Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wie aus der Zeit gefallen
Matthias Zimmermann rezitiert aus Joachim Meyerhoffs autobiografischem Roman
TETTNANG - In Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei hat Spectrum Kultur den aus Überlingen stammenden Matthias Zimmermann zur Rezitation aus Joachim Meyerhoffs autobiografischem Roman „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“eingeladen. Wieder war die Veranstaltung ausverkauft.
Hausherrin Cosima Kehle stellte Zimmermann, der soeben seine Doktorarbeit als Tiermediziner abgeschlossen hat, als komödiantische Künstlernatur vor. Da solche Auftritte für ihn Hobby sind, sei es erst nach mehreren Anfragen gelungen, ihn nach Tettnang zu locken.
Lesungen sind wir gewohnt, auch Lesungen aus fremden Werken. Eine Rezitation, meist aus einem fremden Werk, ist eher die Seltenheit. Wenn man allein, wo auch immer, ein Buch liest, entsteht eine Welt, in der sich das Gelesene mit eigenen Bildern verbindet. Jeder wird dabei in eine andere, ganz persönliche neue Welt eintauchen. So hört man auch immer wieder von Lesern, die enttäuscht aus einer Verfilmung kommen. Auch ein Rezitator bezieht Stellung. Er interpretiert, anders als ein Autor. Während Autoren jedes Mal ihre Einstellung zum Gelesenen neu überdenken müssen, ist der Text für den Lesenden wie für den Rezitator eine Partitur, bei der die Tagesform ebenso wie auch bestimmte eigene Vorstellungen einfließen und so ein einmaliges Ereignis entstehen lassen, vergänglich wie eine Aufführung. Und das macht solche Veranstaltungen so spannend.
Matthias Zimmermann sprach auswendig und frei den ausgewählten Text. Eigentlich sollte man selbst mitlesen wie in einer Partitur, um seine Interpretation ganz zu erfahren.
Der Autor, heute Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, erzählt in diesem dritten Teil seines autobiografischen Zyklus‘, wie er zur Schauspielausbildung an der Münchner Otto Falckenberg Schule angenommen wird und während der drei Jahre bei seinen Großeltern in Nymphenburg lebt. Zimmermann hat den Bereich Schauspielschule ganz ausgeklammert und sich allein auf das Leben mit den Großeltern konzentriert. Er hat die Personen, besonders die dominante Großmutter, ehemals selbst eine große Schauspieldiva und danach das Theatralische, Dramatische „wie aus der Zeit gefallen“exotisch kultivierend, in den Mittelpunkt gestellt und die Wirkungen auf Ehepartner, Tochter, Schwiegersohn und die drei Enkel schön herausgearbeitet.
Köstlich, wie der nicht nur zwischen den Zeilen verborgene Humor zum Tragen kommt und ständig ein vergnügtes Schmunzeln und Glucksen auslöst. Der Text führt in die vornehme Welt des längst historisch gewordenen gehobenen Bürgertums, angesiedelt in der noblen Wohngegend in Nymphenburg. Wir erleben den ritualisierten Tagesablauf ebenso wie die vom Großvater, einem emeritierten Philosophieprofessor, penibel geplante Familienwanderung ins nahe Gebirge.
Ob es nötig war, das eruptive Erbrechen des jüngsten Enkels bei der Heimfahrt in deftigen Details auszubreiten, sei dahingestellt. Immerhin fühlte der Ich-Erzähler sich am nächsten Tag wieder wohl, während der Rest der Familie an den Folgen einer Salmonellenvergiftung litt. Zum Ausklang dann noch der Blick auf die merklich gealterten Großeltern, die hoch in den Achtzigern noch ihr eigenständiges Leben führen.