Der Quinoa-Rausch
Das Inkakorn gilt weltweit als gesundes „Superfood“– Der Boom der Quinoa-Samen hat den bolivianischen Bauern allerdings kein Glück gebracht
Der junge Mann hat längst aufgegeben, er will fortziehen und erhofft sich nun die richtigen Ratschläge vom US-Präsidenten. Im Bus nach Challapata im bolivianischen Hochland ist er vertieft in das Buch „Donald Trump: 101 Wege zum Erfolg. Wie man eine Idee in eine Geldmaschine verwandelt“. Bis vor Kurzem dachten sie auch in Challapata, sie hätten hier mit einem kleinen, eiweißreichen Korn ihre Geldmaschine gefunden. Weltweit explodierte gerade der Quinoapreis.
Es ist Markttag. Eine Schotterfläche, zwei Fußballplätze groß, im Hintergrund die schneebedeckten Bergriesen der Anden. Bis letztes Jahr war hier der ganze Platz voll mit bunten Säcken. Darin schwarze, gelbe und rote Quinoa – die Pflanze aus der Gattung der Gänsefüße, auch bekannt als „Inkakorn“, gilt als „Superfood“. Es ist sehr nährstoffreich, früher wurde es fast nur von der Urbevölkerung in den Anden gegessen. Hier auf 3800 Metern Höhe ist das traditionelle Anbaugebiet der Pflanzen.
Dann machte Quinoa weltweit Karriere. 2013 erklärten die Vereinten Nationen zum internationalen Jahr der Quinoa. Nicht zuletzt der Siegeszug der peruanischen Küche machte es zum weltweit begehrten Nahrungsmittel.
Heute wird auch in der gehobenen Gastronomie in Deutschland schon mal Lachstatar auf feiner schwarzer Quinoa serviert. Viele Biomärkte führen neben Hirse, Linsen, Chiasamen auch diverse Quinoa-Sorten. Die Reis ähnliche, glutenfreie Pflanze hat in Europa eine steile Karriere hingelegt.
Boliviens Präsident Evo Morales isst im Regierungsflieger am liebsten Quinoa-Riegel – die Pflanze kurbelte das Wachstum in seinem Land an, heute gibt es auch Quinoa-Shampoo und Quinoa-Bier. Lag die Produktion vor zehn Jahren weltweit bei rund 60 000 Tonnen, sind es heute über 250 000 Tonnen. Doch in Challapata ist vom Boom nicht viel geblieben.
Gegen die neue globale Konkurrenz, die auch auf Pestizide setzt, kommen sie nicht an – die erhöhte Produktion hat zu einem drastischen Preisverfall geführt. Statt zeitweise 6000 US-Dollar je Tonne Quinoa aus Bolivien gibt es heute beim Export nur noch rund 2500 Dollar.
„Als der Preis immer weiter stieg, haben wir zu Hause Pommes statt Quinoa gegessen, um noch mehr zu verkaufen“, berichtet Quinoa-Bauer Germán Velarde (29) auf dem Marktplatz. Velarde hat vier Kinder zu ernähren, er verdient jetzt nur noch 700 Bolivianos (87 Euro) die Woche. „Andere stecken sich die Dollars ein, aber das ist nicht die echte, gute Quinoa.“Es ist eine dieser Globalisierungsgeschichten: Plötzlich macht ein Produkt Karriere – dann wird das Saatgut verändert, um den pflanzlichen Rohstoff leichter und billiger in anderen Regionen, etwa an der Küste, anzubauen. In Peru, das Bolivien bereits als Marktführer abgelöst hat, wird Quinoa inzwischen verstärkt im industriellen Stil angebaut. Masse statt Klasse lautet das Gebot.
Hier auf dem Altiplano bauen die bolivianischen Bauern seit Jahrhunderten die Quinoa Real an, die königliche Quinoa, frei von Pestiziden, von Hand gesät und geerntet – ein mühsames Geschäft. Challapata ist das Zentrum, doch statt 1500 Bolivianos (187 Euros) für den Sack mit 100 Libras (46 Kilo) wie noch vor drei Jahren gibt es auf dem Markt derzeit nur noch 320 Bolivianos (40 Euro) pro Sack.
Zum Vergleich: Im deutschen Edeka-Supermarkt kosten 250 Gramm rote Quinoa aus Südamerika 3,29 Euro. Der Quinoa-Bauer in Challapata bekommt für 250 Gramm rote Quinoa nur 1,74 Boliviano, das sind gerade einmal 21 Euro-Cent.
Auch in Ländern wie den USA, Indien und China wird Quinoa nun angebaut. Wegen des Preisverfalls – und wegen einer Dürrephase – brach die Produktion in Bolivien im letzten Jahr nach sechs Jahren Wachstum von 89 000 auf 69 000 Tonnen ein. Bereits rund 200 der 2000 QuinoaBauern haben nach Angaben des Präsidenten der Quinoa-Produzenten, Benjamin Martínez, aufgegeben.
Am Marktplatz steht auch Julian Canavari mit seiner Freundin Matilde Durán. 80 Kilometer sind sie nach Challapata gefahren, um drei Säcke Quinoa zu verkaufen. Er lädt zu einer Fahrt durch die Quinoa-Felder ein, gerade wird die letzte Ernte eingefahren. Canavari klopft auf das Lenkrad seines Suzuki-Geländewagens. „Das war eine goldene Zeit. 2013, 2014. Von dem Geld habe ich mir das erste Auto in meinem Leben kaufen können.“Heute kann er kaum noch das Benzin bezahlen.
„In Peru bauen sie modifizierte Quinoa an, um die Produktion zu erhöhen, das zerstört die Preise“, erzählt Canavari, immer sehr traurig dreinblickend. „In Europa weiß das ja keiner, dass Quinoa nicht gleich Quinoa ist. Uns würde es viel besser gehen, wenn wir direkt an Händler von dort verkaufen könnten.“Es geht an Feldern vorbei. „Vor ein paar Jahren gab es nur Quinoa hier, jetzt steigen einige wieder auf Getreide und Klee für die Viehzucht um.“
Stopp bei einem Bauern, der mit seiner Frau mit Sicheln rote Quinoa erntet. Ihr Thema: der Preisverfall. Canavari überreicht ein paar Kokablätter – das Kauen dämpft Ermüdungserscheinungen bei der harten Arbeit. Für eine Libra (460 Gramm) Kokablätter gibt es 40 Bolivianos, für die Libra Quinoa lediglich 3,20 Bolivianos. Das zeigt das ganze Drama. Das Bewirtschaften der 30 Hektar lohnt sich für Canavari kaum noch. „Wenn es so weitergeht, müssen wir wegziehen in die Stadt, nach Oruro oder La Paz.“Als er wieder am Marktplatz von Challapata eintrifft, dröhnt aus den Boxen einer Kneipe „Wind of Change“von den Scorpions. Der Wind der Veränderung brachte hier erst den Rausch, nun den Kater. Er ist hier, im tiefsten Bolivien, so groß, dass plötzlich Donald Trumps Geschäftsmethoden zum Hoffnungsprinzip erkoren werden.