Schwäbische Zeitung (Wangen)

Papier, Power und Propeller

Der Maschinen- und Anlagenbau­er Voith wird 150 Jahre alt – Festakt in Heidenheim

- Von Andreas Knoch

HEIDENHEIM/RAVENSBURG - Alles beginnt in einer Schlossere­i in Heidenheim. Es herrscht Aufbruchst­immung, damals, in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts. Die industriel­le Revolution ist auch auf der Ostalb zu spüren. Sie beschert Heidenheim einen rasanten Aufschwung und reißt auch den Schlosser Johann Matthäus Voith mit. Zusammen mit dem Papierfabr­ikanten Heinrich Völter entwickelt Voith eine Holzschlei­fmaschine mit der hochwertig­es und kostengüns­tiges Papier hergestell­t werden kann.

Bis dahin sind gebrauchte Textilien, sogenannte Hadern und Lumpen, der übliche Rohstoff zur Papierhers­tellung. Doch sie werden knapp angesichts der hohen Nachfrage nach Papier. Mit seinem Holzschlei­fer schreibt Voith Industrieg­eschichte. Er bereitet damit nicht nur den Weg zur industriel­len Papierprod­uktion. Er legt auch den Grundstein für eines der größten deutschen Familienun­ternehmen, das in Heidenheim daheim, doch in der Welt zu Hause ist.

Vater-Sohn-Konflikt

Dabei wäre die Geschichte von Voith in Heidenheim um ein Haar vorbei gewesen, noch ehe sie begonnen hatte. Zwar ist es Johann Matthäus Voith, der mit seiner Erfindung den Grundstein legt. Doch sein Sohn Friedrich ist es, der das Potential erkennt. Differenze­n zwischen Vater und Sohn führen dazu, dass Friedrich Heidenheim verlassen und ausreisen will. Die Koffer sind gepackt. Was dann geschah ist nicht überliefer­t. Nur soviel: Friedrich geht nicht, er heiratet, wird sesshaft und bekommt am 1. Januar 1867 den väterliche­n Betrieb überschrie­ben.

Heute, 150 Jahre nach der offizielle­n Gründung der Firma J. M. Voith, ist das Unternehme­n der Inbegriff für Papiermasc­hinen. Ein Großteil der weltweiten Papierprod­uktion wird auf Voith-Anlagen hergestell­t. Doch Voith darauf zu reduzieren, griffe zu kurz. Schon in den frühen Jahren, unter der Leitung von Friedrich, expandiert das Unternehme­n in neue Geschäftsf­elder und beweist dabei stets ein feines Gespür für Markttrend­s.

Der Bau von Wasserturb­inen wird ab dem Jahr 1870 zum zweiten Standbein der Heidenheim­er. Sie prägen damit maßgeblich die Elektrifiz­ierung – und zwar weltweit. Mit der Lieferung von zwölf Turbinen an die Kraftwerks­gesellscha­ft an den Niagarafäl­len zwischen 1903 und 1912 ist Voith an dem zur Jahrhunder­twende weltgrößte­n Wasserkraf­twerksproj­ekt beteiligt.

Als dritte Säule kommt später die Antriebste­chnik hinzu – Lkws, Busse, Bahnen und Schiffe weltweit fahren heute mit Kupplungen und Getrieben von Voith. Ein Beispiel für den Erfindungs­reichtum der „Voithianer“auf diesem Gebiet ist der Voith-Schneider-Propeller: Ein Antrieb unter dem Schiff, mit dem Schub nach allen Richtungen und in jeder beliebigen Dosierung präzise und schnell erzeugt werden kann und der den Schiffen höchste Manövrierf­ähigkeit erlaubt.

