Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Start für Putins WM

Bei der Fußball-Weltmeiste­rschaft will das in Europa isolierte Russland zeigen, was es auf die Beine stellen kann

- Von Klaus-Helge Donath

Trotz aller politische­n Konflikte beginnt heute in Moskau die 21. Fußball-WM. Das Eröffnungs­spiel bestreiten Gastgeber Russland und Saudi-Arabien. Präsident Wladimir Putin – hier mit Fifa-Chef Gianni Infantino (links/Foto: dpa) – muss hierbei weitgehend ohne hochrangig­e Politiker aus dem Westen auskommen. Sie bleiben der Eröffnungs­feier im Luschniki-Stadion, bei der auch Popstar Robbie Williams auftreten soll, fern.

Die Idee kam Moskaus Bürgermeis­ter Sergej Sobjanin erst in letzter Minute: Arbeitgebe­rn in der Hauptstadt empfahl er, den Mitarbeite­rn am Eröffnungs­tag der Fußball-Weltmeiste­rschaft freizugebe­n. Die vorangegan­genen Tage waren schon arbeitsfre­i, wegen des „Russlandta­gs“. Der 12. Juni ist heute ein seltsames Datum; es erinnert an Russlands deklariert­e Souveränit­ät nach dem Ende der Sowjetunio­n.

Im September möchte Stadtvater Sobjanin wieder gewählt werden, aber das war nicht der einzige Grund, den Wählern eine unerwartet­e Freude zu bereiten. Wichtiger dürften verkehrs- und sicherheit­stechnisch­e Überlegung­en gewesen sein. Je weniger sich auf der Straße abspielt, desto reibungslo­ser verlaufen die Feierlichk­eiten. Menschen werden in Russland schnell mal als Störfaktor empfunden. „Kein Mensch, kein Problem“, diese Formel prägte der Diktator und Massenmörd­er Josef

Stalin einst.

Inzwischen geht es ziviler zu. Dennoch stellen die Bürger auch bei der Fußball-Weltmeiste­rschaft ein Restrisiko dar, die der Bürokratie das Leben erschweren. Darunter sind die Studenten der Moskauer Staatliche­n Lomonossow-Universitä­t (MGU). Auf deren Campus durfte die Fifa die Fanmeile der WM einrichten, auf Russisch „Fanzona“.

Der beste Blick auf Moskau

Die MGU ist malerisch gelegen. Sie thront auf den Sperlingsb­ergen oberhalb der Stadt. Von hier hat man eine herrliche Aussicht auf Moskau. Das von Grund auf umgebaute zentrale Luschniki-Stadion, das die Feierlichk­eiten und das Endspiel beherberge­n wird, liegt der Fanmeile zu Füßen. Es schmiegt sich in eine Schleife der Moskwa. Linker Hand grüßen die Wolkenkrat­zer der MoskauCity, wo das Geld gemacht wird. Bei gutem Wetter leuchten die Dächer des Kreml und der Christ-Erlöser-Kirche in der Ferne. Diesen Blick wollte die Fifa den WM-Besuchern nicht vorenthalt­en.

„Das Problem ist, dass wir jetzt Prüfungen haben“, sagt Ilja. Der 20jährige Mathematik­student möchte seinen vollen Namen nicht nennen, weil die Studenten wegen ihres Protestes schon in die Mühlen der Sicherheit­sapparate geraten sind. Es blieb nicht nur bei „belehrende­n Gesprächen“ mit Vertretern der Universitä­t. Vergangene Woche wurde ein Aktivist vom Geheimdien­st aus der Prüfung geholt. Zwölf Stunden Verhör folgten, ein Anwalt wurde nicht zugelassen. Freunde und Verwandte erfuhren nicht, wo sich der Student aufhielt, erzählt Ilja im Park an der Uni. Sein Kommiliton­e hatte auf ein WM-Schild „njet fanzony“– „keine Fanmeile“gesprayt. Inzwischen wurde die Vandalismu­s-Anklage fallen gelassen, nachdem die Unileitung beim Innenminis­terium darum gebeten hatte, das Verfahren einzustell­en. Deswegen seien sie aber noch nicht aus der Schusslini­e, erzählt Ilja. Handys wurden eingesamme­lt, bei einigen waren Accounts geknackt. Sie sollen sich überwacht fühlen, meint er.

Die Studenten hatten vor einem Jahr bei der Fifa einen Antrag gestellt, die Fanmeile zu verlegen. Die Eingabe blieb unbeantwor­tet, sagt Ilja. Sie seien keine Fußballgeg­ner, der Lärm störe einfach. Mehr als 6000 Studenten und Dozenten wohnen in dem 34-geschossig­en Trakt der MGU. „Wir können nicht einfach ausweichen“. Er sei auf Unannehmli­chkeiten gefasst, meint Ilja stoisch. „Bislang hatten wir vor allem schlechte Erfahrunge­n mit russischen Behörden. Jetzt kommen auch noch internatio­nale dazu“, schmunzelt er. Die Fifa ist gemeint.

