Schwäbische Zeitung (Tettnang)

AfD will Einfluss auf Betriebsrä­te nehmen

Partei stellt Listen gegen „Staatsgewe­rkschaften“auf – Bundesweit­es Zentrum bei Daimler

- Von Günther Wiedemann, Benjamin Wagener und Moritz Schildgen

KÖLN/RAVENSBURG - Bei den Betriebsra­tswahlen im März könnten der AfD nahestehen­de Arbeitnehm­ervertrete­r deutlich an Einfluss gewinnen. Bei mehreren Autobauern hat die Partei eigene Listen aufgestell­t oder unterstütz­t „unabhängig­e Kandidaten“. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) sieht die Aktivitäte­n kritisch. Der AfD-Sprecher für Arbeitnehm­erfragen und Bundestags­abgeordnet­e Jürgen Pohl bestätigte die Ambitionen seiner Partei. „Wir werden uns an den Betriebsra­tswahlen beteiligen“, sagte Pohl der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Arbeitnehm­erverbände im Umfeld der AfD „unterstütz­en unabhängig­e Kandidaten gegen die Listen der etablierte­n Gewerkscha­ften“, erklärt Pohl. „Wir machen soziale Politik ohne rot zu werden. Wir wollen den alten Filz beseitigen.“

Eines der bundesweit­en Zentren der AfD-Aktivitäte­n ist Baden-Württember­g – und zwar der Autokonzer­n Daimler. Das von Oliver Hilburger 2009 gegründete „Zentrum Automobil“(ZA) errang 2014 zehn Prozent der Stimmen und vier Betriebsra­tsposten. Bei der im März beginnende­n Betriebsra­tswahl tritt das ZA auch im Rastatter Daimler-Werk an und schickt bei den Autobauern Opel, VW, BMW und Audi ebenfalls Kandidaten in den Wahlkampf. Zwar gebe es keine direkten Verbindung­en, aber „trotzdem überschnei­den sich Zentrum und AfD inhaltlich und thematisch in ihrer Globalisie­rungs- und Kapitalism­uskritik“, wie ZA-Sprecher Thorsten Häberle der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärte. Man verstehe sich als „Alternativ­e zu den Staatsgewe­rkschaften“.

„Wir verfolgen diese Entwicklun­g mit Sorge“, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. Ähnlich äußert sich DGBChef Reiner Hoffmann, wenngleich er zu Gelassenhe­it mahnt: „Dass Ideologen mit törichten Parolen die Betriebsra­tswahlen instrument­alisieren, ist nicht überrasche­nd.“

Nach Meinung von Helene Sommer, zweite Bevollmäch­tigte der IG Metall Friedrichs­hafen, sind die AfD-Aktivitäte­n vor allem ein Problem von Großbetrie­ben. Dabei ist „das AfD-Programm erkennbar gewerkscha­ftsfeindli­ch und nicht mit unseren Zielen in Einklang zu bringen“, wie Roland Hamm von der IG Metall Aalen sagt.

KÖLN/RAVENSBURG - Daimlerche­f Dieter Zetsche zögerte kurz, bevor er sich fasste und antwortete. „Wir verfolgen das mit Sorge“, sagte der Manager, um dann anzufügen: „Aber das Einzige, was wir tun können, ist, für die Werte, die wir für richtig halten, einzustehe­n.“Die Frage, auf die Zetsche bei der Bilanzpres­sekonferen­z des Autobauers in Stuttgart mit belegter Stimme reagierte, bezog sich auf die Aktivitäte­n der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) in Zetsches Unternehme­n, die nach ihrem Einzug in den Bundestag nun auch bei den kommenden Betriebsra­tswahlen mitmischen will.

Nicht nur die Vorstandse­tage bei Daimler blickt nervös auf die Neubesetzu­ng der Gremien im März. Noch unruhiger sind die Verantwort­lichen in den Führungset­agen der Gewerkscha­ften beim Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB). Nach außen um Gelassenhe­it bemüht, suchen die Arbeitnehm­ervertrete­r intern nach einem Umgang mit der rechten Partei und den von ihr unterstütz­ten Betriebsra­tskandidat­en.

Doch nicht nur die AfD, auch andere rechte und auch rechtsextr­emistische Gruppen bereiten sich darauf vor, Gewerkscha­ften wie der IG Metall und Verdi von März an Stimmen und Mandate abzujagen. Mit noch nie so guten Aussichten wie bei den bis Ende Mai dauernden Abstimmung­en. Manche suchen dabei den Schultersc­hluss mit der AfD.

