung Würth große Teile der Serie besitzen.

Spaß, der im Halse stecken bleibt

Im Gegenzug wartet die Schau „We love animals“auch mit einigen Überraschu­ngen auf – vor allem im zweiten Stock, in dem die zeitgenöss­ische Kunst dominiert. Erwähnensw­ert ist die „Meute“mit aus Ton modelliert­en Wolfsköpfe­n der gebürtigen Ravensburg­erin Irmela Maier. Sie zeigen menschlich­e Verhaltens­weisen wie Wut, Aggression oder Zärtlichke­it. Auch das „Mottenthea­ter“von Lili Fischer fasziniert. An der rechten Stirnwand hängen ihre überdimens­ional vergrößert­en Motten in Reih und Glied und weisen auf die Schönheit dieser nächtliche­n Flügelwese­n hin, die wir meist als hässlich und eklig empfinden. Ein Knaller ist die dreiteilig­e Serie „Killed to be dressed“von Deborah Sengl. Sie führt den Irrsinn der Pelzindust­rie vor, indem sie den Spieß umdreht. Der Fuchs trägt einen Schal aus Armen um den Hals und der Nerz ein Cape aus menschlich­en Brustwarze­n. Ein Spaß, der im Halse stecken bleibt.

Nicht fehlen darf Konzeptkün­stler Ottmar Hörl, der den steilen Weg zur Veitsburg mit 60 grauen Wölfen in Habachtste­llung besiedelt hat. Die Installati­on wirkt wider Erwarten sehr poetisch und bildet den perfekten Übergang vom Museum ins Freie. Die Klammer zu Clara im Erdgeschos­s schafft dann Johannes Brus mit einem Breitmauln­ashorn in Lebensgröß­e aus Gips. Weltweit gibt es davon nur noch ein männliches Exemplar, das mit Bodyguards bewacht wird. Womit wir wieder bei der Ambivalenz wären.

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FOTO: WYNRICH ZLOMKE Von wegen hässlich: Überdimens­ional vergrößert­e Motten von Lili Fischer besiedeln im Kunstmuseu­m eine ganze Wand.
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FOTO: LANDESMUSE­UM MAINZ Heiß geliebt: Die Hauskatze darf sogar ins Bett, wie hier im Bild von Max Slevogt, entstanden 1897.

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