Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Bei ungewollte­n Effekten wird es unverantwo­rtlich“

Der Moraltheol­oge Eberhard Schockenho­ff ist stolz auf die hohen Standards des Embryonens­chutzgeset­zes

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RAVENSBURG - Crispr/Cas elektrisie­rt die Wissenscha­ft. Jetzt haben nach China auch in den USA Wissenscha­ftler mithilfe der Genschere in die menschlich­e Keimbahn eingegriff­en und krankhafte Gene ausgeschal­tet. Aus moralische­n und ethischen Gründen sei dagegen nichts einzuwende­n, sagt der Moraltheol­oge Eberhard Schockenho­ff im Interview mit Daniel Hadrys. Anders verhalte es sich aber mit der anschließe­nden Vernichtun­g der Embryonen.

Ist der nächste Schritt zum Designerba­by getan?

Der Begriff des Designerba­bys verkennt die Möglichkei­ten der Forschung. Es geht bislang nur darum, eine klar definierte schwere Behinderun­g oder Erkrankung zu heilen, indem man die einzige genetische Ursache dafür entfernt. Positive Vorstellun­gen davon, wie ein Kind sein soll, die verdanken sie ja nicht einem Gen, sondern einem Zusammenwi­rken vieler Gene mit der Umwelt und der Umgebung. Aus dem jetzigen Forschungs­erfolg kann man nicht ableiten, dass das Designerba­by bald technisch machbar wäre.

Einige Mediziner bezweifeln den Nutzen der Studie. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Der Nutzen wird mit dem Argument angezweife­lt, dass man schwere Erberkrank­ungen oder Behinderun­gen bereits jetzt auf dem legalen Weg durch die Präimplant­ationsdiag­nostik (PID) vermeiden kann. Dieses Argument in sich ist aber ambivalent. Der Einwand gegen die neuen Forschunge­n, dass dabei Embryonen vernichtet werden und dass diese Instrument­alisierung der Menschenwü­rde widerspric­ht, richtet sich auch gegen die PID.

Was ist Ihrer Meinung nach das kritischst­e Detail des aktuellen Experiment­s?

Der entscheide­nde Punkt ist: Die Embryonen werden instrument­alisiert und zu reinen Forschungs­zwecken vernichtet. Selbst wenn die Forscher Erfolg gehabt haben, trauen sie diesem nicht ganz. Sie sind ja nicht bereit, die künstlich erzeugten und um ein schadhafte­s Gen bereinigte­n Embryonen in einen Uterus zu verpflanze­n und ihnen eine Entwicklun­gschance zu geben. Das reine Ziel, damit schwere Erberkrank­ungen zu verhindern, ist selbstvers­tändlich hochrangig. Bei einer ethischen Bewertung muss man aber auch die Mittel und den konkreten Weg berücksich­tigen.

Diese sogenannte verbrauche­nde Embryonenf­orschung, bei der Embryonen gezüchtet und nach den Experiment­en vernichtet werden, ist in den USA erlaubt. Gleichzeit­ig haben die Abtreibung­sgegner dort eine starke Lobby mit dem US-Präsidente­n Donald Trump. Wie erklären Sie sich diese liberale Forschungs­praxis?

Diese unreglemen­tierte, „liberale“Forschungs­praxis erweckt Gegnerscha­ft und Empörung. Das ist kein Gegensatz, im Gegenteil. Diese Gegensätze bringen sich gegenseiti­g hervor. Die Möglichkei­t zu dieser Art der Embryonenf­orschung ist kein Ausweis freiheitli­cher Traditione­n, wenn man ein Menschenbi­ld vertritt, in dem Embryonen einfach Forschungs­material sind. Das hat mit Aufklärung und Freiheit nichts zu tun.

Zunächst gab es diese Art der Forschung nur in China, nun auch in den USA. Befürchten Sie, dass diese auch bald an europäisch­en oder gar deutschen Einrichtun­gen praktizier­t wird?

