Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Fußball-Welt weint mit San Gigi

Nach dem WM-Aus der Italiener nimmt eine große Persönlich­keit Abschied vom internatio­nalen Fußball

-

MAILAND (SID/dpa) - Im bittersten Moment seiner schillernd­en Karriere blieb sich Gianluigi Buffon treu. Das Wohl der Anderen – für San Gigi, den Heiligen, besaß es auch an diesem Abend weitaus mehr Bedeutung als das eigene Schicksal. Mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen gratuliert­e Italiens Torwart-Ikone nach dem schmerzhaf­ten WM-Aus der stolzen Fußball-Nation zuallerers­t den Schweden, die seine internatio­nale Karriere beendet hatten. Dann nahm der 39-Jährige tröstend seine trauernden Teamkolleg­en in den Arm – und kümmerte sich ganz zum Schluss doch noch um das eigene Schicksal. In aller Kürze, natürlich.

„Die Zeit schreitet stets voran, mein Ende im Nationalte­am ist nur die logische Konsequenz“, sagte Buffon mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen: „Das Aus ist sehr enttäusche­nd für mich, aber vor allem für Italien. Die WM-Qualifikat­ion wäre auch in sozialer Hinsicht extrem wichtig für das Land gewesen.“

Dass der viermalige Weltmeiste­r 2018 erstmals seit 60 Jahren bei einer WM-Endrunde fehlen wird, dürfte vielleicht noch zu verschmerz­en sein. Es wird ja wieder anders kommen. Aber Italien ohne Buffon? Die Azzurri ohne ihren leidenscha­ftlichen Vorsänger? Jubel und Trauer ohne diese unverblümt­e Echtheit? Das will man sich gar nicht ausmalen.

„Wenn ich aufhöre“, sagte Buffon einmal ohne einen Anflug von Größenwahn, „dann möchte ich, dass die Leute traurig sind.“Tatsächlic­h bedrückte bereits das Ende seiner Nationalma­nnschaftsk­arriere die Menschen weltweit. Wie soll es erst im kommenden Sommer werden, wenn Buffons Laufbahn bei Juventus Turin wohl zu Ende geht? Egal ob in England oder Italien, Spanien, Deutschlan­d, Europa oder in Amerika, gedruckt oder online – der Kummer der „Numero Uno“stand symbolisch für den Schmerz einer Nation. Die Squadra Azzurra, das war nunmal über viele Jahre hinweg vor allem Buffon.

Umbruch ist unausweich­lich

Im Alter von nur 19 Jahren hatte der Rekordnati­onalspiele­r sein erstes von insgesamt 175 Länderspie­len bestritten. Ein 1:1 war damals gegen Russland herausgesp­rungen, passenderw­eise in den Play-offs für die WM 1998 in Frankreich, wo Buffon dann auch erstmals teilnahm. Den Höhepunkt erlangte er acht Jahr später mit dem Triumph in Deutschlan­d.

„Man erinnert sich an unsere Taten. An unsere Fähigkeit, das Unmögliche wahrzumach­en“, beschrieb Buffon seine Devise, die sich wie ein roter Faden durch das bisherige Leben zog. Reue? Niemals. „Ich wollte nicht, dass die vielen Menschen ohne Arbeit sind“, begründete Buffon sein Investment in ein krisengesc­hütteltes Textilunte­rnehmen, bei dem er Millionen verlor: „Es hat mir nicht gefallen, dass immer mehr ausländisc­he Investoren Firmen übernahmen. Ich glaube an 'Made in Italy'.“Vielleicht auch deshalb absolviert­e er seine komplette Karriere (bislang) in der Heimat, zog 2006 den Zwangsabst­ieg mit Juventus Turin in die Serie B einem lukrativen Wechsel ins Ausland vor. Das Ende in der Nationalel­f ist ein kleiner Vorgeschma­ck auf die Zeit ohne San Gigi. Er wird fehlen – nicht nur Italien.

Doch ist der Rücktritt von Buffon, Andrea Barzagli, Giorgio Chiellini oder Daniele De Rossi auch die Möglichkei­t einer Zeitenwend­e. Für die Nationalma­nnschaft war bereits nach dem K.o. in der WM-Vorrunde 2014 gegen Uruguay ein Neustart beschworen worden. Schmerzt der jüngste Absturz nun genug, damit er vollzogen wird, Generation­enwechsel inklusive? „Weg mit den Mumien, die den italienisc­hen Fußball leiten, und mehr Raum für junge Leute auch außerhalb des Spielfelds“, forderte Ex-Nationalsp­ieler Paolo Cannavaro. Und Marco Tardelli, Weltmeiste­r von 1982, rief direkt nach einer Neugründun­g des italienisc­hen Fußballs: „Wer dieses Debakel zugelassen hat, darf nicht auf seinem Platz bleiben.“

Wie es bei der Squadra Azzurra nun weitergeht, ist allerdings völlig offen. Nationaltr­ainer Gian Piero Ventura, der jüngst seinen Vertrag bis 2020 verlängert hatte, wird dieser Neustart nicht mehr zugetraut. Er steht vor dem Aus. Einen Rücktritt schloss der 69-Jährige aber aus.

Zudem sind es auch die Spieler, auf die es ankommt. „Wir jungen Spieler müssen jetzt aber mit gutem Beispiel vorangehen und dieser Nationalma­nnschaft so viele Emotionen und Siege bringen wie möglich“, sagte der 23-jährige Federico Bernardesc­hi von Juventus Turin.

Auch Bundestrai­ner Joachim Löw hatte sich bis zuletzt eine WM ohne die Italiener, mit denen sich die deutsche Elf viele legendäre Spiele geliefert hat, nicht vorstellen wollen. Das wäre „Wahnsinn“. Doch dieser ist nun Realität.

 ?? FOTO: AFP ?? Heroisch bis zum bitteren Schluss – Gianluigi Buffon.
FOTO: AFP Heroisch bis zum bitteren Schluss – Gianluigi Buffon.

Newspapers in German

Newspapers from Germany