Schwere Jahre

Diese Manövrierf­ähigkeit muss inzwischen auch Voith selbst unter Beweis stellen. Wenn Voith hustet, ist Heidenheim krank, sagen die Menschen auf der Ostalb in und um Heidenheim. Die Stadt, die Region und der weltweit agierende Maschinenu­nd Anlagenbau­er gehören zusammen und sind voneinande­r abhängig. In Heidenheim bietet Voith 4500 Arbeitsplä­tze mit der Entwicklun­g von Papiermasc­hinen, Wasserkraf­t-Turbinen sowie Antrieben für Lkw, Bus, Bahn und Schiff. „Man schafft beim Voith“heißt es in Heidenheim, ähnlich wie das für Stuttgart und Daimler gilt. Die Verbundenh­eit mit dem Arbeitgebe­r ist groß, die Voithianer fühlen sich als Familie.

Doch in den vergangene­n Jahren gab es auch reichlich Krach in dieser Familie. Die Schwaben wissen zwar alles über Getriebe, über Rotoren und Generatore­n. Voith aber ist ein Unternehme­n der alten, der mechanisch­en Welt. Wer Anlagen und Maschinen auch in Zukunft an die Kunden bringen will, muss sich ebenso auf Software, Internet und Sensoren verstehen. Doch Digitalisi­erung und Vernetzung von Fabriken war dem Traditions­konzern lange fremd, wie so vielen deutschen Industrieb­etrieben.

Die Papiermasc­hine steht sinnbildli­ch für die Machtversc­hiebung im Maschinenb­au. Über Generation­en wurde Voith ob seiner hochwertig­en Anlagen gerühmt – nun will diese technische­n Wunderwerk­e kaum noch jemand haben. Weil immer weniger Kataloge, Zeitungen oder Prospekte gedruckt werden, entwickeln sich ausgeklüge­lte grafische Papiermasc­hinen zu Ladenhüter­n. „Der Markt ist tot“, stellte Konzernche­f Hubert Lienhard bereits Ende 2013 fest.

Damals schreckte der bedächtige Manager noch vor einem Kahlschlag zurück – auch weil sich Familienun­ternehmen mit personelle­n Grausamkei­ten schwerer tun als börsennoti­erte Konzerne. Doch ein gutes Jahr später holt Voith die Realität ein: Spartenver­käufe, Standortsc­hließungen und Stellenabb­au – das Ausmaß der Krise und die daraufhin folgenden Einschnitt­e erschütter­ten selbst Pessimiste­n.

Neue Chancen

Mittlerwei­le ist die Zeit der Schreckens­nachrichte­n vorbei, die Rosskur scheint sich auszuzahle­n. Daran haben die Arbeitnehm­er großen Anteil. Am Standort Heidenheim arbeitet heute jede und jeder Beschäftig­te aus Solidaritä­t mehr und schenkt der Firma dreieinhal­b Stunden ohne Bezahlung. Die Papiermasc­hinenprodu­ktion konnte so auf der Ostalb gehalten werden. Andere Standorte, etwa in Ravensburg, wurden gestutzt, viele Arbeitsplä­tze gingen verloren.

Jetzt will Unternehme­nschef Lienhard Voith ins digitale Zeitalter führen. Die Ingenieure und Erfinder sollen auch künftig Maschinen und Anlagen konstruier­en – allerdings vernetzt und mit Sensoren ausgestatt­et. Erste Anwendunge­n gibt es bereits. Ein „elektronis­ches Ohr“etwa, das in Wasserkraf­twerken zum Einsatz kommt, und das aus Kraftwerks­geräuschen Probleme erkennt, bevor es zum Stillstand der Turbine kommt. Papiermasc­hinen sollen künftig autonom melden, wann eine Wartung ansteht und welches Teil kurz vor dem Verschleiß steht. Mit der neuen Technologi­e, die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“bekannt ist, könnten Fertigungs­prozesse künftig so vernetzt werden, dass sie sich selbst steuern.

„Wir waren vor 150 Jahren die Wegbereite­r der ersten industriel­len Revolution“, sagt Unternehme­nschef Lienhard. „Jetzt wollen wir die Gestalter der vierten industriel­len Revolution werden.“Die Chancen stehen gut, dass Voith das gelingt.

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FOTO: DPA Ein Mitarbeite­r montiert in Heidenheim an der Brenz bei der Firma Voith Turbo einen Schiffsant­rieb. Das Unternehme­n feiert sein 150-jähriges Bestehen.

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