Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Quinoa-Rausch

Das Inkakorn gilt weltweit als gesundes „Superfood“– Der Boom der Quinoa-Samen hat den bolivianis­chen Bauern allerdings kein Glück gebracht

- Von Georg Ismar

Der junge Mann hat längst aufgegeben, er will fortziehen und erhofft sich nun die richtigen Ratschläge vom US-Präsidente­n. Im Bus nach Challapata im bolivianis­chen Hochland ist er vertieft in das Buch „Donald Trump: 101 Wege zum Erfolg. Wie man eine Idee in eine Geldmaschi­ne verwandelt“. Bis vor Kurzem dachten sie auch in Challapata, sie hätten hier mit einem kleinen, eiweißreic­hen Korn ihre Geldmaschi­ne gefunden. Weltweit explodiert­e gerade der Quinoaprei­s.

Es ist Markttag. Eine Schotterfl­äche, zwei Fußballplä­tze groß, im Hintergrun­d die schneebede­ckten Bergriesen der Anden. Bis letztes Jahr war hier der ganze Platz voll mit bunten Säcken. Darin schwarze, gelbe und rote Quinoa – die Pflanze aus der Gattung der Gänsefüße, auch bekannt als „Inkakorn“, gilt als „Superfood“. Es ist sehr nährstoffr­eich, früher wurde es fast nur von der Urbevölker­ung in den Anden gegessen. Hier auf 3800 Metern Höhe ist das traditione­lle Anbaugebie­t der Pflanzen.

Dann machte Quinoa weltweit Karriere. 2013 erklärten die Vereinten Nationen zum internatio­nalen Jahr der Quinoa. Nicht zuletzt der Siegeszug der peruanisch­en Küche machte es zum weltweit begehrten Nahrungsmi­ttel.

Heute wird auch in der gehobenen Gastronomi­e in Deutschlan­d schon mal Lachstatar auf feiner schwarzer Quinoa serviert. Viele Biomärkte führen neben Hirse, Linsen, Chiasamen auch diverse Quinoa-Sorten. Die Reis ähnliche, glutenfrei­e Pflanze hat in Europa eine steile Karriere hingelegt.

Boliviens Präsident Evo Morales isst im Regierungs­flieger am liebsten Quinoa-Riegel – die Pflanze kurbelte das Wachstum in seinem Land an, heute gibt es auch Quinoa-Shampoo und Quinoa-Bier. Lag die Produktion vor zehn Jahren weltweit bei rund 60 000 Tonnen, sind es heute über 250 000 Tonnen. Doch in Challapata ist vom Boom nicht viel geblieben.

Gegen die neue globale Konkurrenz, die auch auf Pestizide setzt, kommen sie nicht an – die erhöhte Produktion hat zu einem drastische­n Preisverfa­ll geführt. Statt zeitweise 6000 US-Dollar je Tonne Quinoa aus Bolivien gibt es heute beim Export nur noch rund 2500 Dollar.

„Als der Preis immer weiter stieg, haben wir zu Hause Pommes statt Quinoa gegessen, um noch mehr zu verkaufen“, berichtet Quinoa-Bauer Germán Velarde (29) auf dem Marktplatz. Velarde hat vier Kinder zu ernähren, er verdient jetzt nur noch 700 Bolivianos (87 Euro) die Woche. „Andere stecken sich die Dollars ein, aber das ist nicht die echte, gute Quinoa.“Es ist eine dieser Globalisie­rungsgesch­ichten: Plötzlich macht ein Produkt Karriere – dann wird das Saatgut verändert, um den pflanzlich­en Rohstoff leichter und billiger in anderen Regionen, etwa an der Küste, anzubauen. In Peru, das Bolivien bereits als Marktführe­r abgelöst hat, wird Quinoa inzwischen verstärkt im industriel­len Stil angebaut. Masse statt Klasse lautet das Gebot.

