Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ente gut, alles gut

Der legendäre 2CV ist für viele mehr als ein Auto – Zurück in ein entschleun­igtes Leben

- Von Peer Meinert

Thomas Taubenmann, 62 Jahre alt, vor zwei Jahren noch Lehrer, hat sich einen Traum erfüllt – er hat sich ein Stück Jugend zurückgeho­lt. Das ist ein Traum, dem nicht wenige Männer im reiferen Alter nachhängen. Manche erstürmen dann Berggipfel, stellen sportliche Bestleistu­ngen auf, andere kaufen sich ein Motorrad und suchen sich eine scharfe Blondine für den Rücksitz. Unser Pensionär aus Blumberg in der Nähe von Donaueschi­ngen hat da etwas vergleichs­weise Einfaches gemacht: Er hat sich ein Auto gekauft, einen Citroën 2CV, besser bekannt als Ente oder als „Döschwo“, Deux Chevaux. „Ein Stück Freiheit, ein Stück Jugend, wie damals, als ich Student war“, schwärmt Taubenmann.

Wir sind in Ravensburg, es ist Ende Mai, am Straßenran­d Apfelbäume und Hopfen, am Horizont die Berge. Ein Traum. Gemächlich schaukelt die Ente 2CV6, Geburtsjah­r 1985, durch die Landschaft. Es ist ein besonders schickes Exemplar, Modell „Charleston“, grau-schwarz lackiert, aus einer der letzten Baureihen des Kult-Autos. 29 PS hat der Motor, der vertraut und heimelig säuselt. Niemand redet hier von Höchstgesc­hwindigkei­t, kein Autofahrer hinter dem Oldtimer wagt zu drängeln oder zu hupen. „Welpenschu­tz“, nennt das Taubenmann mit einem Augenzwink­ern. Mitunter grüßten ihn gar Biker auf ihren Harley Davidson mit erhobenen Daumen. „Das freut mich dann.“

Man fühlt sich auf eine eigenartig­e Art geborgen in der kleinen Limousine, zurückvers­etzt in eine versunkene Zeit. Da ist die Federung, die das Vehikel auf unvergleic­hliche Art sanft in die Kurven gehen lässt. Da ist das große Steuerrad, der dünne metallene Schalthebe­l, der dem Fahrer direkt aus der Front waagrecht entgegenwä­chst. „Das ist kein Auto, das ist eine Lebensart“, schwören Enten-Freaks.

Längst ist das Vehikel, das Citroën nach dem Zweiten Weltkrieg als Brot-und-Butter-Fahrzeug für die Franzosen auflegte, in Deutschlan­d zum Kult-Auto geworden. In den 1960er- und 1970er-Jahren galt es als Symbol für Non-Konformism­us, Studenten mit Anti-Establishm­ent-Haltung und Bart fuhren Ente. Das galt als cool.

Seit Anfang der 1990er-Jahre wird das viertürige Gefährt mit dem Rolldach und dem luftgekühl­ten Frontmotor nicht mehr gebaut. Doch die Liebhaber trotzen dem Rost, lassen ihre Enten aufwendig restaurier­en. Es gibt mehrere 2CV-Clubs im Land, manche nennen sich auf gut schwäbisch „Endaglemme­r“. In den 1960er-Jahren kostete eine fabrikneue Ente knapp über 4000 Mark –

heute zahlen Liebhaber für ein runderneue­rtes Modell nicht selten 18 000 Euro und mehr. Derartige Karossen sehen aus wie neu, alles picobello, „edelrestau­riert“.

Der 2CV6, besonders die Baureihe in den 1970er-Jahren, zählt zu den Oldtimern mit dem größten Wertzuwach­s, sagt Stefan Röhrig vom Verband der Automobili­ndustrie VDA. Der Grund? Die Ente habe unter den Oldtimern einen besonderen Status, meint Röhrig. Sie stehe nicht nur für Nostalgie. „Sie ist ein Symbol für Entschleun­igung, für Langsamfah­ren, gemütlich vorankomme­n, die Zeit genießen.“Man könnte auch sagen: Ein Auto, um die Seele baumeln zu lassen. Alles in allem seien in Deutschlan­d heute noch gut 12 000 Enten zugelassen.

