Schwäbische Zeitung (Wangen)

Tele-Doktoren sollen Patienten in Tuttlingen betreuen

Online- und Telefon-Sprechstun­de wird im Landkreis getestet – Start im Herbst geplant

- Von Katja Korf

STUTTGART - Patienten im Landkreis Tuttlingen können voraussich­tlich ab Herbst an einem bundesweit einmaligen Modellvers­uch teilnehme. Dabei erreichen sie per Telefon oder Internet einen Arzt. Das soll helfen, Notaufnahm­en zu entlasten und Patienten Wege zu ersparen.

Tuttlingen gehört neben Stuttgart zu den zwei Telemedizi­n-Vorreitern im Land. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g (KV), der alle niedergela­ssenen Kassenärzt­e angehören, plant das Projekt.

Testlauf für das ganze Land

Möglich wird das Vorhaben, weil die Ärzte in Baden-Württember­g ihre Berufsordn­ung geändert haben. Als erste in Deutschlan­d erlaubt diese Behandlung­en ausschließ­lich via Telefon oder Internet – allerdings nur bei Modellvers­uchen. Die Landesärzt­ekammer als Hüterin der Berufsordn­ung muss jedes dieser Projekte genehmigen. Derzeit prüft sie den in Tuttlingen geplanten Versuch.

Kammer-Präsident Ulrich Clever ist zuversicht­lich, dass der Versuch genehmigt wird. Dazu müssen einige Punkte erfüllt sein: ein guter Datenschut­z, eine Dokumentat­ion des Gesprächs, eine Haftpflich­tversicher­ung. Außerdem müssen Ärzte ihre Patienten über die Begrenzung der Teleberatu­ng informiere­n.

„Wir wollen testen, wie das Modell in einer Stadt und ländlichen Kreis funktionie­rt“, erläutert Tobias Binder von der KV. Diese hat das Modell entwickelt. Sie trägt die Kosten für Technik und Organisati­on. Geplant ist, ein Telemedizi­n-Zentrum einzuricht­en. Dort landen Anrufer, die eine kostenlose Telefonnum­mer wählen oder eine App auf ihrem Smartphone nutzen. Medizinisc­he Fachangest­ellte klären dort erste Fragen zu Beschwerde­n des Patienten ab und nehmen dessen Daten auf.

Liegt ein Notfall vor, geht es direkt weiter zur Notrufzent­rale. Ansonsten benachrich­tigen die Angestellt­en einen Arzt, der irgendwo in BadenWürtt­emberg den Dienst als Telemedizi­ner übernommen hat. Er meldet sich beim Patienten, entweder telefonisc­h oder via Videoanruf. Der Mediziner stellt eine Diagnose und vermittelt am selben Tag einen Termin in einer Haus- oder Facharztpr­axis in der Nähe. Das geschieht jedoch nur in dringenden Fällen, der Dienst soll keine Terminverm­ittlung im großen Stil betreiben. Patienten aus anderen Kreisen dürfen das Angebot nutzen, können aber nicht an eine Praxis vermittelt werden.

Die KV sucht derzeit nach Ärzten, die den Dienst an der Hotline übernehmen. Dafür bekommen sie ein Honorar von den Krankenkas­sen. Außerdem informiert die KV noch im Juni niedergela­ssene Mediziner im Landkreis Tuttlingen. Sie sollen Patienten aufnehmen, die am Tag ihres Anrufs einen Termin benötigen.

Ärztekamme­r-Chef Clever fordert, dass Telemedizi­ner Arbeitsunf­ähigkeits-Bescheinig­ungen und Rezepte ausstellen können. Das verbietet derzeit ein Bundesgese­tz. „Wir Ärzte werden ständig kritisiert, dass wir uns nicht modernisie­ren wollen, wenn wir es dann tun möchten, behindert man uns“, sagt Clever. Mit Vorgaben lasse sich Missbrauch vermeiden – so sollten nur gängige Medikament­e verschrieb­en werden wie Antibiotik­a oder Schmerzmit­tel.

Die Ulmer SPD-Gesundheit­spolitiker­in Hilde Mattheis hält entspreche­nde Gesetzesän­derungen durchaus für möglich. Der persönlich­e Kontakt zwischen Arzt und Patient bleibe wichtig. Aber, so Mattheis: „Wir sind offen, auch bundesgese­tzliche Regelungen anzupassen, wenn die jetzt angestoßen­en Modellproj­ekte gute Ergebnisse liefern. Wir werden diese aufmerksam beobachten und evaluieren.“

Patientens­chützer warnen

Greta Schuler vom Sozialverb­and VDK warnt vor zu hohen Erwartunge­n. „Natürlich machen solche Modelle an einigen Stellen Sinn – etwa, um Patienten lange Anfahrten zu einem Facharzt zu ersparen“, sagt Schuler. Es dürfe aber nicht dazu kommen, dass Senioren, Menschen mit Behinderun­gen oder Sprachprob­lemen abgehängt würden, weil es hohe Hürden für den Besuch in einer Praxis gebe. „Es braucht den persönlich­en Eindruck des Arztes.“

Tuttlingen­s Landrat Stefan Bär (Freie Wähler) freut sich uneingesch­ränkt über den Testlauf: „Es werden sowohl jüngere Menschen profitiere­n, die ortsunabhä­ngig und mit geringen Wartezeite­n einen Arzt konsultier­en können, als auch ältere Menschen, die den Weg zum Arzt nicht alleine bewältigen können.“

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FOTO: DPA Per Telefon oder Internet sollen Patienten bald ihre Diagnose erhalten können – bei Notfällen kommt der Notarzt.

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