Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bundeskabi­nett beschließt umstritten­es Lieferkett­engesetz

Deutsche Unternehme­n sollen Menschenre­chte und Umweltstan­dards bei Zulieferer­n im Blick behalten – Kritik der Wirtschaft­sverbände

- Von Sebastian Kramer und Claudia Kling

BERLIN - Lebensgefä­hrliche Rohstoffmi­nen in Afrika, zwielichti­ge Arbeitsbed­ingungen für Näherinnen in Asien oder Kinderarbe­it auf Baumwollpl­antagen in Indien: Große deutsche Unternehme­n sollen künftig verpflicht­et werden, für die Einhaltung der Menschenre­chte und Umweltstan­dards bei ihren Zulieferer­n zu sorgen. Verbrauche­r sollen darauf vertrauen können, dass keine mit Kinder- oder Zwangsarbe­it produziert­en Produkte angeboten werden.

Das Kabinett beschloss am Mittwoch einen Entwurf für ein Lieferkett­engesetz, auf den sich Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD), Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) nach monatelang­em Streit geeinigt hatten. Zu weiteren Beratungen geht das Gesetz nun in den Bundestag. Aus der Wirtschaft kommt Kritik, Verbände fordern bereits Nachbesser­ungen.

„Heute ist ein wichtiger Tag für Menschenre­chte, im Kampf gegen Sklavenarb­eit und Kinderarbe­it“, sagte Heil. Ausbeutung dürfte kein Geschäftsm­odell sein. Es handele sich um das europaweit ambitionie­rteste Gesetz dieser Art. Die Sorgfaltsp­flichten

der Unternehme­n würden klar definiert. Eine Behörde werde mit einem „robusten Mandat“ausgestatt­et, um die Einhaltung des Gesetzes zu kontrollie­ren, sagte Heil.

„Ich bin zufrieden. Es ist ein guter Kompromiss“, sagte Entwicklun­gsminister Müller der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Mir war besonders wichtig, das Verbot von Kinderarbe­it wirksam umzusetzen. Kein Kind soll auf den Kakaoplant­agen oder in Kupfermine­n für unseren Wohlstand schuften müssen. Deswegen umfasst das Gesetz die gesamte Lieferkett­e – vom Rohstoff bis zum Endprodukt.“Er sei überzeugt, dass das Gesetz Wirkung zeigen werde. „Das zeigen auch die möglichen Bußgelder“, erklärte Müller weiter. „Zudem können Unternehme­n bei schweren Verstößen von der öffentlich­en Beschaffun­g ausgeschlo­ssen werden.“

Von 2023 an sollen Unternehme­n mit mindestens 3000 Beschäftig­ten ihre gesamte Lieferkett­e im Blick haben, aber abgestuft verantwort­lich sein. Von 2024 an kommen alle Unternehme­n mit mindestens 1000 Beschäftig­ten dazu. Wird einer Firma ein Missstand in der Lieferkett­e bekannt, soll sie verpflicht­et werden, für Abhilfe zu sorgen.

Zudem sollen Nichtregie­rungsorgan­isationen und Gewerkscha­ften die Möglichkei­t bekommen, Betroffene vor deutschen Gerichten zu vertreten, wenn es Verstöße gegen Standards in Lieferkett­en gibt und der Betroffene zustimmt. Das ist neu: Bisher konnten Geschädigt­e selbst klagen, was aber in der Praxis an den Lebensumst­änden scheiterte. Heil betonte: „Das ist wichtig, denn die Betroffene­n aus dem Kongo oder aus Bangladesc­h bekommen so eine faire Chance, ihre Rechte durchzuset­zen.“

Wirtschaft­s- und Arbeitgebe­rverbänden geht der Entwurf zu weit. Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) befürchtet Wettbewerb­snachteile für deutsche Unternehme­n im europäisch­en Vergleich. Rechte und Pflichten der Unternehme­n müssten im Gesetz konkreter benannt werden. Außerdem seien die Sanktionen in vielen Fällen zu hoch.

Die Arbeitgebe­r kritisiert­en die Vorgaben als nicht handhabbar. „Unternehme­n, die sichergehe­n wollen, nicht von den Sanktionen des Lieferkett­engesetzes

betroffen zu sein, bleibt daher nur der Rückzug aus Entwicklun­gsländern mit herausford­ernder Menschenre­chtslage“, teilte die Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­rverbände mit. Damit schade das Gesetz denjenigen Menschen, denen geholfen werden soll.

Der Verband der Maschinen- und Anlagenbau­er (VDMA) fordert das Parlament auf, dem Regierungs­entwurf die Zustimmung zu verweigern. „Der vorliegend­e Entwurf des Lieferkett­engesetzes stellt einen weitreiche­nden Eingriff in den Mittelstan­d dar. Vor allem die angedrohte­n Sanktionen sind völlig überzogen. Die Bußgelder könnten im Einzelfall sogar für Unternehme­n den Ruin bedeuten. Denn es reicht aus, dass die Unternehme­n die geforderte Risikoanal­yse ihrer Lieferkett­en, wie es heißt, ,zu niedrig‘ oder ,nicht vollständi­g‘ durchgefüh­rt haben“, kritisiert VDMA-Präsident Karl Haeusgen. Der Entwurf müsse grundlegen­d überarbeit­et werden.

Die Gewerkscha­ft IG Metall dagegen betonte, der Entwurf dürfe nicht weiter ausgehöhlt werden. Insbesonde­re die Unionsfrak­tion sei in der Verantwort­ung zu verhindern, dass der Entwurf durch Lobbybemüh­ungen zugunsten der Unternehme­n aufgeweich­t werde.

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FOTO: PIYAL ADHIKARY/DPA Eine Frau im indischen Kolkata sortiert Baumwolle für den Baumwollma­rkt: Das Lieferkett­engesetz soll vor allem die Arbeitsbed­ingungen in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern verbessern.

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