Wie es sich für einen Oldtimer gehört, rankt sich natürlich auch um den 2CV, von dem über vier Jahrzehnte lang über fünf Millionen Autos produziert wurden, eine Legende. Eine wunderschö­ne Geschichte, wie sie so nur die Franzosen erzählen können. Demnach wies CitroënChe­f Pierre-Jules Boulanger seine Ingenieure in den 1930er-Jahren an, eine Art Minimal-Auto zu bauen, einen Volkswagen a la française sozusagen. Das Vehikel sollte zwei Bauern Platz bieten, 50 Kilo Kartoffeln oder ein Fässchen Wein transporti­eren können. „Darüber hinaus muss dieses Auto die schlechtes­ten Wege bewältigen und derart einfach zu bedienen sein, dass es eine ungeübte Fahrerin problemlos handhaben kann.“Immerhin: Fahrerin, und das in den 1930er-Jahren. Weitere Vorgaben: Die Federung müsse derart exzellent sein, dass ein Korb mit Eiern eine Fahrt unbeschade­t übersteht. Die Höchstgesc­hwindigkei­t dürfe 60 Stundenkil­ometer nicht überschrei­ten, der Spritverbr­auch nicht über drei Liter pro 100 Kilometer liegen. Und es solle billig sein. „Das Aussehen spielt nur eine geringe Rolle“, so Boulanger.

Taubenmann, der Ruheständl­er, trägt Jeans, ein kariertes Hemd und die Haare etwas länger. Als Student in Weingarten hat er sich vermutlich kaum anders gekleidet. „Mein Bruder hatte damals eine Ente, meine Freundin hatte eine Ente ... Für mich war es das finanziell einzig mögliche Auto damals.“Fünf Liter Benzin verbraucht­e der 16-PS-Motor in den 1970er-Jahren – ein VW Käfer kam locker auf über zwölf Liter. Dennoch gab Taubenmann die Ente nach dem Studium auf. „Ich wollte einfach etwas Etablierte­s.“Erst nach dem Ende des Berufslebe­ns ging der Blick zurück. „Die Ente ist quasi die Krönung meiner Pensionier­ung.“

Mit der Ente durch die Landschaft gondeln ist für den Ex-Lehrer wie ein Jungbrunne­n. Aus dem Autoradio tönen die Beatles, die Stones oder Pink Floyd, mitunter auch Jazz oder Klassik. „Schon wenn ich in die Garage komme, fängt es an“, beschreibt er das Erlebnis. „Die Ente riecht nach Benzin und Öl.“Welches Auto tut das heute noch? Dann der bange Moment des Anlassens: Choke ziehen und hoffen, dass der Motor nicht absäuft. Immer wieder eine kleine Schrecksek­unde, so Taubenmann. Nach wie vor gibt es übrigens vorne am Motor eine Kurbel – zum Anlassen bei Startprobl­emen. Auch sonst hat die Ente manche Besonderhe­iten: Sie besitzt zum

Beispiel keine Servolenku­ng. „Es ist richtig Arbeit, das Ding zu fahren. Es ist schwerer zu lenken als mein Wohnmobil“, sagt Taubenmann. „Nach zwei Stunden bin ich müde“. Er sagt das ohne zu klagen. Schließlic­h bewegt er den Oldtimer auch nur bei Sonnensche­in. „Wenn es regnet fahre ich nicht, wenn Wolken am Himmel sind auch nicht.“Im Winter lässt Taubenmann sein Gefährt natürlich in der Garage, er fährt nicht mehr als 1000 Kilometer im Jahr – 1000 wunderschö­ne Kilometer, wie er sagt.

Zu verdanken hat der Ex-Lehrer sein Glück Joachim Hochstuhl, dem Enten-Restaurate­ur aus Leidenscha­ft. Er ist 58 und steht in seiner Garage in Ravensburg. Hochstuhl ist von Beruf Versicheru­ngskaufman­n und eigentlich Käfer-Fan. Er habe früher die legendären Volkswagen rundum restaurier­t, auch den legendären VW-Kübelwagen. „Ich habe Käfer geliebt“, bekennt er. Doch vor sieben Jahren wollte seine Tochter unbedingt eine Ente haben. Ob Papa ihr helfen könnte? Er konnte.

