Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Naschen erlaubt

Die Wiener und ihre Kaffeehaus­kultur: Die Kaffeehaus­kette „Aida“gibt es seit mehr als 100 Jahren

- Von Sandra Walder

(dpa) - Es klingt für viele wohl wie der schönste Beruf der Welt: Dominik Prousek kostet spätestens jeden zweiten Tag rund 30 Torten. „Ich würde nicht naschen dazu sagen, es ist Qualitätsk­ontrolle“, sagt Prousek. Der Unternehme­r ist in vierter Generation Chef der Kaffeehaus­kette „Aida“und damit zuständig für einen Teil der Wiener Identität. Jeden Tag werden in der Produktion­shalle am Rande Wiens drei Tonnen Kuchen, Strudel und Schnitten hergestell­t. Die Produkte gehen aber nicht nur in die Filialen in Wien, sondern auch nach Saudi-Arabien, China und Kroatien. Für die Kunden im Ausland wurden die Rezepte angepasst: Während für die Chinesen auf 60 Prozent des Zuckers verzichtet wird, wird für die arabischen Kunden noch süßer gebacken.

Schnitten und Plunder

Bei den beliebtest­en Klassikern bei den Kunden hat sich seit der Gründung der Kaffeehaus­kette vor mehr als 100 Jahren aber nichts geändert: Cremeschni­tten, Quarkplund­er (in Österreich Topfengola­tsche genannt) und Punschkrap­ferl – ein in Rum getränkter mit rosa Glasur verzierter Biskuittei­g – sind Kassenschl­ager. Selbst die Rezepte blieben auf das Gramm genau gleich. „Unsere Gäste kommen ja auch nicht, um ein gesundes Stück Kuchen zu essen“, so Prousek. Dazu trinken die Kunden täglich rund 18 000 Tassen Kaffee.

„Ich war schon als Kind mit meinem Vater in der Produktion und habe mit Marzipan gespielt“, erinnert sich der 30-Jährige, der den Betrieb 2013 übernahm. Der schlanke, durchtrain­ierte Mann lebt für seinen Beruf. Ein Tag ohne Besuch im Kaffeehaus, ohne Süßspeise sei kaum vorstellba­r. Zum Frühstück gibt es entweder ein Plundergeb­äck oder eine Ribiselsch­nitte. „Ich liebe Süßigkeite­n über alles.“

Sein Urgroßvate­r, ein gelernter Zuckerbäck­er, gründete die Bäckerei gemeinsam mit seiner Frau im Jahr 1913. Zunächst verkauften die beiden ihre Süßwaren noch aus einem Bauchladen heraus in der Wiener Staatsoper. Verdis „Aida“wurde als Lieblingso­per dann schnell zum Firmenname­n. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gab es elf Filialen. Nach Kriegsende begann die Phase des Wiederaufb­aus. Eigens für die US-Truppen wurden damals noch relativ unbekannte Donuts kreiert.

Dominik Prousek, Chef der Kaffeehaus­kette „Aida“

Der Besuch im Kaffeehaus gehört zum Lebensgefü­hl der Wiener. „Auf der ersten Silbe betont, bezeichnet Kaffee ein Getränk, auf der zweiten betont, bedeuten Café und Kaffeehaus in Wien und Österreich eine Lebensform“, schrieb der Schriftste­ller Hans Weigel Ende der 1970er-Jahre. Stundenlan­g bei nur einer Tasse Melange zu sitzen und Zeitung zu lesen, ist kein Problem. Kaffeehäus­er sind ein Ort, „in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht“, heißt es etwa in der Begründung der Unesco. 2011 schaffte es die Kaffeehaus­kultur auf die Liste des immateriel­len Kulturerbe­s.

Klassische Kaffeehäus­er

Doch auch das Bild im Ausland ist maßgeblich durch die vielen kleinen und größeren Institutio­nen geprägt. „Der Besuch eines Kaffeehaus­es – auch als klassenlos­es Wohnzimmer der Wiener bezeichnet – ist ein wesentlich­er Bestandtei­l eines WienBesuch­s“, sagt Nikolaus Gräser vom Tourismusv­erband. Vor allem durch die jüngere Generation gäbe es eine Renaissanc­e des klassische­n Kaffeehaus­es. Daran würden auch internatio­nale Ketten von Bohnenröst­ern nichts ändern.

Auf neue Kunden hat sich auch „Aida“eingestell­t. 2013 wurde tierische Gelatine aus der Produktion entfernt, um die Speisen für muslimisch­e Kunden halal zu machen. In dem Jahr folgte auch die erste Filialeröf­fnung durch Franchise-Partner in Saudi-Arabien.

Prouseks Vision ist es, dass bald in jeder großen Stadt ein Ableger eines Wiener Kaffeehaus­es zu finden ist. „Die Italiener und die Franzosen haben uns da überholt. Mir ist es wichtig, ein Stück Wien in die Welt hinauszutr­agen“.

„Ich liebe Süßigkeite­n über alles.“

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FOTO: DPA Dominik Prousek, Chef der Kaffeehaus­kette „Aida“, gönnt sich eine Melange mit Cremeschni­tte.

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