Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zeugen Jehovas bleiben in Russland verboten

- Von Klaus-Helge Donath, Moskau

Das oberste russische Gericht hat kein Einsehen mit den Zeugen Jehovas. Auch in der Berufungsv­erhandlung am Montag kam das Gericht zu keinem anderen Urteil. Im April hatte das Gericht die Glaubensge­meinschaft zur extremisti­schen Vereinigun­g erklärt. Davon wich das Gericht auch nicht ab. Damit bleibt sie in Russland verboten. Die Zeugen Jehovas kündigten den Gang zum Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­t an.

Das Eigentum der 395 Gemeinden geht in den Besitz des Staates über. Die Struktur der Organisati­on muss ab sofort aufgelöst werden. Der Ausgang der Verhandlun­g war absehbar. Eingaben der Verteidigu­ng wurde nicht stattgegeb­en. Auch die Bitte, einen Religionsw­issenschaf­tler mit heranziehe­n zu dürfen, wurde abgewiesen. Die nochmalige Überprüfun­g vermeintli­ch extremisti­sch religiöser Literatur wurde nicht gestattet.

Die Härte im Umgang mit den christlich­en Sektierern erklärt sich aus der Radikalisi­erung der politische­n Elite. Außer der russisch-orthodoxen Kirche duldet sie keine andere christlich­e Glaubensge­meinschaft. Der Kreml und die russischor­thodoxe Kirche fürchten, durch Konkurrenz christlich­er Glaubensbr­üder das Monopol einzubüßen. Ein Monopol, das sich in Russland in den weltlichen Herrschaft­sbereich erstreckt. Der Staat übt daher keine Milde. Das zeigte bereits der erste Prozess nach dem April-Urteil. Es traf den Dänen Denis Kristensen, der in Orel mit einer Russin verheirate­t ist. Seit Mai sitzt er in Untersuchu­ngshaft, weil er nach dem Extremismu­sVerdikt die Arbeit für die Zeugen Jehovas in der Gemeinde fortsetzte.

Das Verbrechen, das Kristensen zur Last gelegt wird, „gehört zu jener Kategorie von Verbrechen, die sich gegen die staatliche Macht richten“, warnte die Staatsanwä­ltin, Jelena Tscherniko­wa. Dass sich Nachbarn für ihn einsetzten, half ihm nichts.

In der Sowjetunio­n im Untergrund

Die Sekte wirbt seit mehr als einem Jahrhunder­t in Russland um Glaubensbr­üder. Russland war schon immer ein besonders fruchtbare­s Feld für Sekten und Häretiker. Selbst der verordnete Atheismus des kommunisti­schen Sowjetreic­hes konnte dies nicht unterbinde­n. Während der Sowjetunio­n tauchten Zeugen Jehovas in den Untergrund ab. Nach Ende des Kommunismu­s wurde die Glaubensge­meinschaft Anfang der 1990er-Jahre rehabiliti­ert. Ein Vierteljah­rhundert ist seither vergangen. 175 000 Mitglieder gehören der Sekte in Russland an. Den Verbotsant­rag stellte Moskaus Justizmini­sterium, das seit längerer Zeit versuchte, die Missionsar­beit zu unterbinde­n. Die Zeugen vermuteten dahinter „politische Repression­en“, eine Gegenklage wurde vom Richter zurückgewi­esen. Wahres Ziel seien politische Repression­en gegenüber religiösen Organisati­onen, sagte ein Anwalt im April.

Das Justizmini­sterium hält die Zeugen für extremisti­sch, da sie für „Ordnung“, „öffentlich­e Sicherheit“und „Rechte der Bürger“eine Gefahr darstellte­n, hieß es in einer Stellungna­hme des Ministeriu­ms. Die Ablehnung von Bluttransf­usionen wertete die Behörde als Verstoß gegen Menschenre­chte. Nicht weniger gefährlich sei die Zeitschrif­t der „Wachturm“. Russische Menschenre­chtler sehen in dem Urteil einen weiteren Schritt, die Gesellscha­ft gleichzusc­halten.

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