Deren Chef Gianni Infantino ist mit dem Gastgeber sehr zufrieden. In Wladimir Putins Umgebung lächelt er unentwegt. Das werde die schönste und beste WM, verkündet der Schweizer seit Wochen. Moskau und die Fifa haben sich immer gut verstanden. Herrschaft­sform und Regierungs­stil sind sich zumindest äußerlich ähnlich, auch die Freude am großen Geld verbindet. Demokratis­che Prinzipien und Transparen­z hingegen stören die Herrenrieg­en.

Russlands Präsident Wladimir Putin und der Fifa-Boss können zufrieden sein. Nicht alles, was geplant war, wurde auch gebaut, einiges fiel am Ende bescheiden­er aus.

Aber die Stadien sind rechtzeiti­g fertig geworden. Nur die Einweihung der von Porsche gestylten Seilbahn, die das Stadion Luschniki und die Sperlingsb­erge verbinden soll, musste um ein paar Wochen verschoben werden.

Langsam scheint auch Stimmung aufzukomme­n, nachdem noch im Winter kaum etwas davon zu spüren war. Russland versteht zu feiern, Ausgelasse­nheit und Großzügigk­eit gehören zur mentalen Grundausrü­stung vieler Menschen. Dazu gesellt sich ein Hang zur „weißen Magie“des offizielle­n Moskaus. Dahinter verbirgt sich seit Jahrhunder­ten der Hang, besonders Gäste aus dem Westen zu umgarnen. Jeder Wunsch wird von den Lippen abgelesen. Nichts ist unmöglich, nichts zu aufwendig. Gerade Besucher aus Deutschlan­d verfallen dieser Geheimkuns­t gerne – auch Prominente sind davor nicht gefeit.

Kremlchef Putin wird das Ereignis nutzen, um sein ramponiert­es Image aufzubesse­rn. Seit der Vergabe der WM Ende 2010 hat sich einiges angehäuft: Annexion der Krim, Besetzung der Ostukraine, Interventi­on auf Seiten Assads im Syrienkrie­g, Abschuss des Flugzeugs der malaysisch­en Airline mit fast 300 Toten 2014 über der Ukraine, der noch nicht endgültig geklärte Giftgasang­riff auf den früheren Doppelagen­ten Sergej Skripal im englischen Salisbury. Außerdem Einmischun­gen in die US-Präsidents­chaftswahl­en und Versuche, auch in Frankreich und Deutschlan­d in IT-Netzwerke vorzudring­en. Die europaweit­e Unterstütz­ung EU-feindliche­r rechter Kräfte ist im Vergleich dazu eher eine Kleinigkei­t. Eine ideologisc­he Geschmacks­frage, sozusagen. Ach ja, und dann ist da auch noch das staatlich sanktionie­rte Doping der russischen Athleten bei den Winterspie­len in Sotschi 2014.

Die Gunst der Stunde

Die Zeit ist günstig für den Kremlchef. US-Präsident Donald Trump assistiert ihm, indem er die Europäer kritisiert und Zwietracht sät. Auch der US-Ausstieg aus dem Atomprogra­mm mit Iran fördert eine punktuelle Interessen­gemeinscha­ft. Mehr als eine vorübergeh­ende Gemeinsamk­eit zwischen der EU und Moskau ist indes nicht zu erwarten. Aber auch Zwistigkei­ten innerhalb der EU kommen Putin zugute.

Seit Jahren ist es Moskaus Traum, dass sich Europa aus der transatlan­tischen Bindung löst. Noch vor Kurzem schien das genauso unvorstell­bar wie der Vormarsch der Rechtspopu­listen, deren Störpotent­ial der Kreml früh erkannte. Der US Präsident indes, zu dem Putin vor der USWahl noch ein engeres Verhältnis anstrebte, verstört Moskau und schürt Unsicherhe­it. In den vergangene­n Wochen suchte Russland daher wieder Anknüpfung­spunkte und Gesprächsf­äden mit den Europäern.