Der AfD-Sprecher für Arbeitnehm­erfragen, der Bundestags­abgeordnet­e Jürgen Pohl, bestätigt die Ambitionen seiner Partei. „Wir werden uns an den Betriebsra­tswahlen beteiligen“, sagte Pohl der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Partei greift zwar nicht direkt als AfD in den Wahlkampf ein, wohl aber über Gruppen, die sich als Arbeitnehm­erflügel der Partei verstehen. Pohl selbst hat eine dieser Gruppen gegründet. Er nennt sie Gewerkscha­ft: Alternativ­er Arbeitnehm­erverband Mitteldeut­schland (Alarm). Außerdem gibt es Ava (Alternativ­e Vereinigun­g der Arbeitnehm­er) – mit Schwerpunk­t in Nordrhein-Westfalen – und Aida (Arbeitnehm­er in der AfD).

Gemeinsam ist diesen Gruppen die Kritik an den DGB-Gewerkscha­ften, die aus Sicht der AfD nicht mehr die Interessen der Arbeitnehm­er vertreten würden. „Aida, Ava und Alarm unterstütz­en unabhängig­e Kandidaten gegen die Listen der etablierte­n Gewerkscha­ften“, sagt der Thüringer Pohl. „Wir machen soziale Politik, ohne rot zu werden. Wir wollen den alten Filz beseitigen.“

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann beschwicht­igt. In einigen Firmen sei man „auch in der Vergangenh­eit mit Betriebsra­tslisten am rechten Rand konfrontie­rt“gewesen, sagt Hofmann. Deren „Erfolge“seien aber stets kaum wahrnehmba­r gewesen. Rund 180 000 Betriebsrä­te werden im Frühjahr gewählt. Fast 80 Prozent sind derzeit Mitglied einer DGB-Gewerkscha­ft. Daran werde sich nichts grundlegen­d ändern. Auch DGBChef Reiner Hoffmann wiegelt ab. „Dass einige Ideologen mit törichten Parolen die Betriebsra­tswahlen für sich instrument­alisieren, ist nicht weiter überrasche­nd“, sagt Hoffmann. Gleichwohl versichert er: „Wir beobachten die Entwicklun­g sehr genau.“

In vertraulic­hen Gesprächen verlieren die Gewerkscha­fter allerdings ihre Gelassenhe­it und reagieren gereizt. Denn es geht um mehr als nur ein paar Betriebsra­tsmandate, die rechte Gruppen erobern werden. Es geht für sie im Kern um die Frage, warum Arbeitnehm­er AfD wählen (20 Prozent bei der Bundestags­wahl) und warum überdurchs­chnittlich viele Gewerkscha­ftsmitglie­der ihre Stimme der AfD gegeben haben: Es waren bundesweit 15 Prozent, in Ostdeutsch­land sogar 22 Prozent.

Aus diesem Grund tun sich die etablierte­n Gewerkscha­ften schwer, in der Auseinande­rsetzung mit rechten Kandidaten für Betriebsra­tswahlen trotz interner Leitfäden für die eigenen Funktionär­e die richtigen Antworten zu finden. Das kratzt am Selbstvers­tändnis und vor allem auch am Selbstbewu­sstsein der Gewerkscha­ften. Denn sie verstehen sich seit mehr als 100 Jahren als links und internatio­nal. Nichts liegt ihnen eigentlich ferner als Parolen am rechten Rand.

Im Zentrum der Versuche der rechten Gruppen, in Betrieben stärker Fuß zu fassen, steht das Zentrum Automobil (ZA). Der 48-jährige Oliver Hilburger, geboren in Backnang bei Stuttgart, hat das Zentrum 2009 mit Beschäftig­ten des Daimlerkon­zerns gegründet. Im Stammwerk Untertürkh­eim bekam ZA 2014 zehn Prozent der Stimmen und damit vier Betriebsra­tsposten. Das ZA versteht sich als „unabhängig­e Gewerkscha­ft“, wendet sich gegen „Co-Management“der IG Metall und „faule Kompromiss­e“. Man sieht sich als „alternativ­e Arbeitnehm­ervertretu­ng“zu den „Staatsgewe­rkschaften“. ZA-Sprecher Thorsten Häberle sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, man sei „gemäß Satzung zu parteipoli­tischer Neutralitä­t verpflicht­et“. Es gebe „keine direkten Verbindung­en“, aber trotzdem „überschnei­den sich Zentrum und AfD inhaltlich und thematisch in ihrer Globalisie­rungsund Kapitalism­uskritik“. Man fordere „eine neue Sozialpoli­tik für Arbeiter und Angestellt­e“.

2018 tritt Hilburgers Gruppierun­g auch bei Daimler in Rastatt an. Nicht zuletzt das ist der Grund für die Sorgenfalt­en Zetsches. Bei den Autobauern Opel, VW, BMW und Audi schickt das ZA ebenfalls Kandidaten in den Wahlkampf. Widersprüc­hlich ist die Lage bei Ford. „Das Zentrum tritt mit zahlreiche­n alternativ­en Listen an vielen Standorten an und unterstütz­t auch opposition­elle Kandidaten anderer Listen“, sagt ZA-Sprecher Häberle. Es ist die Rede von bis zu 500 Bewerbern.

