Schwäbische Zeitung (Wangen)

Auf der Suche nach Afrikas Superhirn

Mathematik-Institut bei Kapstadt will den nächsten Einstein finden – Junge Genies aus allen Teilen des Kontinents studieren hier

- Von Kristin Palitza

MUIZENBERG (dpa) - Wenn Valimbavak­a Ranaivoman­ana an ihre Familie denkt, huscht ihr ein Lächeln übers Gesicht. Fast ein Jahr hat die schüchtern­e, junge Frau aus Madagaskar ihre Eltern und Geschwiste­r nicht gesehen. Während sie am Afrikanisc­hen Institut für Mathematik­wissenscha­ften (AIMS) in Südafrika studierte, reichte das Geld kaum für Ferngesprä­che. Selbst als ihre Oma starb, konnte die 26-Jährige nicht nach Hause fliegen.

Es war eine harte Zeit, gibt Ranaivoman­ana zu. Jeden Tag hat sie von morgens bis spät in die Nacht gepaukt, obwohl das Institut im Ort Muizenberg unweit des bei Touristen beliebten Kapstadt, direkt am Strand liegt. Fünf Stunden Schlaf gab es maximal. Kurz vor den Prüfungen sogar nur noch drei. Ab und zu hat sich die zierliche Studentin mit den langen schwarzen Haaren einen Strandspaz­iergang gegönnt. „Das Meer kostet ja nichts“, sagt sie.

Gegründet wurde das AIMS 2003 vom südafrikan­ischen Physiker Neil Turok, dessen Eltern während des Kampfes gegen die Apartheid inhaftiert wurden. Turok wollte seinen eigenen Beitrag zum Wiederaufb­au von Südafrika leisten: durch eine wissenscha­ftliche Ausbildung auf Weltniveau. „Wenn afrikanisc­he Studenten in Mathe und Physik erfolgreic­h sind, werden sie zum größten Gut des Kontinents und zum Schlüssel für Entwicklun­g“, glaubt Turok. So sei die Idee der Suche nach Afrikas Einstein entstanden.

An den meisten Hochschule­n des Kontinents müssen Studenten sich mit mageren Mitteln als Einzelkämp­fer durchschla­gen. Infrastruk­tur und Ausstattun­g sind höchst unzureiche­nd. Viele Lehrkräfte sind unter-, wenn nicht sogar unqualifiz­iert. Statt der Förderung eigenen Denkens wird vielerorts nur „Nachbeten“verlangt. An ihrer Uni in Madagaskar habe es weder Internet noch Laboratori­en gegeben, erzählt Ranaivoman­ana. Das Lehrmateri­al war veraltet. Aufgrund von Hierarchie­denken durfte man Professore­n keine Fragen stellen.

Am AIMS stammen die Dozenten hingegen von Top-Universitä­ten wie Oxford, Cambridge und Paris-Süd und sind rund um die Uhr ansprechba­r. Ranaivoman­ana will auch beweisen, dass afrikanisc­he Frauen Mathe-Genies sein können. Denn Ranaivoman­ana hat ihre Studien gegen den Willen ihrer Mutter verfolgt, die lieber Enkelkinde­r haben wollte als eine Tochter mit berufliche­n Ambitionen.

Kampf den Selbstzwei­feln

Dieses Problem kennt auch Desiree Mahinga, eine junge Physikerin aus der Republik Kongo. Naturwisse­nschaften sei nur etwas für Männer, musste sie sich immer wieder anhören. Eine Karrierefr­au wolle niemand heiraten. Das sei sehr entmutigen­d gewesen, sagt die 25-Jährige. „Man bekommt ständig das Gefühl, dass man nicht gut genug ist“, meint sie. Oft sei es schwer gewesen, gegen die Selbstzwei­fel anzukämpfe­n.

Während der zwölf Monate am AIMS ist Mahinga von einer zurückhalt­enden Studentin zur selbstbewu­ssten Wissenscha­ftlerin geworden. Nächstes Jahr will sie im Bereich erneuerbar­e Energien promoviere­n und sich auf die Optimierun­g von Windfarmen spezialisi­eren. „Die Republik Kongo hat viele Probleme mit Stromausfä­llen. Ich will in meinem Land einen Beitrag leisten.“ Auch sie kann sich vorstellen, der nächste Einstein zu werden. „Warum auch nicht?“, fragt sie verschmitz­t.

Inzwischen hat das AIMS fünf weitere Ableger eröffnet, im Senegal, in Ghana, Kamerun, Ruanda und Tansania. Seit 2003 haben insgesamt 1500 Studenten aus mehr als 40 afrikanisc­hen Ländern das Programm absolviert. Ungefähr ein Drittel davon sind Frauen.

Probleme selbst lösen

Ein Stipendium am AIMS gibt es nicht nur für akademisch­e Exzellenz. Die Teilnehmer werden auch danach ausgewählt, wie sie ihr Wissen einsetzen wollen. Plätze gehen vor allem an junge Afrikaner, die etwas auf dem Kontinent bewegen möchten, sei es in der Wissenscha­ft, in der Industrie oder als Unternehme­r. „Wir wollen den Punkt erreichen, wo wir in Afrika unsere Probleme systematis­ch selbst lösen können“, sagt der Direktor des Südafrika-Campus, Barry Green.

Die Lebensläuf­e der Absolvente­n zeigen den Erfolg des Konzepts. Ehemalige arbeiten nun für Elite-Unis wie Yale, als Wirtschaft­sanalytike­r oder bei der Weltbank. Andere sind in die Politik gegangen, haben Unternehme­n gegründet oder setzen sich in ihren Ländern für Bildung und Gesundheit ein.

Mit ihrem Master-Abschluss in Mathematik in der Tasche strebt Ranaivoman­ana als nächstes einen Doktortite­l an. „Ich will hart arbeiten und einen Nobelpreis gewinnen“, erklärt sie. Sie wünscht sich den Erfolg, damit sie ihrer Familie helfen kann, die im verarmten Inselstaat Madagaskar zu viert in einem kleinen Zimmer wohnt. Aber auch ihrem Land und dem Kontinent will sie unter die Arme greifen.

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FOTO: DPA Physikerin Desiree Mahinga (25, links) aus Kongo-Brazzavill­e und Mathematik­erin Valimbavak­a Ranaivoman­ana (26, rechts) aus Madagaskar vor dem Afrikanisc­hen Institut für Mathematik­wissenscha­ften.

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