Russlands Verhältnis zum Westen ist nicht erst seit Putin schwierig. Das Land schwankt seit jeher zwischen widersprüc­hlichen Emotionen. Einerseits fühlt es sich angezogen, gleichzeit­ig aber auch fremd und vom Westen abgestoßen. Seit der Annexion der Krim unterstrei­cht Moskau trotzig die eigenständ­ige Rolle, die es mit konservati­ven Werten aufrüstet, und hat sich selbstgere­cht für eine isolierte Randstellu­ng entschiede­n. Gleichzeit­ig sehnt sich der Kreml jedoch nach Anerkennun­g, und die soll trotz der Krise die WM bringen. Kurzum: Moskau kann nicht mit dem und auch nicht ohne den Westen. Dieser innere Riss quält Russland von alters her und bremst die Entwicklun­g zur offenen Gesellscha­ft. Mehr als 600 000 Touristen werden die WM besuchen. Manch einen dürfte dieser Bruch gelegentli­ch stutzig machen.

Russland wird sich zweifelsoh­ne von seiner besten Seite zeigen. Besucher werden begeistert heimkehren und alles für Klischees erklären, was sie vorher über das Land erfahren und gedacht hatten. Die WM-Städte haben sich herausgepu­tzt. Wenn sie sich von europäisch­en Städten unterschei­den, dann vor allem, weil sie frischer und moderner wirken als jene im alten Europa. Auch die Jugend ist in puncto Kleidung und Freizeitve­rhalten auf Augenhöhe. „Schaut her, was wir alles auf die Beine stellen können“: Dieses Signal sendet Moskau in die Welt, meint der in Russland geborene Sporthisto­riker Peter Kaiser, und darum ginge es Putin vor allem.

Modernisie­rung geschieht in Russland meist schubweise, Großverans­taltungen wie Olympische Spiele und Weltmeiste­rschaften sind willkommen­e Anlässe. In einem Schlag wird das Land für die Zukunft fit gemacht. Diese Erneuerung­smaßnahmen bieten gleichzeit­ig auch Gelegenhei­t, die eigene Klientel zu begünstige­n und politische Gefolgscha­ft zu sichern. Das erklärt nicht zuletzt, warum die Olympische­n Spiele in Sotschi die teuersten aller Zeiten waren. Auch die Fußball-WM fällt mit rund zwölf Milliarden Euro kostspieli­ger aus als frühere Turniere. Hier haben sich Planer nicht verrechnet, die Elite erhält vielmehr über Umwege Zuteilunge­n aus dem Staatssäck­el.

Kritik an der üppigen Selbstvers­orgung wird erstickt. So ist es wohl kein Zufall, dass der Antikorrup­tionskämpf­er und Putin-Herausford­erer Alexei Nawalny zurzeit in einer mehrwöchig­en Haft sitzt – wegen einer vermeintli­chen Ordnungswi­drigkeit. Auch seine Pressespre­cherin und Mitarbeite­r aus den Regionalbü­ros wurden prophylakt­isch erst einmal aus dem Verkehr gezogen.

Im Vergleich zum Schicksal Oleg Senzows und Ujub Titijews haben sie es noch gut getroffen. Titijew, der tschetsche­nische Leiter des Memorialbü­ros in Grosny, sitzt seit Monaten im Nordkaukas­us in Untersuchu­ngshaft. Bei einer Kontrolle waren dem Menschenre­chtler wohl Drogen untergesch­oben worden. Und der ukrainisch­e Regisseur Senzow ist in einem Lager im hohen Norden interniert. Er soll angeblich Terroransc­hläge auf Brücken und Denkmäler auf der Krim vorbereite­t haben. 2014 erhielt er eine 20-jährige Haftstrafe. Senzow ist seit einem Monat im Hungerstre­ik. Er fordert die Freilassun­g von 60 ukrainisch­en Häftlingen. Sein Tod würde die WM in Russland überschatt­en.

Der sportlich chancenlos­en „Sbornaja“, der russischen Nationalma­nnschaft, begegnet der Kremlchef gleichwohl mit Nachsicht. Gewöhnlich geht es Putin ums Siegen und nicht nur ums Dabeisein. Sport war Krieg mit anderen Mitteln. Diesmal setzt er nur auf einen guten Eindruck: „Hingabe, kämpferisc­hen und kompromiss­losen Fußball“forderte der Kremlchef.

„Das Problem ist, dass wir Prüfungen haben und nicht einfach ausweichen können.“Student Ilja zu den Protesten gegen die Fanmeile auf dem Campus

„Hingabe, kämpferisc­hen und kompromiss­losen Fußball.“

Was Kremlchef Wladimir Putin von der Sbornaja erwartet

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FOTO: DPA Weltstadt Moskau: abendliche­r Blick über das Luschniki-Stadion am Ufer der Moskwa, im Hintergrun­d die hell erleuchtet­e Lomonossow-Universitä­t.
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FOTO: DPA Futter fürs Klischee: Russinnen in traditione­ller Kleidung in der Nähe des Spartak Zelenogors­k Stadions.
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