Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Unternehmen in globaler Haftung
Die Schweiz könnte am Sonntag ein Lieferkettengesetz beschließen, über das Deutschland seit Monaten streitet
GENF/BERLIN - Angst, Wut, Verzweiflung. Starke Gefühle spiegeln sich in den großen braunen Augen des Mädchens. Die Kleine steht vor der riesigen Zinkmine Cerro de Pasco in Peru. Die Mine gehört zum Reich des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore. Das eindrückliche Bild des Kindes prangt auf Plakaten, die seit Wochen in der ganzen Schweiz hängen. Mit dem Konterfei werben Schweizer Unternehmenskritiker für ihren Plan: Die „Konzernverantwortungsinitiative will die Firmen im Land zwingen, beim Geschäftemachen im Ausland penibel auf Menschenrechte und Umweltschutz zu achten. Und bei Verstößen sollen sie in der Schweiz zur Kasse gebeten werden. Konzerne, die von Kinderarbeit profitieren und „Flüsse vergiften oder ganze Landstriche zerstören, sollen auch dafür haften“, betont der linksliberale Politiker Dick Marty, ein Co-Präsident des Initiativkomitees.
An diesem Sonntag werden sich die Schweizer in einer Volksabstimmung entscheiden, ob sie die verschärften Sorgfaltspflichten für ihre Firmen jenseits der Grenzen gutheißen. Sagen sie Ja, müsste sich die Wirtschaft mit einem der schärfsten Lieferkettengesetze der Welt arrangieren. Regierung und Parlament lehnen das Konzept ab: Die Konzernverantwortungsinitiative gefährde „Arbeitsplätze und Wohlstand in der Schweiz“. Exekutive und Legislative werben vielmehr für einen weicheren Gegenvorschlag. Dieser Gegenvorschlag soll in Kraft treten, wenn die Schweizer zu der Konzernverantwortungsinitiative Nein sagen. Immerhin
räumen Schweizer Demoskopen der Konzernverantwortungsinitiative gewisse Siegeschancen ein.
Im Kern verlangen die Firmenskeptiker, dass Schweizer Konzerne verpflichtet werden, auch im Ausland „präventiv dafür zu sorgen, dass keine Menschen zu Schaden kommen und dass die Umwelt nicht zerstört wird.“Die Konzerne müssten nicht nur ihre eigenen Tätigkeiten überprüfen, sondern auch die Aktivitäten ihrer Tochterfirmen, Zulieferer und Geschäftspartner durchleuchten. Falls die Konzerne jedoch „wegschauen“und Schaden entsteht, soll den ausländischen Opfern erstmals der Weg zu
Gerichten in der Schweiz offenstehen. Dort könnten die Firmen zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt werden. Bislang ist der Rechtsweg in der Schweiz in solchen Fällen nicht offen. So lautete der Plan, der bei Politikern von links bis in die bürgerliche Mitte und selbst bei Firmeneigentümern Anklang findet. „Die Initiative verlangt etwas, was weltweit ein Trend ist“, lobt etwa Peter Stämpfli, Chef eines Kommunikationsund Druckunternehmens aus Bern.
Bei Konzernen wie Glencore jedoch löst die Initiative Alarm aus. Das Unternehmen mit Sitz im steuerfreundlichen Kanton Zug mutierte geradezu zum Feindbild der Konzernverantwortungsinitiative. Die Firmenskeptiker prangern mehrere Glencore-Projekte an: „In der von einer Glencore-Tochterfirma betriebenen Zink-, Blei- und Silbermine Porco in Bolivien kommt es immer wieder zu tödlichen Unfällen, die Umwelt ist vergiftet und es schuften auch Minderjährige in den Stollen.“Setzen sich die Befürworter der Konzernverantwortungsinitiative durch, könnte auf den Rohstoffmulti eine Welle von Schadensersatzklagen zurollen. Für die Schweizer Wirtschaft könnte der kommende Sonntag also nicht entscheidender sein.
In Deutschland liegt eine Entscheidung derweil noch in weiter Ferne, wie es scheint: Ziemlich frustriert äußerte sich Minister Gerd Müller (CSU) an diesem Mittwoch im Entwicklungsausschuss des Bundestages. Er beklagte die Blockade des Lieferkettengesetzes durch das Bundeswirtschaftsministerium und dessen Chef Peter Altmaier (CDU). Dort sei keine Kompromissbereitschaft zu erkennen.
Entwicklungsminister Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) befürworten ein Gesetz, das deutsche Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in ihren ausländischen Zulieferfabriken haftbar macht. Seit Monaten verhandeln die Spitzen der Ministerien erfolglos. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will demnächst mit den beteiligten Ministern persönlich sprechen. Frank Schwabe, SPD-Sprecher für Menschenrechte, kündigte an, man werde das Thema „in den Koalitionsausschuss“zwischen Union und SPD bringen, wenn es nicht schnell zu einer Einigung komme. Der Ausschuss ist das höchste Gremium der Koalition zur Konfliktschlichtung.
Umstritten ist vor allem die von Müller und Heil geplante Haftung der Unternehmen. Hiesige Händler und Produzenten müssten sich dann eventuell vor deutschen Gerichten verantworten, wenn es zu Unfällen oder Schäden in deren Zulieferfabriken kommt. Geschädigte ausländische Beschäftigte oder Bauern könnten Klagen einreichen.
Der Handelsverband (HDE) befürchtet, dass „ein nationales Lieferkettengesetz die Händler überfordert“. Andere Wirtschaftsverbände kritisieren das Vorhaben ebenfalls. Das Wirtschaftsministerium versucht nun unter anderem die Haftung aus dem Gesetz zu streichen. Der grüne Entwicklungspolitiker Uwe Kekeritz sagte: „Ohne zivilrechtliche Haftung kann man sich das Gesetz schenken, denn dann wird es keine Wirkung entfalten.“Zahlreiche Unternehmen plädieren ebenfalls für das Gesetz, ebenso wie der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv).