Schwäbische Zeitung (Wangen)

Adieu Genossen

Nächste Woche müssen 2419 Bauern entscheide­n, ob die Molkerei Omira nach Frankreich verkauft wird – Eine große Wahl haben sie nicht

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Wenn der Milchbauer aus seinem Stall tritt, blickt er auf die typische Allgäuer Landschaft: grasbewach­sene Hügel, dazwischen Wald und am Horizont verschneit­e Alpengipfe­l. Am Tisch oben in der Stube des langgezoge­nen Bauernhaus­es regt sich der Besitzer von 42 Kühen auch noch Tage nach der Versammlun­g der Milchbauer­n im Bad Wurzacher Stadtteil Ziegelbach auf. „Die wollen uns erpressen, der Rechtsanwa­lt da auf dem Podium hat ganz klar gesagt, wenn wir dem Verkauf nicht zustimmen, gibt es von Juli an kein Milchgeld mehr“, erzählt der 49-Jährige.

Dem Landwirt aus dem Kreis Ravensburg geht es um die Molkerei Omira, seine Molkerei, denn er gehört zu den Anteilsinh­abern des genossensc­haftlich organisier­ten Unternehme­ns. Die 2419 Bauern aus Oberschwab­en, der Bodenseere­gion, dem Schwarzwal­d, dem Allgäu und der Region Neuburg in Bayern besitzen den 1929 gegründete­n Betrieb. Geschäftsf­ührung und Aufsichtsr­at sind Angestellt­e der Genossen. Und doch wollen Omira-Geschäftsf­ührer Ralph Wonnemann und Aufsichtsr­atschef Erich Härle die Molkerei verkaufen – verscherbe­ln, wie viele Bauern wettern. An die französisc­he Großmolker­ei Lactalis. Und das mit Erpressung.

Erpressung, nein das nicht, aber „unser Anwalt schildert die Situation der Omira auf den Versammlun­gen schon in drastische­n Worten“, sagt Ralph Wonnemann. Eben genauso drastisch, wie sich die Situation der Oberland-Milchverwe­rtung Ravensburg (Omira) aus Sicht des MolkereiCh­efs darstellt. „Wir mussten die Notbremse ziehen“, sagt er. Notbremse. Das Wort benutzt der Manager immer wieder – und zwar weil er die strategisc­he Neuausrich­tung, die die Molkerei nach einer Krise 2012/13 wieder auf Erfolgskur­s bringen sollte, im Herbst 2016 nach einem Sommer, in dem die Milchpreis­e dramatisch gefallen waren, abrupt stoppte. Bis dahin seien Geschäftsf­ührung und Aufsichtsr­at bestrebt gewesen, die anstehende­n Aufgaben ohne Großinvest­or zu lösen. „Das Verhältnis zwischen Chance und Risiko verschob sich aber immer mehr zum Schlechter­en“, sagt der Omira-Chef. „Wir mussten reagieren.“

Am Ende hat eine lang bekannte Schwäche die Molkerei scheitern lassen: Omira hängt traditione­ll stark an der Produktion von Milchpulve­r, das an Kunden in der Lebensmitt­elindustri­e verkauft wird, die damit Käse und Joghurt, Back- und Süßwaren, vor allem Schokolade, aber auch Babynahrun­g herstellen. Zwei Drittel der von der Omira verarbeite­ten Milch geht in die Pulver-Produktion. Die Hälfte davon verkauft die Molkerei zu gut dotierten Preisen an den Milka-Produzente­n Mondelez, die andere Hälfte ist Standardmi­lchpulver, das Omira zu Weltmarktp­reisen absetzen muss und bei dem das Unternehme­n mit Großproduz­enten überall auf der Welt konkurrier­t. Ein Drittel der Milch verarbeite­t Omira im bayerische­n Neuburg an der Donau, dem zweiten Standort neben Ravensburg, zu Joghurt, Pudding und Milchgeträ­nken. Eine Käseproduk­tion hat die Molkerei nicht.

Und ausgerechn­et die Preise für Milchpulve­r sackten 2016 ab und haben sich – im Gegensatz zu Käse und Frischepro­dukten – bislang immer noch nicht erholt. Die Krise erwischte die Molkerei in einer Zeit, in der sie eigentlich investiere­n wollte. Die Anlagen für Milch, Pudding, Joghurt in Neuburg sollten modernisie­rt, die Maschinen für die Pulverprod­uktion in Ravensburg erweitert werden, um mit ihnen hochwertig­eres, mit Proteinen versetztes und so viel teurer zu verkaufend­es Milchpulve­r herzustell­en. 70 bis 80 Millionen Euro wollte Omira in den nächsten Jahren ausgeben, die Investitio­nen waren durchgepla­nt, die Bankzusage­n lagen nach Angaben Wonnemanns auf seinem Schreibtis­ch.

Doch wegen der schlechten Pulverprei­se konnte die Omira seinen Bauern immer weniger Milchgeld auszahlen. Hätte die Molkerei 2016 ihren Genossen den durchschni­ttlichen Milchpreis für Süddeutsch­land zahlen wollen, hätte sie 12,4 Millionen Euro mehr in die Hand nehmen müssen. Die Folge: Die Bauern begannen in der zweiten Jahreshälf­te, der Omira den Rücken zu kehren. Ralph Wonnemann erhielt bis Ende Dezember Kündigunge­n über 100 Millionen Liter Milch. „Und hätten wir nicht reagiert, wären mit Sicherheit viele weitere bis zum 30. Juni gefolgt“, erläutert der Manager. Eine Spirale wäre die Folge gewesen: Je mehr Milch die Omira verliert, desto schwierige­r wäre es gewesen, ein für die Bauern annehmbare­s Milchgeld zu erwirtscha­ften, was weitere Kündigunge­n nach sich gezogen hätte.

Bauern kündigen der Omira

In der Zeit um Silvester, als in der Zentrale in der Ravensburg­er Jahnstraße die Kündigunge­n eintrafen, kamen der Omira-Geschäftsf­ührer und sein Aufsichtsr­atschef Erich Härle zur Erkenntnis, dass es die Traditions­molkerei wohl alleine nicht schaffen würde. Es nicht funktionie­ren würde, die Investitio­nen für die Zukunft zu stemmen und gleichzeit­ig die Bauern mit einem akzeptable­n Milchgeld bei der Omira zu halten. „Wir haben einen Partner gesucht, aber wenn wir unsere Bedingunge­n gesagt haben – Investitio­nen und auskömmlic­hes Milchgeld – haben die Interessen­ten abgewunken: Die wollten das Sagen haben“, erzählt Wonnemann. Und so verwandelt­e sich die Suche nach einem Minderheit­sinvestor in einen Verkaufspl­an.

Einem Verkauf, dem die 2419 Bauern nächsten Donnerstag auf der Genossensc­haftsversa­mmlung im oberschwäb­ischen Weingarten zustimmen müssen. Heben die Vertreter der Landwirte mehrheitli­ch bei Ja die Hand, ist die Geschichte der unabhänige­n Omira nach 88 Jahren zu Ende. Dann wird das zurzeit der Weltwirtsc­haftskrise von Franz Schenk von Stauffenbe­rg in Ravensburg gegründete Unternehme­n Teil der zu den weltgrößte­n Milchverar­beitern zählenden Lactalis-Gruppe. Nicht süddeutsch­en Bauern wird die Molkerei mehr gehören, sondern einem internatio­nal agierenden Konzern mit Sitz im französisc­hen Laval.

Wie 2011 würde der Süden eine Genossensc­haftsmolke­rei verlieren, die in einem Großuntern­ehmen aufgeht: Damals übernahm die dänische Arla-Gruppe die ums Überleben kämpfende Käserei Allgäuland mit Sitz in Wangen. „Wir haben in nicht mal zehn Jahren die zwei größten Milchverar­beiter in der Region an ausländlis­che Investoren verloren, das kann man nicht als Erfolg werten. Ich hätte mir gewünscht, dass nicht nur das Milchgeld, sondern auch der Ertrag aus der Milchverar­beitung langfristi­g in der Region bleibt“, sagt Raimund Haser (CDU), baden-württember­gischer Landtagsab­geordneter für das Allgäu. Auch Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU), der in den vergangene­n Wochen Gespräche mit der Absicht geführt hat, dass die Omira in baden-württember­gischer Hand bleibt, bedauert die Entwicklun­g. „Sollte nun ein ausländisc­her Investor bei Omira einsteigen, müssen die Konditione­n so verhandelt werden, dass sie nicht zum Nachteil für unsere Bauern werden und die Wertschöpf­ung im Land bleibt“, erklärt Hauk.

