Die gelöcherte Jeans – früher schäbig, heute chic
Wer sich im Sommer nicht zu Rock oder kurzer Hose hingezogen fühlt, dürfte sich schon längst mit ihnen angefreundet haben: Jeans mit Löchern. Je mehr Löcher, desto luftiger, logisch. Genauso dürfte der Trend jenen am Herzen liegen, die sowieso nicht allzu sorgfältig mit ihrer Kleidung umgehen oder sie gar gerne so lange tragen, bis sie am Körper zerfällt. Galten abgewetzte Jeans mit Löchern vor einiger Zeit vielen noch als Fauxpas, sind diese inzwischen als modisches Statement in der Massentauglichkeit angekommen.
Und warum auch nicht? Eine verschlissene Jeans bietet Abwechslung im Kleiderschrank sowie die Möglichkeit, ein eigentlich langweiliges Outfit aufzupeppen. Von nur leicht aufgerauhter Oberfläche bis hin zu Exemplaren, die mehr aus Loch als aus Hose bestehen, ist für jeden etwas dabei. Bei löchrigem Käse beschwert sich doch auch niemand über das fehlende Material, oder?
Ich jedenfalls trage genauso gern Jeans mit wie ohne Loch. Je nachdem, auf was ich gerade Lust habe. Und sollte der Trend der 80jährigen Dame von nebenan ebenfalls gefallen, sei es auch ihr vergönnt, Jeans mit Loch zu tragen. Denn: Auch löchrige Hosen sind nur Klamotten, und bekanntlich darf – zumindest in der Freizeit – jeder und jede tragen, was er oder sie will. Ganz egal ob mit mehr oder weniger Stoff.
Von Lea Hüttenhofer
Ach ja, die schrulligen Modemacher! Jeden Tag treiben sie eine andere Sau durchs Dorf – und lassen sich dieses zweifelhafte Vergnügen auch noch opulent honorieren. Derzeit also Jeans mit Löchern. Morgen vielleicht Schuhe ohne Sohlen. Oder Unterwäsche ohne Beinausgang. Der Fantasie sind leider keine Grenzen gesetzt.
Stellen wir uns doch nur folgendes Szenario vor: Der Autohändler unseres Vertrauens liefert den lang ersehnten Neuwagen mit – sagen wir einmal – elf putzigen Löchern in Haube und Türen und behauptet kess, das sei der letzte Schrei auf den Straßen von Paris. Selbstverständlich würden wir das Vehikel nicht in Empfang nehmen, geschweige denn teuer bezahlen. Wo kämen wir denn da hin? Nur beim Beinkleid, da sollen wir ein Auge zudrücken. Aber nicht mit uns! Textilien, die in ihrer Funktionstüchtigkeit (Schutz vor Nässe und Zugluft!) eingeschränkt sind, gehören in die Wertstofftonne und nicht an den Körper.
Zugegeben: Auch wir haben einst anders gedacht, in den 1980er-Jahren, als Löcher in den Jeans Symbol einer rebellischen Haltung gegenüber dem schaudernden Spießertum waren. Gute Zeiten, schöne Zeiten. Klamotten als Ausdruck eines ausgeprägten politischen Bewusstseins. Davon kann heute natürlich keine Rede mehr sein, wenn die reichen Edelschneider ihre Finger im Spiel haben. Schade eigentlich.
Von Dirk Uhlenbruch Beim Käse klagt doch auch niemand über das fehlende Material. Und morgen kaufen wir dann Schuhe ohne Sohlen.