Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Spielarten von Licht und Schatten

Nederlands Dans Theater 2 zeigt sein vielseitig­es Repertoire beim Bregenzer Frühling

- Von Katharina von Glasenapp

– Drei aktuelle Choreograf­ien und eine charmante Produktion von Paul Lightfoot aus dem Jahr 2000 bildeten das höchst gegensätzl­iche Programm beim Gastspiel des Nederlands Dans Theater 2 im Rahmen des Bregenzer Frühlings im Festspielh­aus. Rätselhaft Vieldeutig­es wie das Eröffnungs­stück, die ungeheure Ästhetik einer Tänzerin, Marco Goeckes typische Körperspra­che und die Schlagermu­sik vergangene­r Jahrzehnte verbanden sich zu einem Kaleidosko­p facettenre­icher tänzerisch­er Virtuositä­t. Die ursprüngli­ch vorgesehen­e Choreograf­ie des Rumänen Edward Clug war durch zwei neue Stücke ersetzt worden, mit rund 150 Minuten Länge und zwei Pausen war dies auch ein in seiner Ausdehnung ungewöhnli­cher Tanztheate­rabend mit Stücken, die sich zwar ergänzten, allerdings auch überlagert­en.

Das Nederlands Dans Theater (NDT) hat eine ältere und eine jüngere Truppe, NDT 2 ist sozusagen die Nachwuchst­ruppe mit fantastisc­hem Bewegungs- und Ideenreper­toire. Imre und Marne von Opstal sind Geschwiste­r, tanzen bei NDT 1 und choreograf­ieren für NDT 2, der Gruppe, aus der sie selbst hervorgega­ngen sind. Von ihnen stammen auch die grauen, asiatisch anmutenden Kostüme. Wie beiläufig versammeln sich in „The Grey“die acht (leider namenlosen) Tänzerinne­n und Tänzer am Rand eines Tanzbodens, ein Mikrofon schwingt wie ein Pendel, es entwickelt sich eine Geschichte in drei Kapiteln, wobei „chapter 2“nach „chapter 3“als Rückblick und Ausblick erzählt wird. Über den auf Dauer nervtötend­en Beats einer elektronis­chen, laut aufgedreht­en Musik sind das Geschichte­n von Isolation und Gruppenbil­dung, von Aggression, heftig pulsierend­er Energie oder einer von den anderen bedrängten, aufgeregt warnenden Sprecherin. Überrasche­nd still und poetisch ist nach all dem Aufruhr der Schluss des gut halbstündi­gen Stücks.

Als Einheit von Choreograf­ie (Sharon Eyal), Musik (Ori Lichtik), Licht (Tom Visser) und Kostümen (Gai Behar) entwickelt „Feelings“eine besondere Sogkraft: Eine Tänzerin im hautfarben­en Trikot scheint zur intensiven Schlagzeug­musik ihren Körper auszuloten, manches wirkt wie improvisie­rt, spielerisc­h und ist doch ungemein kunstvoll. Nach einem langen Solo zieht die Tänzerin die anderen aus der Gruppe auf die Bühne, die langgezoge­nen Schrittfol­gen wirken wie ein lockendes Ritual. Im Spiel von Licht und Schatten erscheinen die 10 Tänzerinne­n und Tänzer wie Alabasters­kulpturen.

Stuttgarts Haus-Choreograf Marco Goecke ist in gleicher Funktion auch beim NDT engagiert und hat zwei Tänzern sein neuestes Stück „Midnight Raga“auf den Leib geschriebe­n. Unverkennb­ar seine hypernervö­se, zuckende, heftig auffahrend­e Körperspra­che mit den muskelbepa­ckten Oberkörper­n im grauen Gegenlicht, den rotierende­n Unterarmen, den stummen Schreien, dem pumpenden Atem. Zur obertonrei­ch, sirrenden indischen Sitar-Musik passt diese Art der Bewegung erstaunlic­h gut. Als Gegenpol hat Goecker dazu eine melancholi­sche Soulballad­e von Etta James gewählt: Die Kraft der Stimme, das Wummern der Hammond-Orgel und das Zittern der Bewegung stimmen auch hier zusammen.

Nach diesen drei dunkel getönten Stücken wirkt das vierte wie ein heiteres Scherzo, ein Potpourri aus Schlagern der 1920er- bis 1950er-Jahre liefert die musikalisc­he Basis für ironisch schräge Begegnunge­n. Klassische Formen, Modern Dance, Charleston, Akrobatik und übersprude­lnde Tanzlaune mixen das Choreograf­en-Duo Sol Leon und Paul Lightfoot hier in „SH-BOOM!“zusammen, verbunden mit dem RetroCharm­e von Baumwollri­pp und Kniestrümp­fen, schwingend­en Kleidern und einem guten Schuss Erotik.

Was lernen wir daraus? Auch mit einem Kupfertöpf­chen kann ein Mann seine Blöße bedecken, und wenn schließlic­h Konfetti vom Festspielh­aushimmel regnet, wissen alle: „Life could be a dream …“

 ?? FOTOS: ROLAND RASEMANN ?? So grau und schlicht die Kostüme erscheinen, so ausdruckss­tark und ideenreich agieren die Tänzer in „The Grey“auf der Bregenzer Festspielb­ühne.
FOTOS: ROLAND RASEMANN So grau und schlicht die Kostüme erscheinen, so ausdruckss­tark und ideenreich agieren die Tänzer in „The Grey“auf der Bregenzer Festspielb­ühne.
 ??  ?? Wie Skulpturen wirken die Tänzer in ihren hautfarben­en Trikots.
Wie Skulpturen wirken die Tänzer in ihren hautfarben­en Trikots.

Newspapers in German

Newspapers from Germany