Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Erdogan wirft die Türkei zurück“
Rechtsstaat und Demokratie abbauen, so der Außenminister. Natürlich sei man auch weiterhin an guten Beziehungen zur Türkei interessiert, versichert er. In der Türkei wirft Präsidentensprecher Ibrahim Kalin der Bundesregierung vor, die Beziehungen im Wahlkampf dem Populismus zu opfern. Es sei respektlos, die türkische Justiz als Befehlsempfängerin der Regierung hinzustellen, kritisierte Kalin. Allerdings hatte Erdogan selbst Steudtner und die anderen Anfang Juli bei einem Seminar in der Nähe von Istanbul festgenommenen Aktivisten öffentlich als staatsfeindliche Verschwörer vorverurteilt. Insbesondere seit dem Putschversuch haben Regierungskritiker Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Justiz.
Kalin spricht weiterhin von einer deutschen „Mode“, bei jeder Gelegenheit über die Türkei herzufallen. Die Warnung Gabriels an deutsche Touristen und Unternehmer weist Kalin mit scharfen Worten zurück. Besucher und Investoren aus der Bundesrepublik seien in seinem Land sicher. Für die inhaftierten Deutschen gilt dies jedoch nicht: Bei ihnen handelt es sich nach Worten des Sprechers um Verdächtige, die Böses im Schilde führten.
Doch gibt es am Donnerstag auch versöhnliche Töne. „Ich nenne ihn immer noch meinen Freund“, sagt der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag bei einem Besuch auf Nordzypern über Gabriel. „Man kann nicht in jeder Sache einer Meinung sein, aber was zählt ist, darüber sprechen zu können.“Der Kontakt sei auch in schwierigen Zeiten nie abgebrochen, sagt Cavusoglu. „Wir rufen uns gegenseitig an, wann immer wir wollen. Außerdem kommunizieren wir auch über SMS, also über Kurznachrichten.“ BERLIN - Heute würde der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan keine freien Wahlen mehr gewinnen. Das sagte Cem Özdemir (Foto: dpa), Bundesvorsitzender der Grünen, im Gespräch mit Andreas Herholz.
Die Bundesregierung erhöht den Druck auf Ankara massiv. Ist das die richtige Antwort?
Ja, solche Schritte haben wir schon gefordert. Die türkische Regierung braucht Europa nicht nur als Absatzmarkt für die Wirtschaft, sondern auch die Finanz- und Wirtschaftshilfen. Die kann es so nicht mehr weiter geben. Deshalb: keine Hermesbürgschaften mehr durch Berlin. In der Türkei gibt es keine Rechtssicherheit mehr. Dort herrscht totale Willkür. Jeder muss theoretisch jederzeit damit rechnen, dass er abgeholt und inhaftiert wird. Die Strategie von Bundeskanzlerin Merkel der freundlichen Worte und der Besuche ist krachend gescheitert. Da wurden die Grundwerte unseres Landes vor jedem Flug nach Ankara beim Check-In-Schalter abgegeben. Erdogan hat die Demokratie nach und nach ausgehebelt und die Bundesregierung hat zugeschaut und geschwiegen. Das hat ihn eher noch ermutigt, die Demokratie zu beseitigen. Erdogan würde in der Türkei keine freien Wahlen mehr gewinnen. Er kann sich nur durch Betrug und Unrecht an der Macht halten.
Treffen die Maßnahmen nicht vor allem das türkische Volk?
Es ist vor allem Erdogan, der seinem Land und den Menschen massiv schadet. Er trägt die Verantwortung dafür und führt die Türkei in die Isolation und polarisiert seine Bevölkerung. Er zerstört seine eigenen Erfolge aus der Vergangenheit und gefährdet mit seiner Eskalation den Wohlstand. Auch für Unternehmer gilt in der Türkei keine Rechtssicherheit mehr. Erdogan verbaut den jungen Türken ihre Zukunft und wirft das Land um Jahrzehnte zurück.
Sie warnen vor dem wachsenden Einfluss Erdogans hierzulande. Was befürchten Sie konkret?
Erdogans Vorfeldorganisation UETD versucht, türkische Vereine gleichzuschalten. Auch hier in Deutschland. Wir müssen alles tun, um türkische Parallelstrukturen bei uns zu verhindern. Das Problem sollten wir parteiübergreifend angehen und eine gemeinsame Strategie entwickeln. Wenn wir Erdogan gewähren lassen, wird er in den meisten Moscheen und Vereinen in Deutschland in Zukunft das Sagen haben. Hier wird mit viel Geld eine Art Erdogan-Netzwerk bei uns aufgebaut. Das muss Deutschland mit allen Mitteln verhindern. Wir sind eine wehrhafte Demokratie.