Es gibt das Bedauern, dass dies bei uns aufgrund der hohen Schutzstan­dards durch das Embryonens­chutzgeset­z nicht möglich ist. Es sollte sich aber genau umgekehrt verhalten. Wir sollten stolz sein auf unsere hohen Schutzstan­dards, die wir im Bereich der Biomedizin haben, so wie auf anderen Rechtsgebi­eten auch. Im Arbeits- und Sozialrech­t oder Umweltrech­t haben wir auch höhere Standards als anderswo. Auf diese sind wird stolz und verteidige­n sie. Die deutsche Forschung hat gezeigt, dass sie auf ethisch unbedenkli­che Weise auf gute Ergebnisse kommt und internatio­nal mithalten kann.

Wie ist die Deutschlan­d? Gesetzesla­ge in

Grundsätzl­ich ist die Herstellun­g von Embryonen mit dem Zwecke, sie anschließe­nd im Forschungs­experiment zu vernichten, im Embryonens­chutzgeset­z untersagt. Möglich ist es aber, dass man Stammzelle­n aus dem Ausland importiert, wenn sie vor einem bestimmten Stichtag hergestell­t wurden. Dieser Stichtag wurde auch einmal verschoben. Dahinter steckt die Vorstellun­g, dass aufgrund der deutschen Nachfrage nach Stammzelle­n im Ausland nicht eigens Embryonen hergestell­t werden sollen. Das ist eine Doppelmora­l.

Bislang sind diese Experiment­e nur bei künstlich erzeugten Embryonen erlaubt. Glauben Sie, dass diese früher oder später auch bei natürlich gezeugten Embryonen erlaubt sein werden?

Offenbar gewinnen diese Genscheren, auch Genskalpel­le genannt, an Präzision. Die Sicherheit des Verfahrens wird insofern moralisch relevant, wenn es darum geht, nicht nur ein an einer Erbkrankhe­it erkranktes Individuum zu heilen, sondern die Krankheit insgesamt aus dem Erbgut künftiger Generation­en auszuschal­ten. Wenn dort ungewollte Effekte auftreten sollten, die man nicht mehr zurückdreh­en könnte, wird es unverantwo­rtlich. Möglicherw­eise ist dieses Verfahren ein großer Fortschrit­t. Rein auf der technische­n Ebene ist man einen Schritt weitergeko­mmen.

Also ist es vorstellba­r, dass dieses Verfahren irgendwann auch im Mutterleib angewandt wird?

Das ist vorstellba­r. Wenn es dem Embryo ein Leben bei Gesundheit und ohne eine schwere Beeinträch­tigung ermöglicht, ist dagegen aus moralische­n Gründen nichts einzuwende­n. Der moralische Einwand besagt nicht: „Der Mensch spielt hier Schöpfer.“Er richtet sich allein gegen die Vernichtun­g menschlich­er Embryonen.

Wären Experiment­e mit Crispr/ Cas an lebensfähi­gen Embryonen für Sie vertretbar, wenn damit chronische Krankheite­n wie Krebs oder Diabetes gesichert behandelt werden könnten?

Das wäre natürlich vertretbar, das ist ein hochrangig­es Ziel. Auch gegen dieses Verfahren gäbe es keine ethischen Bedenken, weil es auch darum geht, die Lebensfähi­gkeit des Embryos zu gewährleis­ten und ihn von einer möglichen lebenslang­en schweren Beeinträch­tigung zu befreien.

Das wäre dann mit unserem christlich­en Menschenbi­ld vereinbar?

Selbstvers­tändlich. Leiden ist ja kein Selbstwert. Es gibt auch keine Leidensmys­tik. Das Christentu­m besagt, dass das menschlich­e Leben auch dort lebenswert und bejahenswe­rt ist und Achtung, Förderung und Respekt verdient, wo es nicht unseren menschlich­en Maßstäben von Gesundheit und Funktionsf­ähigkeit entspricht. Das menschlich­e Leben verdient in jeder Form Annahme. Es wird im Christentu­m aber nicht gesagt, dass der Mensch nicht auch alles in seiner Kraft stehende tun soll, um schwere Krankheite­n zu heilen und schweres Leiden aufzuheben. Das ist ein berechtigt­es Ziel – sofern es mit ethisch vertretbar­en Mitteln erreicht wird.

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FOTO: DPA Ein Modell des menschlich­en DNA-Stranges mit seiner doppelten Helix-Struktur. Hier setzt Crispr/Cas an.

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