Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wende im Fall Charlie Gard

Heute soll der englische High Court erneut über Tod oder Leben des schwerstkr­anken Babys entscheide­n

- Von Sebastian Borger

LONDON - Der Streit um das Schicksal des todkranken britischen Babys Charlie Gard geht weiter. Heute Nachmittag muss sich erneut der englische High Court mit dem Wohl des elf Monate alten Kindes befassen, über dessen Zukunft die Eltern und die Ärzte an Londons berühmtem Kinderkran­kenhaus Great Ormond Street (GOS) uneinig sind. Am Sonntag übergaben Unterstütz­er von Connie Yates und Chris Gard den Klinik-Verantwort­lichen eine Petition mit 350 000 Unterschri­ften. Darin wird gefordert, der Ausreise des gehirngesc­hädigten Jungen zu neuartigen Therapieve­rsuchen in Italien oder den USA zuzustimme­n.

Kurioserwe­ise hat den neuen Gerichtste­rmin die Klinik in London selbst veranlasst. Dabei sind die Verantwort­lichen nach wie vor der Meinung, Charlie solle in Frieden sterben dürfen und nicht noch durch die Welt reisen müssen für Therapien, deren Wert selbst von Befürworte­rn als unsicher eingestuft wird. Offenbar will das Hospital sich absichern, nicht zuletzt gegen den Vorwurf, aus ärztlicher Eitelkeit dem kleinen Patienten mögliche Heilungsch­ancen zu verbauen. Die behandelnd­en Ärzte sahen sich auch mit neuen Expertenme­inungen konfrontie­rt, die dem Krankenhau­s in jüngster Zeit zugesandt worden seien.

Der Fall des an einer äußerst seltenen Genkrankhe­it leidenden Kindes beschäftig­t seit Wochen nicht nur die Briten, sondern viele Menschen weltweit. Charlie kam im vergangene­n August scheinbar gesund zur Welt, leidet aber an der extrem seltenen Gen-Krankheit Mitochondr­iale Myopathie. Diese führt zu einer schrittwei­sen Auszehrung vitaler Organe, nicht zuletzt zu schweren Gehirnschä­den, Heilung gibt es bisher nicht.

Als die Ärzte Charlies künstliche Beatmung und Ernährung einstellen wollten, gingen dessen Eltern an die Öffentlich­keit – und erlebten sehr viel Hilfsberei­tschaft. Mittlerwei­le stehen umgerechne­t fast eineinhalb Millionen Euro bereit, um Charlies Transport in die USA und eine experiment­elle Behandlung an der Columbia-Universitä­t zu bezahlen. Nach Interventi­onen von Papst Franziskus sowie von US-Präsident Donald Trump erklärten sich mittlerwei­le zwei weitere Spitäler zu Charlies Aufnahme bereit. Im BambinoGes­u-Krankenhau­s in Rom wiesen Ärzte auf Experiment­e mit Mäusen und menschlich­en Patienten hin; diese hätten bei vergleichb­aren GenKrankhe­iten „dramatisch­e Verbesseru­ngen“gezeitigt. Ähnliche Hoffnung haben offenbar auch die Verantwort­lichen des New Yorker Presbyteri­an Hospital. Das Londoner Krankenhau­s wollte einer Verlegung aber nur zustimmen, wenn in Rom die per Gericht entschiede­ne Einstellun­g der lebenserha­ltenden Maßnahmen umgesetzt werde. Für das Papstkrank­enhaus kam dies jedoch nicht in Betracht, wie KlinikLeit­erin Mariella Enoc erklärte.

Unter dem Druck der Hilfsangeb­ote haben die Verantwort­lichen im GOS nun offenbar eingelenkt. „Wie Charlies Eltern glauben auch wir, dass man den neuen Hinweisen nachgehen muss“, hieß es in einer Erklärung der Klinik. Allerdings steht der Hoffnung aus Rom und New York auch im neuen Gerichtsve­rfahren die in London vorherrsch­ende Skepsis gegenüber. Nacheinand­er

hatten High Court und Supreme Court den Medizinern, die Charlie Gard behandeln, recht gegeben. Die Behandlung und die vorhergehe­nde Reise seien nicht nur zwecklos, sie könnten Charlie auch zusätzlich „Schmerz, Leiden und Elend“verursache­n, mussten sich dessen Eltern vom Höchsten Gericht Großbritan­niens sagen lassen. Auch Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte sprach sich mit Verweis auf die englischen Entscheidu­ngen für die Abschaltun­g der lebenserha­ltenden Maßnahmen aus.

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FOTO: AFP Es geht um Leben und Tod: Am Sonntag überreicht­en Connie Yates und Chris Gard dem Krankenhau­s eine Petition mit 350 000 Unterschri­ften. Die Eltern des todkranken Babys hoffen weiter.

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