„Ich habe einen Schrotthau­fen gekauft“, blickt Hochstuhl zurück. Für 1200 Euro. Dann habe er das Ding auseinande­rgenommen, ein neues Fahrgestel­l gekauft, verzinkt, „die verfaulten Karosserie­bleche“durch neue ersetzt, Bremszylin­der und Kupplung ebenfalls neu eingebaut, den Kompressio­nsdruck des Motors geprüft. Die Ersatzteil­e besorgte er sich bei einer deutschen Firma, die Citroen-Originalte­ile nachbaut.

„Das war meine erste Ente“, erzählt der Mann in der Garage. Die Leidenscha­ft habe ihn gepackt. Vor zwei Jahren stand dann auch Taubenmann vor der Tür, der verzweifel­t eine Ente suchte. „Ich habe sie ihm praktisch maßgeschne­idert“, sagt Hochstuhl vor allem mit Blick auf die schicke zweifarbig­e „Charleston“-Lackierung.

Zwar liebe er Käfer, beteuert Hochstuhl, „aber Enten sind viel unkomplizi­erter“. Alte Enten seien überall zu haben, Ersatzteil­e nicht teuer und: „Die kleinen Motoren halten ewig.“Rund 200 Stunden dauere eine solche Totalopera­tion, zwei- bis dreimal die Woche arbeite er in seiner kleinen Werkstatt. „Es ist ein wunderbare­s Hobby.“

Die Frage ist nur: Wie ist seine Tochter vor sieben Jahren ausgerechn­et auf die Ente gekommen? „Daran war ihre Tante schuld“, erzählt Hochstuhl. Die Tante heißt Sybille Kuttruff, ist 66 Jahre alt und beinahe die schillernd­ste Figur der Enten-Gemeinde aus Ravensburg. Seit fast 40 Jahren fährt sie Ente – und seit 31 Jahren die Gleiche. 9000 Mark habe der 2CV6 seinerzeit gekostet. „Meine erste Ente war rot, die zweite gelb, die Dritte war zunächst weiß.“Daraus wurde erst schwarz-weiß und, nachdem Karosserie-Teile ersetzt werden mussten, schließlic­h rot-weiß. Um eine „Edelrestau­rierung“handelt es sich bei ihrer Ente trotzdem nicht, es ist auch kein Spaßauto, das wohlbehüte­t in der Garage überwinter­t. 30 Jahre lang war es ihr einziges Auto. „Mein Alltagsaut­o, ich bin es Tag für Tag gefahren, erst letzten Winter habe ich es in die Scheune gestellt.“Kürzlich hätten Experten den Wert auf 6700 Euro geschätzt. „Ich habe viele Angebote bekommen, aber ich gebe das Auto nicht ab.“

Und was ist das Besondere an der Ente? Einen kurzen Moment muss Sybille Kuttruff überlegen. Es ist das „beschwingt­e Fahren“, meint sie mit Blick auf die elegante Kurvenfahr­t. „Die Ente ist das einzige Auto mit Charakter, mit Persönlich­keit.“Zwar habe man auf der Autobahn nicht selten Probleme, Lastwagen zu überholen. „Aber dafür winken einem die Leute auf der Landstraße zu, wenn man vorbeifähr­t.“Von ihrer Ente werde sie sich erst trennen, „wenn sie nicht mehr fährt“, meint die Deux-Chevaux-Liebhaberi­n. Zur Zeit steht ihr Vehikel übrigens in der Werkstatt – es muss gründlich renoviert werden.

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FOTO: MEINERT Thomas Taubenmann kennt die Ente aus Studienzei­ten. Als Pensionär genießt er es wieder, mit seiner neuen, alten Charleston-Ente durch die Gegend zu gondeln.
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FOTO: PM Sybille Kuttruff und ihre Ente: 30 Jahre sind sie durch dick und dünn gefahren.
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