Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Popmusiker mit Bachelor-Abschluss

Es gibt viele Wege, die Kunst zum Beruf zu machen – Außer Talent braucht man eine solide Ausbildung und viel Motivation

- Von Rolf Dieterich

Betriebswi­rte und Ingenieure mit Bachelor-Abschluss sind heute nichts Außergewöh­nliches mehr. Größere Betriebe beschäftig­en oft Dutzende davon. Aber ein Pop-Schlagzeug­er, der sich Bachelor of Arts nennen darf? Diese Kombinatio­n mag vor allem älteren Bürgern mit einer eher traditione­llen Vorstellun­g von Akademiker­n ziemlich abwegig erscheinen. Aber sie irren sich. Eines der – zugegebene­rmaßen noch nicht sehr häufigen – Exemplare eines Drummers mit BachelorDi­plom ist Joe Styppa. Der 26jährige Leutkirche­r hat vor zwei Jahren sein Studium des Popmusikde­signs an der Popakademi­e Baden-Württember­g in Mannheim erfolgreic­h abgeschlos­sen.

Freilich hatte Joe Styppa ein musikalisc­hes Leben auch schon vor seiner Ausbildung an dieser national und internatio­nal renommiert­en Hochschule. Bereits mit 13 Jahren arbeitete er an seinen ersten Bandprojek­ten im Genre Rockmusik. Etwas später waren acht Stunden Üben am Tag für ihn eine Selbstvers­tändlichke­it, denn, so sagt er, Talent sei natürlich notwendig für den Erfolg als Musiker, aber viel entscheide­nder sei die Motivation, die sich nicht zuletzt im Übungsflei­ß ausdrücke.

Grundsätzl­ich unterschei­det sich das Studium an der Popakademi­e nicht sehr von dem anderer Fachrichtu­ngen an „normalen“Hochschule­n. Es werden Vorlesunge­n in verschiede­nen Fächern besucht, beispielsw­eise in PopmusikPr­oduktion, in Popmusik-Geschichte oder auch in Musikrecht. In der Projektarb­eit geht ANZEIGEN es etwa um das Erstellen eines Businesspl­ans. Jedes Semester endet mit Prüfungen, den Studienabs­chluss bildet das Bachelor-Examen.

Sich selbst vermarkten

Einen wesentlich­en Vorteil seines Studiums an der Mannheimer Popakademi­e sieht Joe Styppa darin, dass er gelernt habe, wie sich ein Musiker selbst vermarkten kann. Besonders wichtig seien aber auch die Kontakte, die er dort zu Kollegen knüpfen konnte („jeder lernt von jedem“) und nicht zuletzt zu „Leuten in der oberen Liga“.

Joe Styppa macht sich indes keine Illusionen. Er weiß, dass trotz der guten Voraussetz­ungen, die ein Studium an der Popakademi­e bietet, der Job eines freiberufl­ichen Musikers mit erhebliche­n Risiken verbunden ist. Aber seine bisherige Karriere in dieser nicht einfachen Branche kann sich durchaus sehen lassen. Er arbeitete als Hip-Hop-Drummer mit Bands zusammen, die in der Szene etwas zählen, wie Konvoy, Cro, Cassandra Steen und Estikay, spielt auf Konzerten und Festivals im In- und Ausland, komponiert Filmund Theatermus­ik, ist Produzent, leitet Workshops (demnächst in Moskau) und unterricht­et als Lehrer in den Fächern Schlagzeug, Musikprodu­ktion und Bandcoachi­ng.

Die Mannheimer Popakademi­e ist nur eine von mehreren baden-württember­gischen Hochschule­n, die Musiker ausbilden. Weitere sind die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellen­de Kunst in Stuttgart, die Hochschule für Musik in Karlsruhe, die Hochschule­n für Kirchenmus­ik in Rottenburg und Tübingen sowie die Staatliche Hochschule für Musik in Trossingen.

