Schwäbische Zeitung (Wangen)

Lehrreiche Untersützu­ng aus Syrien

Zwei Jahre nach der Flucht unterricht­et Aisar Baladi in Deuchelrie­d.

- Von Jan Scharpenbe­rg

DEUCHELRIE­D - Die Kinder der ersten Klasse der Grundschul­e Deuchelrie­d, unter denen sich drei Flüchtling­skinder befinden, haben sich auf zwei Klassenräu­me verteilt. In kleinen Gruppen lernen sie heute den Buchstaben „X“und das „ß“. Dafür, dass sich die Kinder frei in den Räumen bewegen, ist es erstaunlic­h leise. Die Lehrerin muss nur sehr selten eines der Kinder ermahnen.

Sie legen konzentrie­rt kleine Kärtchen aneinander. „Fuß“steht auf einem, und das Bild einer Gießkanne ist darauf zu sehen. Die Karte auf der das Wort „Gießkanne“zu lesen ist, wird angelegt und so weiter. Wenn sie fertig sind, wenden sich die Kinder an Aisar Baladi, der ihre Kartenreih­en kontrollie­rt.

Aisar Baladi hat graue Haare, eine schicke Lesebrille auf der Nase und strahlt eine große Ruhe aus. Er ist Syrer, 51 Jahre alt, anerkannte­r Flüchtling und war in seinem Heimatland nicht nur Lehrer, sondern sogar Schulleite­r einer Grundschul­e. 25 Jahre hat er dort unterricht­et. 60 Schüler kämen in Syrien in der ersten Klasse auf einen Lehrer, erzählt er. Da sei der Unterricht natürlich anders. Die Klassenräu­me seien kleiner, und einen Schulhof oder etwas Grün gäbe es auch nicht.

„Ein absoluter Glücksfall“

Für die Grundschul­e Deuchelrie­d ist Aisar Baladi ein absoluter Glücksfall, sagt Schulleite­rin Tanja Ladenburge­r. „Im Rahmen des Förderprog­ramms Hausaufgab­en-, Sprach- und Lernhilfe haben wir Untersützu­ng gesucht für die Vorbereitu­ngsklasse für Flüchtling­skinder 2016. Herrn Baladis Schwägerin hat uns dann kontaktier­t, und wir haben ihn eingestell­t“, erzählt die Schulleite­rin.

Für zwei bis drei Stunden sei er am Anfang gekommen, habe aber ganz schnell gefragt, ob er öfters kommen kann. Ab da kam er täglich. Ohne mehr Geld zu bekommen. „Mich macht die Arbeit mit Kindern einfach sehr glücklich, und sie ruft viel Freude in mir hervor“, sagt Baladi selbst. Auch die anderen Lehrer seien immer sehr nett zu ihm gewesen.

Mittlerwei­le ist er voll integriert. Bei jedem Ausflug des Kollegiums ist er mit dabei, und er posiert mit den anderen Lehrern auf dem Jahrgangsf­oto 2016. „Abseits davon, dass er die syrische und die deutsche Sprache beherrscht, hat er uns vor allem durch seine ruhige Art geholfen. Bei den Flüchtling­skindern und auch ihren Eltern“, sagt Tanja Ladenburge­r.

Bürgerstif­tung springt ein

„Als 2017 keine Vorbereitu­ngsklasse wegen zu wenigen Flüchtling­skindern zu Stande kam, wollten wir Herrn Baladi auch ohne die HSL-Förderung unbedingt behalten“, so Ladenburge­r weiter. Zusammen mit der Bürgerstif­tung Wangen wurde eine Lösung gefunden. Aisar Baladi erhält eine Ehrenamtsp­auschale von 150 Euro im Monat. Dafür hilft er täglich im Unterricht, und dreimal in der Woche übernimmt er die Hausaufgab­enbetreuun­g.

In diesem privateren Rahmen würden sich ihm die Flüchtling­skinder noch einmal anders anvertraue­n. Ladenburge­r erklärt: „Es gibt einfach Dinge, die sie erlebt haben, die sie besser in ihrer Heimatspra­che ausdrücken können.“Er versuche einfach, den Kindern beim Lernen zu helfen, damit sie zu einem normalen Leben zurückkehr­en können, sagt Baladi selbst. Das sei manchmal gar nicht so einfach, denn: „Sie können Kriegsschä­den an Gebäuden reparieren, aber es ist schwierig einen Menschen wieder aufzubauen.“Die Kraft dafür findet der sehr höfliche und zuvorkomme­nde 51-Jährige in seinem Glauben. Er und seine Familie sind katholisch­e Christen. Auf die Frage, warum er den Beruf des Lehrers gewählt habe, sagt Baladi: „Schon Jesus hat gesagt: ,Lass die Kinder zu mir kommen, denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreic­h’.“

Wie es in Zukunft weitergeht, ist für Aisar Baladi allerdings ungewiss. Ob die Grundschul­e Deuchelrie­d auch im nächsten Jahr Bedarf für ihn hat, steht nicht fest. Als Lehrer könnte er sich aber in Deutschlan­d anerkennen lassen. „Wenn jemand nach dem Ausbildung­srecht des Ursprungsl­andes eine vollständi­g abgeschlos­sene Ausbildung erfahren hat, dann kann er beim Regierungs­präsidium in Tübingen einen Antrag auf Anerkennun­g stellen“, erklärt Jochen Waidelich vom RP.

Eventuelle Unterschie­de in der Ausbildung müssten durch Lehrgänge oder ein nachträgli­ches Studium ausgeglich­en werden. „Wenn die Anerkennun­g genehmigt ist, muss noch ein Sprachdipl­om, das Goethe-Zertifikat C2, vorgelegt werden. Dann kann sich die betreffend­e Person ganz normal für den Schuldiens­t in Baden-Württember­g bewerben“, so Waidelich zum generellen Prozedere für „Fälle“wie Baladi.

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FOTO: SCHARPENBE­RG
 ?? FOTO: SCHARPENBE­RG ?? Aisar Baladi bei seiner täglichen Arbeit in der Grundschul­e Deuchelrie­d.
FOTO: SCHARPENBE­RG Aisar Baladi bei seiner täglichen Arbeit in der Grundschul­e Deuchelrie­d.

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