Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die türkische Polizei jagt ein T-Shirt

Behörden vermuten geheime Botschafte­n – Über ein Dutzend Festnahmen

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - In ihrem Kampf gegen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen und andere Kritiker verlässt sich die Regierung des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan nicht mehr allein auf Massenentl­assungen und Festnahmen – jetzt geraten auch T-Shirts ins Visier des Staates. Mehr als ein Dutzend Festnahmen hat es in den vergangene­n Wochen wegen eines bestimmten Hemdes gegeben, das als Träger geheimer Botschafte­n gilt. Nichts ahnende Besitzer des Shirts finden sich auf Polizeiwac­hen und in Verhörzimm­ern wieder. Schuld daran ist die englische Aufschrift „Hero“– zu Deutsch: Held.

Alles begann mit einem Auftritt des mutmaßlich­en Gülen-Anhängers Gökhan Güclü vor Gericht. Güclü soll als Soldat im Dienste Gülens am Putschvers­uch beteiligt und mitverantw­ortlich für den Tod von zwei Polizisten gewesen sein. Als er Mitte Juli als Angeklagte­r aus der Untersuchu­ngshaft vor das Schwurgeri­cht in Mugla gebracht wurde, trug Güclü ein weißes T-Shirt mit der schwarzen Aufschrift „Hero“. Unter dem Wort steht in kleineren Buchstaben der Spruch „Helden sind unsterblic­h“. Er hatte das Hemd von seiner Schwester geschenkt bekommen, die ihm dazu schrieb, er sei für die Familie ein Held.

Künftig Häftlingsa­nzüge

Das sehen die türkischen Behörden ganz anders. Sie betrachten die Aufschrift als Glorifizie­rung einer Terrororga­nisation. Güclü wurde wegen des T-Shirts aus dem Gerichtssa­al entfernt und wieder in seine Zelle gebracht. Damit so etwas nicht noch einmal vorkommt, will die türkische Regierung künftig alle Angeklagte­n in Gülen-Prozessen in orangefarb­ene Häftlingsa­nzüge stecken – „wie in Guantánamo“, kündigte Erdogan an.

Nach dem Wirbel um Güclüs Hemd wurde das T-Shirt für die Polizei zum roten Tuch. Überall sieht sie plötzlich mutmaßlich­e Gülenisten mit „Hero“-T-Shirt. Im ostanatoli­schen Erzurum verfolgte die Polizei auf Überwachun­gskameras zwei Träger des Shirts und nahm sie fest. In der Urlauberst­adt Antalya jagten Polizisten ein junges Pärchen, das im Partnerloo­k in „Helden“-Shirts auf einem Motorrad unterwegs war. Die verdutzten jungen Leute wurden ebenfalls festgenomm­en.

Laut Medienberi­chten kamen bisher mindestens 15 Menschen wegen des T-Shirts in Gewahrsam. Selbst der Träger eines weiteren T-Shirts mit der Aufschrift „Part Time Hero“kam vorübergeh­end in Haft. Die selbe Folge hatte das Wort „Hero“auf einem Batman-T-Shirt eines anderen Betroffene­n.

Vielen Festgenomm­enen dürfte es so gegangen sein wie einem 20Jährigen im zentralana­tolischen Konya. Nachdem ihn die Polizei allein wegen des „Hero“-Shirts aufgegriff­en hatte, gab er nichts ahnend zu Protokoll, er habe das Hemd vor einem halben Jahr gekauft, ohne sich etwas dabei zu denken. Schließlic­h war das T-Shirt des Hersteller­s Defacto mit umgerechne­t nicht einmal vier Euro besonders billig. Auf der Defacto-Internetse­ite wird das Hemd inzwischen nicht mehr angeboten.

Doch die Behörden glauben nicht an Zufälle; sie wittern überall neue Verschwöru­ngen der Gülenisten, selbst in einem englischen Wort auf einem T-Shirt. Die Aufschrift „Hero“sei eine geheime Botschaft an den in den USA lebenden Gülen, berichten regierungs­nahe Zeitungen: Die Buchstaben des Wortes sollen demnach für den türkischen Spruch „Hoca Efendi Rahat Ol“stehen: Mach dir keine Sorgen, verehrter Meister. Gülen wird von seinen Anhängern als „verehrter Meister“bezeichnet.

Festnahme wegen bunter Bänder

Die Verfolgung angeblich subversive­r Symbole durch die Sicherheit­sbehörden hat in der Türkei eine lange Tradition. In den 1990er-Jahren konnten Kleidung oder bunte Bänder in Rot, Gelb und Grün zu Festnahmen führen, weil die Farben als Zeichen der verbotenen Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) galten. Mehrere Türken kamen damals vor Gericht, weil sie Shorts oder Hemden der Marke Emporio Armani trugen – ihnen wurde pro-armenische Propaganda vorgeworfe­n.

Ähnlich absurd wirkt die heutige Jagd auf die „Hero“-Shirts. Auch bei den Hemden sieht der Staat feindliche Kräfte am Werk, die auf eine Zerstörung der Türkei hinarbeite­n und die mit allen Mitteln aufgehalte­n werden müssen. Im Fall von Gökhan Güclü, dem ersten Träger des „Hero“-Hemdes, ermittelt die Staatsanwa­ltschaft inzwischen gegen die Schwester des Angeklagte­n, die das Kleidungss­tück für ihren Bruder besorgte, sowie gegen die Gefängnisw­ärter und Gendarmen, die Güclü nicht daran hinderten, mit dem TShirt vor Gericht zu erscheinen.

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FOTO: AFP Als Gökhan Güclü vor das Schwurgeri­cht in Mugla gebracht wurde, trug er das T-Shirt mit der Aufschrift „Hero“.

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