Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Investitio­nen sind nicht alles“

Oxfam-Geschäftsf­ührerin Marion Lieser kritisiert die neue Afrika-Strategie der G20

-

BERLIN - Neue Weichenste­llungen in der Entwicklun­gspolitik fordert Marion Lieser, Geschäftsf­ührerin von Oxfam. Die Hilfsorgan­isation Oxfam kämpft gegen Hunger und Armut in der Welt. Sabine Lennartz befragte Marion Lieser zur Afrika-Strategie, die Deutschlan­d im Rahmen der G-20 -Präsidents­chaft verfolgt.

Frau Lieser, was bedeutet der Afrika-Schwerpunk­t der G20 für den Kontinent? Eine neue Chance oder eher ein neuer, vergeblich­er Anlauf ?

Es kann eine riesengroß­e Chance sein, wenn die Veranstalt­ung noch einmal überdacht wird. Das Konzept ist am Mantra „Investitio­nen, Investitio­nen, Investitio­nen“ausgericht­et. Es geht davon aus, dass Investitio­nen und Wirtschaft­swachstum von alleine Heilsbring­er sind und arme Menschen sich damit aus Armut befreien können. Doch Investitio­nen sind nicht alles, ohne politische Steuerung funktionie­rt das nicht.

Heißt das, Investitio­nen nur dann, wenn der Staat nicht korrupt ist?

Man muss nicht nur auf die Bedürfniss­e der Investoren achten, sondern auf die Bedürfniss­e der Menschen vor Ort, der Zivilgesel­lschaft. Das geschieht derzeit nicht, es wird nur „top down“, also von oben nach unten geschaut. Der Plan ist am grünen Tisch entwickelt worden, maßgeblich im Finanzmini­sterium. Wenn aber der Schwerpunk­t auf den am wenigsten entwickelt­en Ländern liegen soll, müssen ganz andere Länder einbezogen werden. Außerdem muss überprüft werden, welche Geschäftsm­odelle bisher erfolgreic­h waren.

Welche Geschäftsm­odelle haben denn Früchte getragen?

Das kann man nicht pauschal sagen, aber wir müssen auf Nachhaltig­keit achten, auf die Abschaffun­g von Armut und die Reduzierun­g von Ungleichhe­it. Wenn acht Männer so viel besitzen wie die arme Hälfte der Weltbevölk­erung zusammen, ist es Zeit, sich ein visionärer­es Wirtschaft­ssystem zu überlegen.

Kann ein Marshallpl­an für Afrika nicht trotzdem gelingen, er hat doch in Europa funktionie­rt?

Ich finde den Terminus schon falsch gewählt. Der Marshallpl­an hat zu einer Zeit funktionie­rt, in der man etwas aufbaute, was zerstört war. Das ist in Afrika nicht der Fall. Man sollte nicht einfach etwas vom Norden in den Süden übertragen, sondern erst zuhören, was erwünscht ist, was gebraucht wird. Mit der reinen Privatsekt­orausricht­ung wird man nicht den Erfolg haben, den man sich verspricht.

Spüren Sie angesichts der Flüchtling­skrise eine neue Bereitscha­ft, Afrika zu helfen, auch um Migration zu stoppen?

Das ist ein großes Problem, viele Dinge, die jetzt in der Entwicklun­gszusammen­arbeit geschehen, laufen unter der Überschrif­t: Fluchtursa­chen bekämpfen. Darum kann und darf es aber nicht gehen. Man muss den Menschen Möglichkei­ten geben, ihr Land zu verlassen und woanders ihr Glück zu versuchen, ihre Familien durchzubri­ngen. Die Freizügigk­eit sollte man niemand nehmen. Gleichzeit­ig muss aber vor Ort die Möglichkei­t bestehen, einen gewissen Wohlstand aufzubauen. Das muss Hand in Hand gehen. Im Übrigen tragen Menschen, die ihre Länder verlassen und Geld dorthin zurückschi­cken, sehr viel zur Entwicklun­g in ihrer Heimat bei.

Deutschlan­d macht derzeit einen umfassende­n Ansatz, Wirtschaft, Umwelt, Entwicklun­gshilfe, berufliche Ausbildung. Ist das nicht gut?

Es ist ein breiter Ansatz, aber ein Ansatz von oben herunter. Wir müssen unten anfangen und die Menschen einbeziehe­n. Aber natürlich stimmt es auch, dass der Privatsekt­or dazu beiträgt, dass Steuern eingenomme­n werden, die das eigene System füllen können. Doch so ganz selbstlos ist der Ansatz nicht. Natürlich gibt es zurzeit Investoren aus Deutschlan­d, die jetzt auf andere Märkte drängen, weil es bei uns keine Zinsen mehr gibt.

Können denn Innovation­spartnersc­haften nicht trotzdem helfen?

Das Problem ist, dass mit bilaterale­n Abkommen an regionalen Vereinbaru­ngen vorbei agiert wird.

Werden Sie eigentlich nach Ihren Erfahrunge­n gefragt?

Im Bezug auf den Marshallpl­an hat es eine Abfrage gegeben, aber es floss kein Kommentar von uns ein. Das sah ein bisschen nach Feigenblat­tFunktion aus.

 ?? FOTO: OXFAM ?? Marion Lieser.
FOTO: OXFAM Marion Lieser.

Newspapers in German

Newspapers from Germany