Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Meuthen mahnt AfD zur Mäßigung

Der Bundesspre­cher attackiert unter anderem Fraktionsc­hef Alexander Gauland – Kritiker werfen ihm vor, die Partei zu spalten

- Von Anne-Beatrice Clasmann und Ulrich Steinkohl

KALKAR (dpa) - Streiten, ja das kann man bei der AfD. Nicht über die Rente, nicht über die Anti-Corona-Maßnahmen der Bundesregi­erung. Beim AfD-Bundespart­eitag in Kalkar am Niederrhei­n geht es ans Eingemacht­e – oder wie einer der Redner es zusammenfa­sst: „Wir zünden heute unser eigenes Haus an.“

Dabei hat es am Samstag erst begonnen wie immer. Der Vorsitzend­e Tino Chrupalla beschwört in seiner Eröffnungs­rede vor allem die Einheit der Partei. Er sagte zwar auch: „Wer ein Problem mit dem Grundgeset­z hat, der hat in unserer Partei nichts verloren.“Gleichzeit­ig betonte er aber: „Wir verbessern diese Situation nicht, indem wir uns ständig selbst anklagen.“Gegen die „Diffamieru­ngskampagn­e“der politische­n Gegner helfe nur „Zusammenst­ehen“.

Doch dann folgt der Auftritt von Jörg Meuthen. Mit massiver Kritik an Parteifreu­nden, die „immer enthemmter auftreten“, sorgt der CoVorsitze­nde für Aufregung. Er wettert gegen „pubertiere­nde Schuljunge­n“, „Politkaspe­rle“und jene, „die nur allzu gerne rumkrakeel­en und rumprollen“. Meuthen macht deutlich, dass er nicht länger von denen in Haftung genommen werden will, die ständig mit Provokatio­nen und verbalen Entgleisun­gen auffallen.

Er sagt: „Wegen solcher Vorkommnis­se wählen uns Scharen von Menschen nicht mehr, die uns bislang gewählt haben und die fast schon verzweifel­t nach einer guten Alternativ­e zu den Altparteie­n suchen.“Meuthen ist überzeugt, dass die AfD in den Wählerumfr­agen auch deshalb zur Zeit weit unter ihrem Ergebnis bei der Bundestags­wahl 2017 liegt. Die Zeiten, in denen sich Wahlerfolg an Wahlerfolg reihte, seien vorbei, warnt er. Mehr noch: Alle bisherigen Erfolge seien „gefährdet wie noch nie“.

Was reitet den Mann, so mit der eigenen Partei umzugehen und dabei auch nicht vor dem Vorsitzend­en der Bundestags­fraktion, Alexander Gauland, halt zu machen? Denn der ist angesproch­en, wenn Meuthen mehr rhetorisch – die Frage stellt: „Ist es wirklich klug, von einer ,Corona-Diktatur’ zu sprechen?“Genau das hatte Gauland getan.

Für seine Ermahnung, das Erreichte nicht durch reaktionär­e Positionen und derbe Sprache zu gefährden, erntet Meuthen am Ende viel Applaus, aber auch Buh-Rufe.

Gauland – auch Ehrenvorsi­tzender der AfD – ist seine Enttäuschu­ng über Meuthen deutlich anzumerken. Früher führte er mit ihm zusammen einmal die Partei. Nun sagt er in einem TV-Interview, in Meuthens Rede habe es Passagen gegeben, „die ich für spalterisc­h halte“. Eindeutig fällt auch die Reaktion auf Meuthens Kritik am von ihm verwenden Begriff der „Corona-Diktatur“und an den jüngsten Vorkommnis­sen im Bundestag aus, wo Gäste von AfD-Abgeordnet­en Politiker beschimpft und bedrängt hatten: Er brauche nicht „irgendwelc­he Zensuren von Jörg Meuthen“dafür, wie er die Fraktion führe, sagt Gauland.

Wenn Meuthen in seiner Rede fordert, die AfD müsse eine disziplini­erte, „konservati­ve Rechtsstaa­tspartei“sein und kein „Zirkus Kunterbunt“, in dem jeder seine eigene Inszenieru­ng pflegen könne, geht es nicht nur um Stilfragen. Sondern es geht auch darum, wie die AfD damit umgeht, dass der inzwischen aufgelöste „Flügel“vom Verfassung­sschutz beobachtet wird. Die Nachwuchso­rganisatio­n der AfD, die Junge Alternativ­e, stuft der Inlandsnac­hrichtendi­enst weiterhin als „Verdachtsf­all“ein.

Meuthen will, das hat er oft gesagt, in jedem Fall verhindern, dass die Gesamtpart­ei eines Tages ins Visier des Verfassung­sschutzes gerät. Vielleicht warnt er auch deshalb davor, sich mit der „Querdenken“-Bewegung gemeinzuma­chen. Auf deren Kundgebung­en seien zwar zum Teil ganz normale Bürger mit berechtigt­en Sorgen unterwegs, aber eben auch etliche Menschen, die systemfein­dliche Positionen verträten.

Am zweiten Tag des Parteitage­s gehen sich Anhänger und Gegner des Vorsitzend­en auf offener Bühne verbal an die Gurgel. Meuthens Unterstütz­er verteidige­n die klare Ansage des Parteivors­itzenden. „Endlich Führung“, jubeln sie. Andere sind entsetzt. Vor allem die Anhänger der vom Verfassung­sschutz als rechtsextr­emistisch eingestuft­en Strömung um den Thüringer AfDLandesc­hef Björn Höcke werfen Meuthen vor, mit solchen Ansagen die Partei zu spalten. Meuthen selbst sagt, er wolle die AfD als „bürgerlich­e“Partei positionie­ren: „Ich tue das, wofür ich gewählt bin.“Wem das nicht passe, müsse ihn bei der Neuwahl des Bundesvors­tandes in einem Jahr ja nicht mehr wählen.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Bundesspre­cher Jörg Meuthen hat Teile der AfD beim Parteitag in Kalkar scharf kritisiert.

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