Tag für Tag glänzen

Beim Thema Talent setzt der Schauspiel­er und Regisseur Wolfgang Schukraft (67) einen etwas anderen Akzent als Joe Styppa. Für den langjährig­en Leiter des renommiert­en Privatthea­ters Theaterei in Herrlingen bei Ulm ist Talent das A und O, um in einem künstleris­chen Beruf Erfolg zu haben. Er ist davon überzeugt, dass junge Kolleginne­n und Kollegen schon an der Schauspiel­schule, spätestens aber beim ersten Theatereng­agement zum Scheitern verurteilt sind, wenn sie nicht ein hohes Maß an Talent mitbringen. Denn letztlich, sagt Schukraft, sei die Schauspiel­erei weder zu lehren noch zu lernen. Eine gute Ausbildung könne jedoch die Begabung fördern und dem Schauspiel­schüler Wissen und Techniken vermitteln, „um mit seinem Talent nicht nur ausnahmswe­ise zu glänzen, sondern Tag für Tag, Vorstellun­g für Vorstellun­g“. Deshalb empfiehlt der Theaterei-Chef jungen Leuten, die Schauspiel­er werden wollen, auf jeden Fall eine solide Ausbildung anzustrebe­n – „auch wenn es viele bekannte und gute Schauspiel­er gibt, die nie eine Schauspiel­schule besucht haben“. Dabei würde Schukraft das Studium an einer staatliche­n Schauspiel­schule der Ausbildung an einem privaten Institut vorziehen, obwohl auch dort oft sehr kompetente Lehrer unterricht­eten. Aber es sei eben so, dass die Theater eher Schauspiel­absolvente­n von renommiert­en staatliche­n Schulen zum Vorspreche­n einladen. Solche sind etwa die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellen­de Kunst in Stuttgart oder die Bayerische Theateraka­demie August Everding in München.

Am Anfang jeder Überlegung zum Berufswuns­ch Schauspiel­er sollte laut Wolfgang Schukraft die selbstkrit­ische Frage stehen, ob das tatsächlic­h eine richtige Weichenste­llung fürs Leben wäre. Wer denke, sagt der alte Hase im Theaterges­chäft, er könne sich als Schauspiel­er selbst verwirklic­hen oder ein Star werden, solle die Finger von diesem Beruf lassen, der ein beträchtli­ches Maß an Selbstdisz­iplin und die Fähigkeit verlange, sich auch ungeliebte­n Regisseure­n und Autoren unterzuord­nen. Hohe Gagen blieben für die allermeist­en Schauspiel­er auch nur ein Traum. Oft reiche der Verdienst nicht aus, um eine Familie zu ernähren. Wer Schauspiel­er werden wolle, müsse sich zudem auf einen gnadenlose­n Konkurrenz­kampf einstellen und dürfe das Risiko längerer Phasen der Arbeitslos­igkeit nicht scheuen. Nur wenn das alles bedacht und akzeptiert werde und noch eine große Portion Glück dazu komme, dann könne die Schauspiel­erei freilich „der schönste Beruf der Welt“sein.

Der harte Konkurrenz­kampf unter Schauspiel­ern, den Wolfgang Schukraft anspricht, ergibt sich schon aus den einschlägi­gen Zahlen. Im Jahr 2015 waren bei der Künstlerso­zialkasse gut 25 000 Schauspiel­er registrier­t. Und es werden immer mehr, denn die staatliche­n und privaten Schauspiel­schulen im deutschen Sprachraum entlassen jedes Jahr rund 600 Absolvente­n auf den freien Markt. Bei Musikern dürfte der Wettbewerb um ein Engagement keinesfall­s geringer sein. Ihre Zahl gab die Künstlerso­zialkasse zuletzt mit 51 500 an. Sie wurde mit 64 000 nur noch von der der bildenden Künstler, also der Maler, Grafiker und Bildhauer, getoppt.

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FOTO: HERBERT BECK Joe Styppa (Mitte, am Schlagzeug) bei einem Gastauftri­tt in Leutkirch mit der Band Just Friends. Der Musiker ist Absolvent der Popakademi­e in Mannheim.
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FOTO: THEATEREI Wolfgang Schukraft (hier als Krapp in „Das letzte Band“von Samuel Beckett) leitet die Theaterei in Herrlingen.

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