Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Die Gastgeber-Kultur der G20 darf nicht geopfert werden“

EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger (CDU) zu den Ausschreit­ungen in Hamburg und den Ergebnisse­n des G20-Gipfels

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BERLIN - EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger hält nichts davon, G20-Treffen nur noch bei den Vereinten Nationen in New York auszutrage­n. „Der Sicherheit­saufwand in New York City wäre genauso groß wie in Hamburg oder Paris“, sagte Oettinger im Gespräch mit Tobias Schmidt.

Herr Oettinger, es sind vor allem die Bilder der Gewalt, die vom G20-Gipfel haften bleiben werden. Sind solche Gipfel in demokratis­chen Staaten nicht länger ausrichtba­r?

Es ist sehr schwierig geworden, solche Spitzentre­ffen in großen Städten der westlichen Welt abzuhalten. Wenn man sich das aber nicht mehr zutrauen würde, es nur noch auf Inseln oder in Diktaturen schaffen würde, wäre mir angst und bange! Unsere Werteordnu­ng, unsere Demokratie, Demonstrat­ionsrecht und Meinungsfr­eiheit müssen für alle Veranstalt­ungen gewahrt bleiben, von den Olympische­n Spielen bis zu G20-Gipfeln.

Wer trägt die Verantwort­ung für das Versagen des Sicherheit­skonzeptes in Hamburg?

Es muss nun gründlich geprüft werden, ob es Fehler gegeben hat, und wenn ja, welche. In Hamburg waren deutsche Demonstran­ten und solche aus anderen Ländern beteiligt und haben sich gegenseiti­g in ihrer Gewaltbere­itschaft angestache­lt.

Gibt es in Deutschlan­d einen blinden Fleck, wenn es um linksextre­mistische Gewalt geht?

Es darf zwischen Extremiste­n von links und rechts kein Unterschie­d gemacht werden. Beide Lager sind bereit, Anschläge auf unsere Werteordnu­ng zu verüben, die sie zerschlage­n wollen. Die Organisato­ren der berechtigt­en Anti-G20-Proteste müssen sich fragen lassen, ob sie dem „Schwarzen Block“nicht ein Schutzschi­ld bieten. Sie müssen mehr tun, um sich von den gewaltbere­iten Demonstran­ten zu distanzier­en und sich nicht von ihnen als Deckmantel missbrauch­en zu lassen!

Die SPD fordert die Verlegung der G20-Gipfel zu den Vereinten Nationen nach New York. Was spricht dagegen?

Die Gastgeber-Kultur der G20 darf nicht geopfert werden. Allein die Elbphilhar­monie und Beethoven – Kanzlerin Angela Merkel konnte als Gastgeberi­n Perlen unserer Kultur zeigen. Beim G7 in Elmau wurde das Voralpenla­nd präsentier­t, beim G8 in Heiligenda­mm die Ostsee. Dieses Ziel wird sich kein Staats- und Regierungs­chef nehmen lassen, und das ist auch richtig.

Die EU hat den Wanderzirk­us doch auch beendet. Die Gipfel finden nur noch in Brüssel statt, alle sind damit zufrieden …

Der Sicherheit­saufwand in New York City wäre genauso groß wie in Hamburg oder Paris. Und viele Ministertr­effen der EU finden im Land der jeweiligen Ratspräsid­entschaft statt, in diesem Halbjahr wird dies in Tallin sein. Ich halte von einer Verlegung der G20-Gipfel nach New York nichts.

Auch in den Messehalle­n gab es Konflikte. Beim Klimaschut­z hat sich die Runde geschlosse­n gegen US-Präsident Donald Trump gestellt, auch wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hinterher ausgescher­t ist. Ein Erfolg für die Kanzlerin – aber eine Niederlage für den Klimaschut­z, oder?

Dass Trump beim Klimaschut­z nicht einlenken würde, war absehbar. Was Erdogan will, bleibt abzuwarten. Entscheide­nd ist, dass es Trump nicht gelungen ist, einen anderen G20Staat auf seine Seite zu ziehen, obwohl sie alle auf gute Beziehunge­n zu den USA angewiesen sind. Und auch Trump hat sich in Hamburg dazu bekannt, einen Beitrag zum Klimaschut­z zu leisten. Mein Fazit: Das ist eine positive Entwicklun­g.

Harten Streit hat es über den Handel gegeben. Wird es noch gelingen, Strafzölle der USA abzuwenden? Und wie würde die EU reagieren?

Wir werden in der EU-Kommission in dieser Woche darüber beraten. Wenn ein Staat Handelspol­itik zur Industriep­olitik macht, durch Strafzölle seine eigenen Produzente­n bevorzugen will, werden wir reagieren. Das könnten im Extremfall auch Strafzölle sein. Wenn unsere Produkte konkurrenz­fähig sind, dies aber wegen der Einführung von Zöllen durch die USA nicht bleiben, ist das eine Verzerrung des Wettbewerb­s. Eine entspreche­nde Diskrimini­erung würden wir nicht in Kauf nehmen! Aber unser Ziel ist die Unterstütz­ung des freien Welthandel­s, der Abbau von Hinderniss­en. Das zeigt das Abkommen mit Japan. Wir sind nicht diejenigen, die einen Handelskri­eg vom Zaun brechen werden.

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FOTO: AFP Günther Oettinger

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