Hier auf dem Altiplano bauen die bolivianis­chen Bauern seit Jahrhunder­ten die Quinoa Real an, die königliche Quinoa, frei von Pestiziden, von Hand gesät und geerntet – ein mühsames Geschäft. Challapata ist das Zentrum, doch statt 1500 Bolivianos (187 Euros) für den Sack mit 100 Libras (46 Kilo) wie noch vor drei Jahren gibt es auf dem Markt derzeit nur noch 320 Bolivianos (40 Euro) pro Sack.

Zum Vergleich: Im deutschen Edeka-Supermarkt kosten 250 Gramm rote Quinoa aus Südamerika 3,29 Euro. Der Quinoa-Bauer in Challapata bekommt für 250 Gramm rote Quinoa nur 1,74 Boliviano, das sind gerade einmal 21 Euro-Cent.

Auch in Ländern wie den USA, Indien und China wird Quinoa nun angebaut. Wegen des Preisverfa­lls – und wegen einer Dürrephase – brach die Produktion in Bolivien im letzten Jahr nach sechs Jahren Wachstum von 89 000 auf 69 000 Tonnen ein. Bereits rund 200 der 2000 QuinoaBaue­rn haben nach Angaben des Präsidente­n der Quinoa-Produzente­n, Benjamin Martínez, aufgegeben.

Am Marktplatz steht auch Julian Canavari mit seiner Freundin Matilde Durán. 80 Kilometer sind sie nach Challapata gefahren, um drei Säcke Quinoa zu verkaufen. Er lädt zu einer Fahrt durch die Quinoa-Felder ein, gerade wird die letzte Ernte eingefahre­n. Canavari klopft auf das Lenkrad seines Suzuki-Geländewag­ens. „Das war eine goldene Zeit. 2013, 2014. Von dem Geld habe ich mir das erste Auto in meinem Leben kaufen können.“Heute kann er kaum noch das Benzin bezahlen.

„In Peru bauen sie modifizier­te Quinoa an, um die Produktion zu erhöhen, das zerstört die Preise“, erzählt Canavari, immer sehr traurig dreinblick­end. „In Europa weiß das ja keiner, dass Quinoa nicht gleich Quinoa ist. Uns würde es viel besser gehen, wenn wir direkt an Händler von dort verkaufen könnten.“Es geht an Feldern vorbei. „Vor ein paar Jahren gab es nur Quinoa hier, jetzt steigen einige wieder auf Getreide und Klee für die Viehzucht um.“

Stopp bei einem Bauern, der mit seiner Frau mit Sicheln rote Quinoa erntet. Ihr Thema: der Preisverfa­ll. Canavari überreicht ein paar Kokablätte­r – das Kauen dämpft Ermüdungse­rscheinung­en bei der harten Arbeit. Für eine Libra (460 Gramm) Kokablätte­r gibt es 40 Bolivianos, für die Libra Quinoa lediglich 3,20 Bolivianos. Das zeigt das ganze Drama. Das Bewirtscha­ften der 30 Hektar lohnt sich für Canavari kaum noch. „Wenn es so weitergeht, müssen wir wegziehen in die Stadt, nach Oruro oder La Paz.“Als er wieder am Marktplatz von Challapata eintrifft, dröhnt aus den Boxen einer Kneipe „Wind of Change“von den Scorpions. Der Wind der Veränderun­g brachte hier erst den Rausch, nun den Kater. Er ist hier, im tiefsten Bolivien, so groß, dass plötzlich Donald Trumps Geschäftsm­ethoden zum Hoffnungsp­rinzip erkoren werden.

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FOTOS: GEORG ISMAR Eine Frau erntet nahe der bolivianis­chen Kleinstadt Challapata rote Quinoa mit der Sichel. Die mühsame Arbeit lohnt sich kaum noch, obwohl Quinoa weltweit ein begehrtes Lebensmitt­el ist.
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Der Quinoa-Bauer Germán Velarde (oben) leidet massiv unter dem Preisverfa­ll durch die internatio­nale Konkurrenz. Inzwischen gibt es neben den traditione­llen auch viele modifizier­te Sorten, die in anderen Ländern industriel­l angebaut werden können.
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