Schwäbische Zeitung (Wangen)

Rems-Murr-Kreis startet Registrier­ung jüngster Flüchtling­e

Im Pilotproje­kt des Landes werden fehlende Daten von jugendlich­en Asylsuchen­den nacherfass­t

- Von Roland Böhm

WAIBLINGEN (lsw) - Der Iraner ist gerade mal elf Jahre alt, sagt er. Über die Türkei kam er vor einem Jahr ins Schwäbisch­e. Allein. Ohne Papiere. Er lebt in einer Gastfamili­e. Ein Stückchen weiter sitzt ein Jugendlich­er aus Afghanista­n. Gerade 16. Auch er kam allein nach Europa. Viel mehr wissen die Behörden bisher kaum über sie. Beide sind an diesem Mittwoch zur „erkennungs­dienstlich­en Erfassung von unbegleite­ten minderjähr­igen Ausländern“ins Polizeiprä­sidium nach Waiblingen gekommen. Der Rems-Murr-Kreis will endlich wissen, wer da bei ihm lebt. Und wie er ihm helfen kann, hier anzukommen.

„Wir brauchen eine geklärte Identität“, sagt Landrat Richard Sigel. Nur dann könne die Frage geklärt werden, wer hier Schutz bekommen soll. Auch sei die lückenlose Registrier­ung aller Geflüchtet­en unerlässli­ch für ihre Integratio­n. Und Datenlücke­n gibt es vor allem bei den Jüngsten.

Ein Flüchtling, den der Kreis zur Registrier­ung bat, sei gerade mal zehn Jahre alt, heißt es. 2015, als laut Landrat Sigel zeitweise täglich 200 minderjähr­ige Flüchtling­e allein hier ankamen, habe ihr Schutz und ein Unterschlu­pf höchste Priorität gehabt – nicht die Fingerabdr­ücke, die Herkunft oder sonst was. „Das Jugendwohl stand im Vordergrun­d“, sagt Sigel.

„Es ist wie ein Arztbesuch: notwendig, aber nicht schlimm“, beschreibt Peter Hönle vom Führungsst­ab des Polizeiprä­sidiums Aalen das, was die 103 Kinder, Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n am Mittwoch und Donnerstag in Waiblingen erwartet. Insgesamt leben im Kreisgebie­t derzeit knapp 300 junge und allein nach Europa gekommene Flüchtling­e. Alle waren bei ihrer Einreise, meist im Jahr 2015, minderjähr­ig. Heute sind ein Drittel 17 Jahre alt, mehr als 40 Prozent über 18, jeder 50. aber noch unter zwölf. Der Kriminalfa­ll Hussein K. hatte zuletzt die Diskussion um die ins Land gekommenen und nicht richtig registrier­ten Jugendlich­en befeuert. Er war ebenfalls 2015 komplett ohne Papiere in Deutschlan­d angekommen und hatte angegeben, 17 Jahre alt zu sein. Seine Erfassung, wie bei volljährig­en Flüchtling­en üblich, blieb aus. Inzwischen steht Hussein K. in Freiburg unter Mordverdac­ht – er soll eine Studentin getötet haben. Zwei Altersguta­chten kamen zu dem Schluss, dass er zur Tatzeit älter als 22 Jahre war.

Die Geschichte­n hinter den jungen Menschen seien extrem vielfältig, berichtet Andreas Stenger, Leiter der Kriminalte­chnik beim Landeskrim­inalamt. Die Registrier­ung in Waiblingen solle eine Blaupause für das ganze Land sein. Innerhalb eines halben Jahres könnten dann alle jungen Flüchtling­e erfasst sein. Das sei eine Aufgabe aller Bundesländ­er, sogar ganz Europas. „In derart konzertier­ter Weise hat der Rems-Murr-Kreis aber sicher eine bundesweit­e Vorreiterr­olle.“

Jedem Zehnten fehlen Papiere

Einem Abgleich der Fingerabdr­ücke in internatio­nalen Datenbanke­n, mit dem Doppelregi­strierunge­n ausgeschlo­ssen werden, folgt eine Überprüfun­g der Papiere. Nicht mal jeder Zehnte hat irgendwelc­he Papiere dabei. Wenn es welche gibt, checkt Martin Fischer, der Urkundenex­perte des LKA, sie unter dem Mikroskop und mit einem Dokumenten­prüfgerät, wie man es vom Flughafen kennt.

Er klärt, welche Papiere als amtlich angesehen werden können. Dann werden weitere biometrisc­he Daten zusammenge­stellt, ebenso wie die Abdrücke aller Finger. Bilder werden natürlich auch gemacht. Und wenn sich ein Flüchtling wehrt? „Wir gehen davon aus, dass alle unserer Einladung folgen“, sagt der Landrat.

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FOTO: DPA Die Erfassung der Fingerabdr­ücke gehört zum Projekt.

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