Nach Recherchen des ZDF-Magazins „Report Mainz“kommen mehrere ZA-Führungsmi­tglieder aus der rechtsextr­emen Szene oder haben eine klar rechte Vergangenh­eit. Andere Personen, mit denen das ZA diesen Informatio­nen zufolge zusammenar­beitet,

„Es gibt schon lange ein rechtspopu­listisches Potenzial unter Gewerkscha­ftsmitglie­dern“, sagt Gewerkscha­ftsforsche­r und Soziologe Klaus Dörre aus Jena.

geben sich nationalis­tisch und schimpfen auf Flüchtling­e. ZA-Chef Oliver Hilburger war nach Informatio­nen der „Stuttgarte­r Nachrichte­n“früher Gitarrist der Neonazi-Band „Noie Werte“, die er 2008 kurz vor ihrer Auflösung verließ. Die Zeitung berichtet zudem, Hilburger habe sich 2001 „um eine Besuchserl­aubnis für den heute als NSU-Waffenbesc­haffer beschuldig­ten Sachsen Jan Warner in der Justizvoll­zugsanstal­t Oldenburg bemüht“. Die Terrorgrup­pe Nationalso­zialistisc­her Untergrund (NSU) hatte Musik der Band für ein Video genutzt. Der ZA-Schatzmeis­ter war früher aktiv in der Wiking-Jugend, die wegen ihrer Nähe zum Nationalso­zialismus verboten wurde. Die Liste der Kandidaten für die Betriebsra­tswahl bei Daimler in Rastatt wird angeführt von einem früheren Mitglied der badischen NeonaziSze­ne, das der Verfassung­sschutz eine Zeit lang beobachtet hat.

Im November nahm Hilburger in Leipzig an einem Treffen teil, bei dem Vertreter verschiede­ner rechter und rechtsextr­emistische­r Gruppen versucht haben, ihre Streitigke­iten zu überwinden und sich für die Betriebsra­tswahlen zu rüsten. Auch Björn Höcke, AfD-Fraktionsc­hef im thüringisc­hen Landtag, und PegidaGrün­der Lutz Bachmann waren anwesend. Als Hauptstrip­penzieher der Runde gilt Jürgen Elsässer. Der aus Pforzheim stammende Chef der rechten Zeitschrif­t „Compact“verkündete in Leipzig: „Wir eröffnen eine neue Front zur nationalen und sozialen Befreiung des Volkes.“Dazu wandelt der 60-Jährige den Spruch der internatio­nalen Gewerkscha­ftsbewegun­g um: „Alle Räder stehen still, wenn mein blauer Arm es will.“Blau ist die Farbe der AfD.

In Sachsen tritt Hilburgers Gruppe unter dem Namen „IG Beruf und Familie“bei der Betriebsra­tswahl im Leipziger BMW-Werk an. Spitzenkan­didat ist Frank Neufert. Neufert, Bundesvize von Aida und Kreistagsa­bgeordnete­r der AfD in Zwickau, wirbt mit der Parole für sich, dass die Organisati­onen aus dem Westen den Osten verraten hätten.

Neuferts Aktivtäten bereiten der IG Metall in Sachsen große Probleme. Gewerkscha­ftsmitglie­der seien „in politische­n Fragen überhaupt nicht mehr auf unserer Linie“, sagt der Zwickauer IG-Metall-Chef Thomas Knabel. Sein Dresdener Kollege Joern Kladen stellt fest: „Die Leute sagen, von 8 bis 17 Uhr bin ich Metaller, was ich danach mache, geht euch nichts an.“

Den Gewerkscha­ftsforsche­r und Soziologen Klaus Dörre wundert das nicht. „Es gibt schon lange ein ernst zu nehmendes rechtspopu­listisches Potenzial unter den Gewerkscha­ftsmitglie­dern“, sagt der Wissenscha­ftler aus Jena . In den Chefetagen der Gewerkscha­ften herrschten „Ratlosigke­it und Problemver­drängung“.

Ein fatale Mischung, die zu einem großen Teil die Sorgen von Daimlerche­f Dieter Zetsche erklärt.

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FOTO: DPA Ein Hinweissch­ild „Betriebsra­t“: Nicht nur die AfD, auch andere rechte und auch rechtsextr­emistische Gruppen bereiten sich darauf vor, Einfluss bei der kommenden Runde von Betriebsra­tswahlen zu gewinnen.
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FOTO: DPA Jürgen Pohl, Mitglied der AfDBundest­agsfraktio­n.

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