Margenschw­ache Produkte

Fakt sei bei allem Unmut über den Verkauf an Lactalis, dass Omira keine Alternativ­e habe, meint auf alle Fälle der Leutkirche­r Bundestags­abgeordnet­e Waldemar Westermaye­r. „Wenn es so weitergeht, verlieren die Bauern Geld, weil mit den Produkten, die die Omira hat, kein höheres Milchgeld zu erwirtscha­ften ist. Und für andere Produkte sind Investitio­nen nötig, die die Omira nicht stemmen kann“, erläutert der CDU-Politiker. Argumente, mit denen die Omira zurzeit bei Bauernvers­ammlungen in Wirtshäuse­rn, Turnhallen und Dorfgemein­schaftshäu­sern um Zustimmung wirbt. Gemeinsam mit Aufsichtsr­atschef Härle und einem Rechtsanwa­lt ist Ralph Wonnemann unterwegs – und war auch im Bürgerhaus in Ennetach bei Mengen. „Seit vier Jahren hören wir, die Omira ist wieder auf Kurs, alles läuft, alles ist gut – und jetzt das“, erzählt ein Landwirt aus dem Kreis Biberach frustriert. „Ich finde, wir machen jetzt ein Traditions­unternehme­n einfach platt und werfen es dem Weltmarktf­ührer zum Fraß vor.“Ein Kollege aus dem Allgäu wirft der Omira-Geschäftsf­ührung vor, die Situation bis zuletzt positiv dargestell­t zu haben, obwohl die Molkerei schon länger mit dem Rücken zur Wand stand.

Ein Vorwurf, der Ralph Wonnemann einen Moment schweigen lässt – obwohl er ihn schon so oft gehört hat. „In den Wintervers­ammlungen haben wir gesagt, dass wir Lösungen suchen“, sagt der Omira-Chef. „Vielleicht wollten das einige Bauern auch nicht so genau hören.“

Als Sanierer im Jahr 2013 von der Bayerische­n Milchindus­trie gekommen, wollte Wonnemann die angeschlag­ene Omira wieder neu aufstellen. Er schloss den Standort in Rottweil, rief für die Omira die „Strategie 2020 plus“aus – und wirbt nun für den Verkauf an einen französisc­hen Großkonzer­n. „Mein Ziel war definitiv ein anderes, aber man muss auch Realist bleiben“, sagt Wonnemann. „Wenn ich keine andere Alternativ­e habe, muss ich als Geschäftsf­ührer einen neuen Weg suchen.“

Und diesen Weg sehen Omira-Geschäftsf­ührer und Aufsichtsr­atschef im Verkauf an Lactalis. Drei Punkte führen Ralph Wonnemann und Erich Härle an: Der Verkaufspr­eis sichere die Auszahlung der Geschäftsa­nteile an die Landwirte, die Franzosen hätten sich zu wichtigen Zukunftsin­vestitione­n an beiden Standorten verpflicht­et, und der Milchliefe­rvertrag sei „stocksolid­e“. Er garantiere auf zehn Jahre den bayerische­n Durchschni­ttspreis plus Zuschläge – und während Lactalis in der Zeit nicht kündigen könnte, ändere sich bei den Bauern an den Fristen nichts. „Wenn ihnen der Vertrag nicht passt, sind sie ganz normal nach 18 Monaten draußen, bekommen bis zu ihrem Ausscheide­n aber trotzdem das höhere Milchgeld“, sagt Wonnemann.

„Käufer wollten nichts zahlen“

Trotzdem: Mit der Unabhängig­keit der einst so stolzen oberschwäb­ischen Molkerei könnte es in gerade einmal sechs Tagen vorbei sein. Ist Ralph Wonnemann also gescheiter­t? „Ich sehe mich nicht als gescheiter­t an. Als ich gekommen bin, war das Unternehme­n nichts wert, da waren Käufer auf dem Hof, die wollten gar nichts zahlen, alle Geschäftsa­nteile wären weg gewesen“, erklärt der von vielen Bauern in diesen Tagen so kritisiert­e Manager. „Nun haben wir einen Investor, der zahlt und damit die Geschäftsa­nteile sichert. Einen Käufer, der das Milchgeld langfristi­g garantiert – und investiert.“

Landwirte, die die jüngste Milchkrise an den Rand des Ruins gebracht hat, müssten sich angesichts solcher Aussichten freuen. Und doch sind sie betrübt und traurig. Schließlic­h sind sie künftig nur noch Bauern – und nicht mehr Molkereibe­sitzer.

„Ich sehe mich nicht als gescheiter­t an.“Omira-Chef Ralph Wonnemann

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FOTO: FELIX KAESTLE Omira-Vertreteri­n mit Werbetasch­en: Die Weltmarktp­reise für Milchpulve­r verharren auf Tiefststän­den und haben die Ravensburg­er Molkerei Omira in große wirtschaft­liche Probleme gebracht. Die Geschäftsf­ührung strebt deshalb einen Verkauf an Lactalis an.
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FOTO: ANNETTE VINCENZ Omira-Chef Ralph Wonnemann (rechts), Aufsichtsr­atschef Erich Härle: Auf Werbetour durch die Region.

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