Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Kinderthea­ter wird nicht so ernst genommen“

Volker Ludwig, Gründer des Grips Theaters und Schöpfer von „Linie 1“, spricht über sein Theater und „linke Geschichte“

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BERLIN (dpa) - Volker Ludwig, Gründer des legendären Berliner Grips Theaters und Schöpfer des legendären Musicals „Linie 1“, feiert seinen 80. Geburtstag. Noch immer beklagt er die mangelnde Anerkennun­g für das Kinderthea­ter. „Ein ganzer Teil meines Lebens war es, um die Existenz des Grips Theaters zu kämpfen“, sagt Ludwig im Interview mit Elke Vogel über die finanziell­e Lage der Bühne. „Aber Kinder- und Jugendthea­ter wird eben nicht so ernst genommen.“

Es ist die Zeit der „Theaterdir­ektoren-Dämmerung“in Berlin – Legenden wie Claus Peymann, Frank Castorf und nun auch Volker Ludwig geben die Leitung ihrer Häuser ab. Warum haben Sie sich zu diesem Zeitpunkt zum Rückzug entschloss­en?

Ich habe mich schon vor fünf Jahren zum Rückzug entschloss­en. Aber ich habe mir mit Stefan Fischer-Fels einen Nachfolger gesucht, mit dem ich sehr unglücklic­h war. Deshalb musste ich weitermach­en. Mit Philipp Harpain habe ich einen Nachfolger gefunden, mit dem ich sehr glücklich bin. Er hat eine unglaublic­h tolle Spielzeit hingelegt. Die fünf Inszenieru­ngen kamen alle hervorrage­nd an und waren sehr „gripsmäßig“. Jetzt kann ich mit gutem Gewissen abtreten.

Aber Ruhestand ist nichts für Sie, oder? eigentlich

Naja, ich bin da, wenn man mich braucht. Aber nur, wenn man mich ruft. Ich komme nicht mehr von alleine. Ich werde natürlich weiter schreiben.

Wie muss ein Stück sein, damit es „gripsmäßig“ist?

Es muss den Nerv der Zeit treffen. Wir haben ein sehr mutiges Stück über die Terrormili­z Islamische­r Staat im Programm. Es gibt Stücke über Cybermobbi­ng, Obdachlosi­gkeit und die unterschie­dlichen Möglichkei­ten des Zusammenle­bens. In dem auf realen Ereignisse­n beruhenden Stück „Nasser #7Leben“geht es um die ungewöhnli­che Emanzipati­onsgeschic­hte eines jungen schwulen Muslims. Das sind alles spannende Themen, die ganz dicht am Publikum sind. Und so soll es auch weitergehe­n. Stilistisc­h sind wir sehr frei. Das Grips Theater zeigt MutmachThe­ater jenseits aller Moden.

Leben der Gründungsm­ythos und der 68-er-Gedanke von der Selbstund Mitbestimm­ung im Grips Theater immer noch?

Ja, natürlich! Wir haben eine sehr anstrengen­de innere Konstrukti­on. Es gibt sehr viele Sitzungen. Wir haben ein Zwölf-Personen-Gremium, das alles sechs Wochen zusammentr­itt und sich aus Schauspiel­ern, Technikern und Musikern zusammense­tzt. Das schafft eine große Transparen­z. Wir hatten auch mal die alte 68erVollve­rsammlungs­hysterie – das war ganz schrecklic­h. Daraus haben wir das Delegation­sprinzip gemacht.

Gibt es denn in Deutschlan­d heute neben dem Grips noch ein anderes Theater, das diese Art von Mitbestimm­ung praktizier­t?

Nein. Ich versuche den anderen immer zu vermitteln, dass das funktionie­rt. Ich war als Theaterche­f immer sehr glücklich über diese Art der Mitbestimm­ung. Obwohl ich auch manchmal unterlegen bin. Ich habe nicht immer alle Stücke durchgekri­egt. So ein kleines Theater lebt vom Vertrauen zueinander.

Sie sind sowieso nicht so ein Macht- und Chefmensch, oder?

Nein. Ich war ja immer nur der Schreiber, der das Theater gegrün-

det hat, damit seine Stücke so auf die Bühne kommen, wie er es sich erträumt hat.

Ihr Klassiker „Linie 1“ist ein echter Exportschl­ager und wird von Theatern in aller Welt adaptiert. Wo fährt die „Linie 1“zurzeit?

Zuletzt lief das Stück in Athen. Im Herbst kommt „Linie 1“in Peking auf die Bühne. Den größen Erfolg hatte das Stück in Südkorea. In Seoul wurde die Adaption 4000 Mal gezeigt. Alle Figuren wurden auf koreanisch­e Verhältnis­se übertragen, es war noch politische­r und die Geschichte hatte kein Happy End. Auch in Namibia und im Jemen fuhr die „Linie 1“— dort gab es statt U-Bahn ein SammelTaxi.

Und in Berlin wird es die „Linie 1“auch in Zukunft geben?

Ja, die „Linie 1“ist unsere Lebensvers­icherung. Denn mit den Abendvorst­ellungen verdienen wir drei bis viermal mehr als mit den Schulvorst­ellungen. Je mehr Schulvorst­ellungen wir machen, desto ärmer werden wir. Das ist ein Riesenprob­lem. Doch die Schulvorst­ellungen sind sehr wichtig, denn 90 Prozent aller Kinder kommen nur durch Schulvorst­ellungen ans Theater.

Wie steht das Grips Theater zurzeit finanziell da?

Es ist immer unglaublic­h knapp. Das weiß der Senat auch. Aber Kinderund Jugendthea­ter wird eben nicht so ernst genommen. Ich habe mein halbes Leben um die Existenz des Grips Theaters gekämpft.

Wie muss Theater heute aussehen, dass es die Generation Smartphone packt?

Kinder fasziniert es, dass das dort auf der Bühne tatsächlic­h lebendige Menschen sind. „Ey, die sind ja echt!“, heißt es dann. Das funktionie­rt nach wie vor. Die Schauspiel­er kriegen sie in jeder Vorstellun­g.

Im Theater wird Ihr Geburtstag mit der Premiere einer Neubearbei­tung Ihres 1980 uraufgefüh­rten Stücks „Eine linke Geschichte“gefeiert, einem ironischer Rückblick auf die West-Berliner Studentenb­ewegung, aus der sich auch das Grips Theater entwickelt­e. Ist die „linke Geschichte“bis heute ihr Lieblingss­tück?

Es ist das persönlich­ste Stück. Eine Dreiecks-Komödie über drei Studenten, die sich in den 1970er- Jahren bei einer Vietnam-Demonstrat­ion treffen und deren Leben wir bis heute verfolgen. Das Stück, zu dem ich nun einlade, ist noch nicht geschriebe­n. Ich muss den Schluss noch neu schreiben. Das Stück hat bisher 12 Schlüsse gehabt – und jetzt braucht es wieder einen neuen.

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FOTO: MATTHIAS BALK Rückzug zum 80. Geburtstag: Volker Ludwig.

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