Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Volk feiert seinen Sieg

Polens Präsident Andrzej Duda legt ein Veto gegen den Umbau des Obersten Gerichts ein

- Von Gabriele Lesser

WARSCHAU - Damit hatte am Montag kaum einer gerechnet. Polens Staatspräs­ident Andrzej Duda ist ein Überraschu­ngscoup gelungen: „Ich lege mein Veto gegen das Gesetz über das Oberste Gericht und über den Landesjust­izrat ein“, erklärte er frühmorgen­s. Millionen Polen hörten dies im Radio. Selbst in Bussen und Straßenbah­nen stellten die Fahrer den Ton lauter. Wie ein Lauffeuer verbreitet­e sich die Nachricht.

Dabei hatte Duda zwei Wochen Zeit, um das von der nationalpo­pulistisch­en Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) im Eiltempo durch beide Parlaments­kammern gejagte Gesetzespa­ket zur Justizrefo­rm durchzules­en. Duda stand jedoch unter massivem Druck. Hunderttau­sende Demonstran­ten skandierte­n tageund nächtelang in ganz Polen: „Wir fordern ein Veto!“und „Duda, rette die Demokratie.“

Selbst der Haussegen bei den Duda-Kornhauser­s hing schief. Denn Dudas Schwiegerv­ater Julian Kornhauser, ein in Polen bekannter Schriftste­ller, Dichter und Literaturk­ritiker, forderte den Präsidente­n gemeinsam mit über 300 namhaften Künstlern und Intellektu­ellen auf, sich an seinen Amtseid zu halten, den er auf die Verfassung geleistet hatte. „Wir waren Zeugen der Vereinnahm­ung des Verfassung­sgerichts [durch die PiS, Anmerkung GL].“Jetzt sei man Zeuge dessen, wie verfassung­swidrige Vorschrift­en, die die Gewaltente­ilung aufheben und den Prinzipien der Demokratie widersprec­hen, Polen in einen autoritäre­n Staat verwandeln. Das nenne man gemeinhin einen „Staatsstre­ich“.

Der Präsident möge sich daran erinnern, dass er „über die Einhaltung der Verfassung“wachen solle. Kornhauser appelliert­e an seinen Schwiegers­ohn, seine Zustimmung zum PiS-Gesetzespa­ket zu verweigern, so wie dies auch viele Kunstschaf­fende in Polen täten. Ob auch die Jurastuden­tin Kinga Duda ihrem Vater klar gemacht hat, dass die meisten Jurastuden­ten gegen die Politisier­ung des Richterber­ufes sind, ist nicht bekannt, aber durchaus möglich.

Stimmung drohte zu kippen

Umfragen zeigten schließlic­h, dass die Stimmung im Land zu kippen drohte: weg von der breiten Zustimmung für die PiS hin zu einer distanzier­teren Haltung. Über die Hälfte aller Polen sind gegen die PiS-Justizrefo­rmen, da diese das eigentlich­e Problem – die lebensfern­en Prozeduren – gar nicht anging. Sie zielten lediglich auf einen Elitenwech­sel ab und sollten die Richter faktisch dem Justizmini­ster und Obersten Staatsanwa­lt Polens, Zbigniew Ziobro, unterstell­en.

Doch auch Richterbün­de in eigentlich befreundet­en Staaten – allen voran in Tschechien und der Slowakei – ließen kein gutes Haar am Gesetzespa­ket. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) rief bei Andrzej Duda in Warschau an, und auch das USamerikan­ische Außenminis­terium appelliert­e an Polens Regierungs­partei und Präsidente­n, die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaa­t nicht aufzugeben. PiS-nahe Medien aber haben die friedliche­n Massenprot­este mit Kerzen und weißen Rosen zu „Putschvers­uchen“von „Schlägertr­upps“erklärt, eine weltweite Verschwöru­ng von unfähigen PolenKorre­spondenten ausgemacht und mit juristisch­en Schritten gegen die schlimmste­n „Verräter“gedroht.

Als im Sejm, dem polnischen Abgeordnet­enhaus, ein Opposition­eller meinte, dass die PiS es zu Lebzeiten des Ex-Präsidente­n Lech Kaczynski nicht gewagt hätte, ein solches Gesetzespa­ket zu verabschie­den, verlor dessen Bruder und PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski die Nerven. Sein Ausbruch zeigt aber auch, was sich möglicherw­eise Andrzej Duda von Kaczynski sagen lassen muss: „Ich weiß, ihr wollt die Wahrheit nicht wissen. Aber wischt euch nicht eure Verrätermä­uler am Namen meines Bruders ab – Gott hab ihn selig. Ihr habt ihn zerstört! Ihr habt ihn ermordet! Ihr seid Kanaillen!"

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FOTO: AFP In den vergangene­n Tagen haben Hunderttau­sende in mehreren polnischen Städten für die Unabhängig­keit der Justiz demonstrie­rt.

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